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Unsere Fotografen

Danke, Polizei!

Unsere Fotografen: Danke, Polizei!
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Zwischen Protest und Polizei passen oft nur ein paar Pressefotografen. Kontext schätzt Bilder, die nah am Geschehen entstehen. Und hat zwei junge Kollegen gebeten, sich auf ungewohntes Terrain zu wagen – in zwei kleinen Texten kommentieren sie ihre Highlights aus unserer gemeinsamen Geschichte.

Vom Gewahrsam zur Kontext

Von Jens Volle (Text und Bilder)

Zehn Jahre Kontext! Das ist wahrlich ein Grund zu feiern und ich wünsche alles Gute. In gewisser Weise teilen wir uns diesen Geburtstag sogar, obwohl ich nicht schon von Anfang an dabei bin. Die Initialzündung der Gründung von Kontext waren der Protest und die Bewegung gegen Stuttgart 21. Und das war zugleich auch mein Startschuss, den Weg des Fotojournalismus zu gehen. Eine Zeit, in der ich noch eher Aktivist als Journalist war und noch nicht so recht wusste, wie das zu trennen ist.

 

Seit vier Jahren bin auch ich an Bord bei Kontext und dafür kann ich nur Dankeschön sagen! Dazu kommt noch ein ironisches "Danke Polizei": Vor fünf Jahren wurde ich eingeknastet, als ich über die Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag am Flughafen Stuttgart berichten wollte. Mir und drei weiteren Fotografen wurde vorgeworfen, uns an einer Autobahnblockade beteiligt zu haben. Kontext hatte darüber berichtet und ich bin dadurch mit Kontext-Fotograf Jo E. Röttgers in Kontakt gekommen, der mich etwas später auf Empfehlung von Alfred Denzinger, dem Chefredakteur der "Beobachternews", anwarb.

 

Dort war ich, obwohl "nur" freier Mitarbeiter, von Anfang an schnell integriert. Meine Meinung ist gefragt und ich nehme regelmäßig an den Konferenzen teil. Durch fotomeisterliche Anleitung von Jo und die Zusammenarbeit mit den schreibenden KollegInnen lernte ich schnell, als bislang eher straßenerprobter "Krawallfotograf", mich auch zwischen AnzugträgerInnen wohl zu fühlen.

 

Eben diese Mischung macht die Kontext als Arbeitgeberin attraktiv. Im Ländle, und manchmal auch darüber hinaus, hat sie ihre Augen und Ohren und legt die Finger in die Wunden. Ob schwindende Medienvielfalt, drohende Klimakatastrophe, AfD, Rechtsradikalismus und Rassismus, Landespolitik, schöne, lustige und absurde Geschichten über allerlei Leute, oder was auch immer. Und auch wenn sich mal ein Thema auf den ersten Blick zäh und trocken anhört, schafft es Kontext mit der richtigen Kombination aus Wort und Bild eine spannende Geschichte daraus zu machen. Das macht Spaß zu lesen. Und noch mehr Spaß selber dabei zu sein.

 

Mit eineR RedakteurIn raus ins Land fahren, sich im Landtag auf die Lauer zu legen, AktivistInnen bei Haus- oder Baumbesetzungen zu begleiten, Kulturveranstaltungen besuchen und Interviews mit spannenden Menschen zu führen. Und auch wenn's mal langweilig sein sollte, was selten der Fall ist, dann ist zumindest einE tolle KollegIn dabei – und ich kann mir wirklich schlimmeres vorstellen, als mit meinen KollegInnen bei der Kontext Zeit zu verbringen.

Sich Zeit nehmen zu können bei der Arbeit, ist für mich ein großes Privileg. Wenn ich bei Aufträgen auf Agentur- oder TageszeitungskollegInnen treffe, die alles schnell vor Ort bearbeiten und abschicken müssen, bin ich wirklich froh für eine Wochenzeitung zu arbeiten, die sich Zeit nimmt, in die Tiefe zu gehen, dran zu bleiben, nervig sein und hin zu schauen, wo andere schon weitergehen. 

