Die Machtfrage stellt hier niemand. Und nur darauf kommt es an, wenn man ernsthaft von Bürgerbeteiligung reden will – auf die Abgabe von Macht, auf ihre Verteilung auf viele Bürgerschultern. Reden Sie darüber mal mit einem Bürgermeister oder Gemeinderat. Im besten Fall ist er so freundlich, ein paar Minuten zuzuhören. Oder vielleicht stimmt er sogar zu, dass Bürgerbeteiligung im Sinne von Bürgermacht zwar eine großartige Sache wäre, aber leider vollkommen ausgeschlossen. Denn, so sein Argument, der Bürger an sich sei völlig desinteressiert, sich in kommunale Angelegenheiten einzumischen, es sei denn, sie beträfen unmittelbar ihn selbst. Das würde man schon daran sehen, dass Gemeinderatssitzungen so gut wie immer vor leeren Zuschauerstühlen stattfänden. Da hat er recht, das ist der Status quo. Und der ist gut so – vor allem für Bürgermeister und Gemeinderäte. Und für ihre großen Brüder in Bund und Ländern und Brüssel erst recht.
Erbarmungslose Kommunalpolitiker verteidigen ihren Claim
Doch wehe dem, der die Verheißung von Bürgerbeteiligung ernst nimmt und versucht, sie zu verwirklichen. Der erlebt, wie mächtig auch kleine Mächtige sind, wie erbarmungslos Rathauspolitiker ihren Claim verteidigen. Hier kämpfen Bürgermeister Hand in Hand mit Gemeinderäten, angeführt und munitioniert von den Fürsten in Parteien und Beamtenschaft und zahlreichen Firmenchefs. Wer in deren Terrain eindringen, es aufbrechen will, der bekommt zu spüren, wie flächendeckend zäh und tief der Morast ist, der Bewegungslosigkeit als bequeme Lebensform ermöglicht.
Man könnte diesen Sumpf längerfristig austrocknen, indem man Kandidaten bei Bürgermeister- und Kommunalwahlen genauer auf die Finger guckt. Gewählt würden dann nur noch die, denen man zutraut, ihr Heilsversprechen Bürgerbeteiligung auch wahr zu machen. Und wer gelogen hat, wird eben bei erster Gelegenheit abgewählt. Wer hierauf vertraut, wer meint, dafür eine Mehrheit zu kommen, der setzt auf die Quadratur des Kreises. Die große Mehrheit stellt nun mal der müde Bürger: politikmüde, weil er seine Ohmacht zumindest ahnt, müde im Geist von der TV-Endlosschleife aus Horrormeldungen und Banalitäten.
Diese Trägheit der Masse kommt auch bei Kommunalwahlen den Interessen von Machteliten höchst gelegen. Auch wenn die Wahl von Bürgermeistern und Ratsmitgliedern tatsächlich überwiegend Persönlichkeitswahlen sind – die Frage ist, welche Art von Persönlichkeit überhaupt gefragt ist. In meiner 20-jährigen Praxis als Berater für Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen habe ich zwei ernüchternde Erkenntnisse gewonnen: Erstens, es gibt nichts Erfolgreicheres als das Durchschnittliche. Das gilt bei Kommunalwahlen und vor allem bei der Wahl von Bürgermeistern. Denn in den wenigen Wochen Wahlkampf bleibt für bis dahin meist unbekannte Kandidaten kein Raum, grundsätzliche Fragen aufzuwerfen; also solche, die jenseits der Alltagsthemen Ortsumfahrung, Kindergarten und Neubaugebiet liegen.
Gegen die örtlichen Honoratioren hat ein Dorfschultes keine Chance
Wer Bürgermeister werden will, aber diese Gefilde verlässt, stiftet nur Verwirrung und mindert seine Chancen auf einen Wahlsieg. Denn gegen das sogenannte bürgerliche Lager ist so gut wie nicht anzukommen. Es wird angeführt von Gemeinderäten, Vereinsvorsitzenden, Kommandanten der freiwilligen Feuerwehr, von Chefs örtlicher Unternehmen und sonstigen Honoratioren. Sie alle sind untereinander verbandelt, meist in alter Freundschaft, man zieht zum gegenseitigen Nutzen an einem Strang. Und meist ist der Chef der größten Fraktion im Gemeinderat zudem Vorsitzender des größten Vereins sowie der größte Arbeitgeber. Wer den gegen sich hat, kann gleich einpacken.
Dieses Konglomerat aus Profi-Egoisten und willfährigen Mehrheitsbeschaffern ist gefährlich für jeden, der nicht mitspielt und tatsächlich Bürgerbeteiligung will. Also auch für Amtsinhaber. Einer, der das in aller Härte erlebt hat, war Bürgermeister einer Zwei-Dörfer-Gemeinde im Schwarzwald. Er war nicht bereit, das Geklüngel seines Vorgängers mit dem größten Steuerzahler im Ort und Mitglied des Gemeinderats fortzusetzen. Der bombardierte daraufhin den Bürgermeister mit einem Sperrfeuer permanenter Anfeindungen. Die Abwahl des unglücklichen Schultes geriet dann äußerst ungewöhnlich: In einem Ortsteil erzielte er eine deutliche Mehrheit, im Herrschaftsbereich des Firmenchefs erlitt er eine vernichtende Niederlage.
Woher soll er also kommen, der Anstoß zum Sturm auf die zementierte Festung der Macht? Die Antwort ist simpel: Er muss von oben kommen. So wie Wilhelm von Humboldt um 1800 postulierte: "Diejenige Regierung ist die beste, die sich überflüssig macht."
Es wäre dumm, zu glauben, dass Sachverstand nur im Gemeinderat vorhanden sei
Michael Pelzer, früher SPD, später parteilos, hat das nicht nur begriffen, sondern auch umgesetzt. In über 20 Jahren etablierte der 67-Jährige, der seit Anfang des Monats in Rente ist, als Bürgermeister der oberbayerischen 3400-Seelen-Gemeinde Weyarn eine Kultur der Bürgerbeteiligung, die nicht nur im Kreis Miesbach beispielhaft ist.
3 Kommentare verfügbar
Oli
am 25.05.2014wenn Sie sich um Menschenleben sorgen, sollten Sie sich auch intensiv mit Großkonzernen wie z.B. der BASF und deren Machenschaften auseinandersetzen und von der bürgerlichen Politik (CDU/CSU, SPD, Grüne, AfD, FDP) das Einführen einer anständigen, da im Grundgesetzt verankerten,…