Die Türkei ist tief gespalten. Das sagt kein Geringerer als der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Safter Çinar. Und er schickt eine Hoffnung hinterher: Wenn Premierminister Recep Tayyip Erdoğan am Samstag in der Köln-Arena spricht, dann möge er doch dazu beitragen, dass sich diese "unversöhnliche Atmosphäre" nicht auf die türkische Gesellschaft in Deutschland überträgt. "Er wird weiter polarisieren", erwartet der bekannte Stuttgarter Gökay Sofuoglu, Sozialarbeiter seit vielen Jahren und Landeschef der TGD, illusionslos: "Wir müssen dann den Scherbenhaufen wegräumen."
Erdoğan, der sich noch nicht erklärt hat, ob er zur Präsidentenwahl überhaupt antritt, ist berüchtigt für sein aggressives Auftreten, für starke Worte und kurze undemokratische Schlüsse: eine Einschätzung, die viele Deutsche und Türken eint. Im Prinzip. Denn Letztere sind gern nachsichtig in der Beurteilung der Adalet ve Kalkınma Partisi, kurz AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung. "Würde ich in Ankara leben, hätte ich mich schon lange abgewandt", bekennt Arzu. Die Stuttgarterin arbeitet in einem Café, sie ist mehrsprachig und beschreibt sich als verwurzelt in zwei Nationen. Sie ist entsetzt über die Vorgänge nach dem verheerenden Grubenunglück in Soma, lobt "das hohe Gut der Rechtssicherheit" in Deutschland im Alltag oder am Arbeitsplatz. Und: "Unsere Politik ist viel intransparenter als die Politik hier." Sie möchte wählen gehen, hat aber einen türkischen Pass und wird ihn auch behalten, nicht zuletzt, um – im Fall des Falles – elend lange Erbstreitigkeiten zu vermeiden.
Schon dass der im Januar vereinbarte Auftritt des Premiers bei einem Vereinsjubiläum in der Domstadt in der deutschen Mehrheitsgesellschaft erst wenige Tage davor ein Thema wird, belegt die Kluft. "Die Rituale sind dann immer dieselben", erläutert ein Feuerbacher aus Izmir: "Zuerst spielen die einen mit den Muskeln, vor allem die Bayern, und dann die Türken." Mit "differenzierten Debatten" sei es ganz schnell vorbei nach dem Motto "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich". Er habe die Stuttgarter regelrecht beneidet im Sommer vor drei Jahren, als die Auseinandersetzung um den Bahnhof friedlich hochkochte – "so etwa wäre nie möglich bei uns". Thomas Strobl, der CDU-Landeschef, liefert aktuell die Vorlage genauso wie der Kölner SPD-OB. Beide reihen sich ein in die Gruppe der Kritiker der Veranstaltung – gegen die Linie ihrer Parteivorsitzenden. "Das wird dem Premier nur helfen", befürchtet ein Mannheimer Unternehmer. Die Deutschen hätten nicht verstanden, dass die AKP "nicht links und nicht rechts schaut, sondern nur die eigenen Anhänger mobilisiert".
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anopnym
am 22.05.2014