 

Ich freue mich auf viele weitere gemeinsame Jahre. Und für diese Zeit wäre nur noch ein ein Wunsch offen: Ich glaube, eine Fotografenkollegin würde Kontext bereichern und noch besser machen!

Fotos, auf Krawall gebürstet

Von Chris Grodotzki (Text und Bilder)

Als ich am 31. März vor zehn Jahren aus dem Stuttgarter Finanzamt heraus spazierte, gerade hatte ich meinen "Fragebogen zur steuerlichen Erfassung" eingereicht, erwartete ich nicht, dass die offizielle Aufnahme meiner Tätigkeit als freiberuflicher Fotojournalist so schnell Früchte tragen würde. Die Jahre zuvor hatte ich hauptsächlich mit Umwelt-Aktivismus zugebracht, von der monatelangen Waldbesetzung gegen den Flughafenausbau im Kelsterbacher Wald bei Frankfurt bis in den Stuttgarter Schlossgarten, wo ich erneut mit Robin Wood auf dem Baum hockte. In Kelsterbach hatte ich auch mein erstes Foto verkauft, ein Glücksfall, da ich als Kontaktperson zu einem untertage im selbstgebauten Bunker angeketteten Aktivisten als einziger ohne Uniform mit einer Fotokamera hinter der Polizeiabsperrung herumstreifen durfte. Doch seitdem sah die Auftragslage, trotz größter Ambitionen, recht Mau aus.

 

Noch auf den Stufen der Finanzamtskaserne "Stuttgart 1" am Rotebühlplatz klingelte mein Handy. Ein Anruf aus der Kontext-Redaktion: "Hättest du Lust, die Bildstrecke für unsere Erstausgabe zu fotografieren?" Zwei Wochen zuvor war ich auf Anraten eines Kollegen in die noch in Gründung befindliche Zeitungsredaktion marschiert und hatte mich im Brustton der Selbstüberzeugung mit einigen reichlich übertrieben bearbeiteten Bildern von Baumbesetzungen und Stuttgart 21-Demos vorgestellt. Natürlich hatte ich Lust!

 

Es ist mutig, einen damals 22-jährigen Quereinsteiger loszuschicken und ihn ein Foto-Essay für die Premiere einer neuen Zeitung fotografieren zu lassen. Eine Zeitung, die es sowieso nicht leicht haben würde, sich in der zementierten Medienlandschaft einer "Stadt in der Stein-Zeit" zu etablieren. Und das ist es, was Kontext ausmacht: Mut, nicht nur den ungemütlichen Verhältnissen ins Auge zu schauen, sondern auch Chancen zu sehen statt Risiken, und die Bereitschaft, neue, alte Wege zu beschreiten. Denn (Foto-)Journalismus mit klarer Haltung ist nicht erst vor ein paar Sekunden erfunden worden – er ist nur im post-modernen Ringen um eine schwammige "Objektivität", die alle, unabhängig von politischer Einstellung und gesellschaftlicher Klasse, gleichermaßen bedienen soll, aus der Mode gekommen.

 

Kontext hat dem wieder Raum gegeben: Durch die Einbindung und Förderung junger, politisch aktiver FotografInnen und KünstlerInnen, wie mir selbst, Jens Volle oder Körpa Klauz. Durch fotodokumentarische Denkmäler für vergessene Idole, von Gerda Taro bis hin zu den Frauen der Resistenza. Durch die Sichtbarmachung von Perspektiven jenseits des beobachtenden Journalismus, wie derer von Hasan Al Hussein auf seine eigene Flucht, derer der "Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlinge" Stuttgarts auf sich selbst, oder der des Demenzbetreuers Zoltán Jókay auf seine Arbeit mit seinen Klient:innen. Und – last but not least – durch die kontinuierliche Arbeit der beiden langjährigen Haus-Fotografen Joachim E. Röttgers und Martin Storz, die, mal einfühlsam und persönlich, mal mit einem kräftigen Schuss ArbeiterInnen-Pathos – jedenfalls aber mit unermesslicher Geduld und Detailverliebtheit – 's Läbe im Ländle unter die Lupe nehmen.

