KONTEXT:Wochenzeitung
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Unser Anwalt

Ruf und Existenz gerettet

Unser Anwalt: Ruf und Existenz gerettet
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Gut zu wissen, dass es immer jemanden gibt, der einen raushaut. Unser Autor, einer der besten deutschen Presserechtler, gehört dazu.

Meine Tochter wurde gestern 13. Unglaublich, dachte ich, mir kommt es wie gestern vor, als ich sie kurz nach der Geburt im Arm hielt. Genauso ging's mir, als mich Kontext bat, ein paar Zeilen zum Zehnjährigen zu formulieren. Was immer mir dazu einfallen sollte. Nun denn.

Alles begann mit dem Hamburger Bahnhofskiosk. Nicht "am" wohlgemerkt, sondern "mit". Unter anderem mehrere Buchprojekte zum Filz in Baden-Württemberg verbanden mich mit meinem langjährigen Weggefährten Josef-Otto Freudenreich, mit Susanne Stiefel und einer Reihe weiterer bekannter Journalist*innen aus Süddeutschland. Ich hatte in einem ihrer Bücher über Missstände des fliegenden Gerichtsstands im Presserecht berichtet, weil der vereinzelte Vertrieb eines süddeutschen Presseprodukts am Hamburger Bahnhofskiosk erlaubte, einen Fall vor das damals in der Hansestadt angesiedelte pressefeindlichste deutsche Zivilgericht zu bringen.

Mit dieser Expertise im Rücken, so dachten die Autor*innen wohl, könnte ich ein Auge auf die Vereinssatzung des nicht nur aus meiner Sicht spannendsten Stuttgarter Projekts für Journalismus seit vielen Jahren werfen: des Trägervereins für Kontext:Wochenzeitung. Der Verein verschrieb sich "ganzheitlichem Journalismus" und wollte "kritisches und strukturiertes Denken in der Gesellschaft fördern". Genug Anlass für mich, in der Satzung gleich einen Beirat vorzusehen, in dem Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für die Einhaltung dieser doch eher schwer greifbaren Ziele in der täglichen Arbeit von Kontext eintreten sollten. Edzard Reuter war einer von ihnen.

Die "Geburt" von Kontext war die Gründungsversammlung des Vereins. Sie empfand ich dann wieder eher als bodenständig: Der formelle Beschluss über die Satzung bei einem informellen Gläschen Württemberger entsprach mehr meinen Vorstellungen von der Gründung einer Bürgerinitiative als einem strengen Kick-off Meeting zur Erreichung transzendent anmutender Satzungsziele. Auch ich habe die Gründungsurkunde unterzeichnet und war damit Mitglied des Vereins. Ich bin es noch heute. Und das aus gutem Grund.

Nun steht es einem Rechtsanwalt, noch mehr einem Wirtschaftsanwalt, typischerweise gut an, aus dem Hintergrund zu beraten. So wahrt man den klaren Blick und lässt sich nicht vereinnahmen. Aber 2011 war mit Händen zu greifen, was 2021 nur noch zu betrauern ist: Die Presse- und Medienlandschaft wankt zwischen Echoräumen von Communities (Facebook, Twitter) und der Konzentration zu tendenziell unkritischen Mainstream-Zeitungen großer Konzerne. Der Medienvielfalt wegen sollte daher jedes demokratischen und freiheitlichen Zielen verbundene Presseprojekt unsere Unterstützung erhalten – gerade auch die eines Wirtschafts- und Medienanwalts. Und so wurde Kontext auch ein bisschen mein Projekt, wenn auch aus der beratenden Kulisse und nicht im Rampenlicht des aktiven Vereinslebens.

Das "Aufwachsen" von Kontext war von den üblichen Problemen Jugendlicher begleitet. Es gab das eine oder andere zu lernen und es galt die eigene Orientierung zu finden. Und so musste sich auch Kontext fragen, was unabhängiger Journalismus bedeutet? Unabhängig von wem? Natürlich unabhängig von finanzstarken Anzeigenkunden, dafür aber abhängig von vielen gleichgesinnten Spender*innen und deren Wohlwollen? Sollte "unabhängig" auch politisch gemeint sein? Weder ganzheitlicher noch kritischer Journalismus ist ja zwingend Journalismus in eine politische – auch verkehrspolitische – Richtung. Vor diesem Hintergrund hätte ich mir die Kindertage von Kontext gerne noch pluralistischer gewünscht.

Meine Sorge, dass sich Kontext aus wirtschaftlichen Gründen allzu sehr in bestimmte Ecken drängen lassen könnte, war jedoch letztlich unbegründet. Im Gegenteil, je erwachsener Kontext wurde, umso solider wurde auch die wirtschaftliche Basis. Und umso vielfältiger wurde die Berichterstattung. Das Presserecht hat hierfür übrigens einen einfachen Maßstab. Je unabhängiger und kritischer sich Medien mit einem Thema befassen, umso eher versuchen Betroffene dem durch Abmahnungen und Gerichtsverfahren Einhalt zu gebieten. Insofern nahmen mit den Jahren die presserechtlichen Auseinandersetzungen deutlich zu. In der Regel verließ Kontext den Gerichtssaal als Sieger.

Erwachsen wird eine Zeitung, wenn sie überregionale Beachtung findet. Diese Erfahrung machte Kontext spätestens, als man einem strammen Nazi, der für zwei AfD Abgeordnete im Stuttgarter Landtag arbeitete, auf die Schliche kam. Kontext zitierte aus dessen menschenverachtenden Posts auf Facebook. Diese Berichterstattung über die braunen Facebook-Protokolle fand bundesweites Medienecho und trug der stellvertretenden Chefredakteurin Anna Hunger 2019 eine Nominierung zum Theodor-Wolff-Preis ein. Zum Erwachsenwerden gehörte dabei auch, die existenziell wichtige rechtliche Auseinandersetzung gegen den rechtlich professionell gemanagten "Betroffenen" durchzustehen. Die Fallhöhe war nicht nur wirtschaftlich immens, der Ruf der gesamten Redaktion stand auf dem Spiel. Ein außergewöhnlich lustloses negatives Urteil des Landgerichts Mannheim musste erst durch ein tiefgängiges Berufungsurteil des OLG Karlsruhe korrigiert werden, ehe der Sieg im einstweiligen Verfügungsverfahren feststand. Die Richtigkeit der Kontext-Berichterstattung war bestätigt, der Ruf und die Existenz gerettet.

Als nunmehr erwachsenes Medium wird Kontext noch viele, wahrscheinlich auch heftige, presserechtliche Sträuße auszufechten haben. Das wäre als Kompliment zu verstehen und selbstverständlich begleite ich Kontext hierbei auch weiterhin gerne.

Ich wünsche mir Kontext als selbstbewusstes und vielfältig interessiertes Medium. Ganz so, wie ich mir meine nun 13-jährige Tochter wünsche. Beide sind auf einem sehr guten Weg.


Markus Köhler ist Partner der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 07.04.2021
    Antworten
    „Ist der Ruf erst ruiniert, …“ NEIN, es gibt jetzt nichts fürs Phrasenschwein, jedoch dies [1].

    Vorbeugen ist besser als … Vorbeugend sich an fachlich qualifizierte zu wenden ist schon deshalb in _allen_ Lebensbereichen angesagt, da sich so unangenehme "Fallstricke" vermeiden lassen, zumindest…
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