Heute werden in Stuttgart sogar Vorrangstraßen für den überörtlichen Verkehr zurückgebaut. Grüne und Rote setzten etwa in Bad Cannstatt den Rückbau der vierspurigen Waiblinger Straße durch, die ins Remstal führt. Die Politik erfüllte damit ein Versprechen, das vor mehr als zwei Jahrzehnten der damals konservativ dominierte Gemeinderat den Cannstatter Bürgern gegeben hatte. Den teuren Neubau einer Umgehungsstraße der B 14 durch ein bislang unberührtes Neckarseitental machte man den Bürgern mit dem Rückbau der Waiblinger Straße schmackhaft. Doch heute wollen sich CDU und Freie Wähler nicht damit abfinden, dass ein Fahrstreifen zum Radweg wurde, der die wichtigste Hauptradroute durch Stuttgart komplettiert. "Die millionenteure Umgestaltung auf Kosten der Autofahrer", die seitdem in den Stoßzeiten nur noch im Schritttempo vorankommen, werde man "nach der Wahl rückgängig machen", versprechen Cannstatter CDU-Fürsten populistisch. Die Idee, Pendlern den Umstieg auf Stadt- und S-Bahnen oder aufs gesundheitsfördernde Fahrrad zu empfehlen, kommt ihnen nicht.
München als Vorbild für Parkraum-Management
Erstaunlicherweise tragen am anderen Ende der Stadt, im Stuttgarter Westen, selbst Konservative Maßnahmen gegen den überbordenden Verkehr mit. Nachdem Wissenschaftler der Uni Stuttgart belegten, dass der dicht besiedelte Stadtbezirk über zu wenig Platz für inzwischen viel zu viele Autos verfügt, stimmten auch sie für ein Parkraum-Management. Nach Münchner Vorbild sind seit März 2011 im Westen alle Stellplätze im öffentlichen Straßenraum kostenpflichtig, was Einpendler zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel bewegt. Geh- und Überwege werden seitdem seltener von rücksichts- wie hilflosen Autohaltern zugestellt. Das Parkraum-Management soll deshalb zeitnah auch auf andere Stadtbezirke ausgedehnt werden.
Dennoch billigte eine große Koalition aus Bürgerlichen und Sozialdemokraten in der ablaufenden Wahlperiode ein umstrittenes Straßenbauprojekt. Knapp 200 Millionen Euro kostet der Rosensteintunnel, der eine durchgängige Verbindung der Bundesstraße 10 zwischen dem Stuttgarter Norden und dem südlichen Neckartal schaffen wird und die Dauerstaus auf der bisherigen Route beenden soll. Grüne und Linke kämpften vergeblich gegen den Tunnelbau, der aus ihrer Sicht eine weitere Stadtautobahn verwirklicht, die neben Durchgangs- auch mehr Binnenverkehr generiert.
Andere Städte haben längst einen anderen Weg eingeschlagen, um den ausufernden Individualverkehr einzudämmen. Im Februar 2003 startete in London trotz heftiger Proteste ein "Road Pricing". Wer mit dem Pkw in die Innenstadt fahren wollte, musste fünf Pfund pro Tag bezahlen. Fünf Jahre später waren deutliche Erfolge sichtbar: Der innerstädtische Pkw-Verkehr war um 37 Prozent zurückgegangen, die durch Staus hervorgerufenen Verspätungen hatten sich um 30 Prozent reduziert. Immerhin 30 Prozent der Pkw-Fahrten wurden vermieden, bis zu 17 Prozent der Autofahrer stiegen auf das Fahrrad um, das Fahrgastaufkommen der Busse stieg um 20 Prozent. Ähnliche Erfahrungen machte Stockholm mit seinem Mautsystem, das seit August 2007 in Betrieb ist. Die Maut ist auf sechs Euro pro Tag limitiert und wird nach Tageszeiten gestaffelt. Der Erfolg stellte sich sofort ein. Der innerstädtische Verkehr reduzierte sich um 20 Prozent. Auch im Umfeld von Stockholm verringerte sich der Individualverkehr deutlich. Die Mobilitätsqualität verbesserte sich deutlich: Staus reduzierten sich um bis zu 50 Prozent. Was wiederum deutliche Auswirkungen auf die Einstellung der Bevölkerung hatte: Waren vor der Einführung drei Viertel gegen die Maut, sprechen sich mittlerweile 67 Prozent dafür aus.
In Stuttgart wurde eine City-Maut zuletzt im OB-Wahlkampf 2012 thematisiert. Sebastian Turner, Kandidat der Konservativen, unterstellte dem grünen Konkurrenten Fritz Kuhn, sie einführen zu wollen. Kuhn dementierte – und wurde zum Oberbürgermeister gewählt. Als "Reinkarnation des schlechten Gewissens der Autostadt Stuttgart" identifizierte "Zeit"-Geschäftsführer Rainer Esser den grünen OB in Stuttgart vor Kurzem während eines Zukunftsgipfels zu Auto und Verkehr. Kuhn verwehrte sich bescheiden gegen die Rolle: "Es gilt beim Auto schlicht, den Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie zu organisieren." Neue nachhaltige Mobilitätskonzepte gelte es gemeinsam mit der heimischen Autoindustrie zu realisieren. "Vor dieser Aufgabe stehen nicht nur wir im engen Talkessel, sondern alle Industriegesellschaften", so der grüne OB.
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CharlotteRath
am 22.05.2014