 

Bilder brauchen Kontext. Ein Foto sagt vielleicht mehr als 1.000 Worte, aber ganz ohne Einordnung dann doch zu jedem und jeder etwas anderes. Der US-amerikanische Fototheoretiker Allan Sekula schreibt: "Für sich allein betrachtet repräsentiert das fotografische Bild lediglich die Möglichkeit einer Bedeutung." Man kann Fotos mit vielem aufladen. Man kann sogar 10-Jahres-Jubiläen mit Protestbildern schmücken, ohne dass ganz klar wird, ob es sich dabei jetzt um eine Zweckentfremdung der Proteste handelt, oder einen Kaperung des Jubiläums für Propagandazwecke.

 

Diese Ambivalenz mag in der Kunst ihren Platz haben, aber im Journalismus hätte man's doch meistens gern etwas konkreter. In Kontext findet man selten Bleiwüsten ohne Visualisierung und auch kaum ein flaches Symbolbild, das, mehr schlecht als recht, aus dem Presseagentur-Abonnement in den Titel des Online-Artikels gezwängt wurde. Das hebt sie von den allermeisten Regionalzeitungen und selbst von vielen großen Brüdern und Schwestern im Online-Medienbetrieb, ab.

 

10 Jahre Kontext, das sind auch 10 Jahre Schaubühne. Ein Ort, an dem Bilder prominent platziert ihren Raum bekommen und trotzdem nicht im luftleeren Raum verweilen. Sie werden aufgefangen, reflektiert, ein-, an- und zugeordnet und mit viel Liebe zum Detail allem Kontinuitätsstreben zum Trotz immer wieder entschieden neu gesetzt. Kein ästhetisierender Einheitsbrei á la Instagram, keine wahllose Kollektion der spektakulärsten "Bilder der Woche".

 

Stattdessen kleine und große Ausflüge hinter die Fassaden; in Bild und Text geht es mal tief in die (fast vergessene) Geschichte, mal in den ausgehöhlten Stuttgarter Untergrund oder auch weit über den Kesselrand hinaus. Dass dabei die Fassaden nicht immer unangekratzt bleiben, versteht sich von selbst. Aber unter dem Pflaster liegt eben der Strand.

 

Pflaster gibt's in Stuttgart genug – weit mehr noch: Asphalt – und so wird jede Ausgrabung von Lenin oder Engels, jeder Gang in die Grube mit den Stuttgart-21-GegnerInnen oder Ende Gelände, jede Bild-Text-Reportage aus den Untiefen der Region zu einer kleinen Kampfansage gegen versteinerte Verhältnisse.

 

10 Jahre Kontext, das sind für mich persönlich auch 10 Jahre Fotografie als Beruf. Und deshalb gibt's von mir zum Geburtstag zehn Fotos, die meinen Wunsch für das nächste Jahrzehnt, sowohl in unserer Gesellschaft als auch in der Schaubühne, in den Blick nehmen: Viel Mut und Kraft für jede Menge Krawall und Remmi Demmi, für Chancen statt Risiko, für Experimente. Denn jedes Kratzen an der Fassade der Gegenwart, ob im Journalismus, auf hoher See oder auf der Straße, malt am Ende ein Bild der Zukunft an die Wand.

 


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 07.04.2021
    Antworten
    Verehrte Kollegen* der Beweissicherung,
    Sie stehen mit _Ihrem_ Einsatz »für unsere Gesellschaft« allzu leicht im "Schwitzkasten" der einen wie der anderen, die sich nicht in der Betrachtung der Öffentlichkeit wiederfinden wollen [1]!
    *Innen gibt es keine?!?

    Jetzt ist ebenfalls die…
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