Es ist eine ermutigende Geschichte, die sie erzählen. Sie handelt von einem Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Politik, das sich im Widerstand gegen Stuttgart 21 und der Abwahl der Mappus-Regierung in einen kinetischen Impuls zu bürgerschaftlichem Engagement gewandelt hat. Zentner, der für die Stadtisten im Netz vor allem als ironische Kunstfigur "Dora Leatitia Asemwald" unterwegs ist, gibt das entscheidende Stichwort: Den Stadtisten geht es um Selbstermächtigung.
Sogar eine Dame von der Jungen Union schaut vorbei
Drinnen in der Imme herrscht an diesem Samstag im März die Euphorie einer Graswurzelbewegung, die sich für den Moment noch nicht fragen muss, ob sie einmal zu einem Baum heranwächst oder nicht einmal die Eisheiligen überlebt. Stadtisten mittleren Alters, die bislang nur via Facebook miteinander diskutiert haben, lernen einander erstmals "offline" kennen. Auch einige Nichtmitglieder sind gekommen, ein Grüner und eine Dame von der Jungen Union schauen vorbei. Als der einhundertste Wahlberechtigte auf jener Liste unterschreibt, wegen der sie alle hier sind, brandet Jubel auf.
Die Wählervereinigung braucht 250 Unterschriften, um zur Gemeinderatswahl am 25. Mai zugelassen zu werden - keine wirkliche Hürde für eine Idee von Politik, die im Netz nach wenigen Wochen bereits ein vielfaches an Sympathisanten hinter sich weiß. Schwieriger war es schon, die notwendigen 60 Kandidaten für die Wahlliste zu finden. 30 Frauen und 30 Männer stehen jetzt darauf. Ihre Berufsgruppen weisen die Stadtisten als Mittelschichts-Phänomen aus. Die Bewerber auf den vordersten Plätzen der Liste glauben auch fest daran, dass sich die Stadtpolitik über das Kommunalparlament sinnvoll gestalten lässt - so zäh Ausschusssitzungen zu Abfallbeseitigung, Energie- und Wasserversorgung auch sein mögen.
Es sind Menschen wie der Elektroingenieur Ralph Scherten, der beim Thema Mobilität neue Impulse setzen will. Der Verwaltungsangestellte Ralf Peter Maier, den die soziale und kulturelle Teilhabe armer Menschen in Stuttgart besonders umtreibt. Oder der Fachjournalist Sebastian Erdle, der im Gespräch grundsätzlich wird: "Stuttgart liegt in einem Talkessel. Da kann man nicht immer nur linear denken. Es muss auch mal schräg gehen." Um einen Sitz im Gemeinderat zu ergattern, sind etwa 1,7 Prozent der abgegebenen Stimmen nötig.
Die Einmischung in die konkrete Rathauspolitik soll aber nur eine Säule der Stadtisten sein, sagt Thorsten Puttenat, der nicht für den Gemeinderat kandidiert, weil er sich mehr als Aktivist denn als Hinterbänkler versteht. Denn man will eben keine Partei sein, die sich im politischen Wettbewerb zwischen Lagerdenken und Fraktionszwängen aufreibt. Weil man sich in erster Linie als Beteiligungsplattform versteht, hat man auch kein Wahlprogramm aufgeschrieben, sondern beruft sich lediglich auf ein "stadtistisches Manifest", in das sich auch politische Aphorismen geschlichen haben: "Das Unkonventionelle haben wir zu Fuß durchquert, der Utopie legen wir ein Bonbon unters Kopfkissen."
Die Grünen und die SÖS sind nicht amüsiert
Die Stadtisten stellen der Stuttgarter Politik die Charakterfrage: Wem gehört sie eigentlich, die Stadt? Dem Bürger, wie in dem putzigen Lego-Video der Wählervereinigung? Oder doch den Investoren, die mit seelenlosen Konsumtempeln nicht nur einen Ausverkauf des Stadtbilds betreiben? Sie bedrohen im Kleinen auch eine alternative Begegnungsstätte wie das Café Galao am Marienplatz, für dessen Erhalt sich einige Mitglieder einsetzen. Zu sechs Themenfeldern wie Raum, Mobilität oder Konsum haben die Stadtisten auf ihrer Homepage "Haltungen" formuliert, die im Kern kapitalismuskritische, egalitäre und wertkonservative Gedanken auf die sanfte Tour miteinander verbinden. Kein Wunder also, dass die Stadtisten insbesondere von den Grünen und der Wählergruppe "Stuttgart Ökologisch Sozial" (SÖS) nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen wurden. Dort fürchtet man, dass bei der Gemeinderatswahl letztlich die Stuttgarter CDU von einer Zersplitterung des linken Lagers am meisten profitiert.
25 Kommentare verfügbar
CharlotteRath
am 25.03.2014Können wir Bürgerinnen und Bürger politische Gestaltungsmacht zurückholen, die die Parteien für sich okkupieren?
Bringen wir Vertreter von Massenmedien dazu, ihr bequemes Schubladen-Denken zu verlassen?
Auf welchen Wegen, mit welchen Strategien gelingt…