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Keine Macht dem Ungeist

Keine Macht dem Ungeist
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Was macht der clevere Rechtsextremist? Er leugnet seine widerwärtigen Aussagen und stellt sich als Opfer der „Lügenpresse“ dar. Vor dem Mannheimer Landgericht hatte Marcel Grauf damit Erfolg – zum Entsetzen der Bundesjustizministerin a.D. Herta Däubler-Gmelin. Das Urteil des OLG in Karlsruhe hat sie wieder versöhnt. Warum die Mannheimer Richter sorgfältig darüber nachdenken sollten, begründet sie in ihrem Exklusivbeitrag.

Das OLG-Urteil lässt uns aufatmen, nachdem die Entscheidung des Landgerichts uns zunächst den Atem geraubt hatte. Da verfährt der Mitarbeiter von bekannten AfD-Abgeordneten im Stuttgarter Landtag jahrelang nach dem beklagenswert bekannten Muster: Jüdische Holocaust-Opfer wie Anne Frank oder mutige Widerstandskämpferinnen gegen den Staatsterror der Nazis wie Sophie Scholl werden mit übelsten, sogar ekelhaften macho-sexistischen Schmähungen beschimpft, Flüchtlinge und Ausländer werden in Stürmer-Manier rassistisch verunglimpft und das Anzünden von Asylheimen wird mehr als verharmlost. Auch demokratische Politiker werden beleidigt, ja mit Gewalttaten bis hin zum Mord bedroht.

Kurz: Man findet alles, was bei den Rechtsextremen leider üblich ist. In widerlicher Deutlichkeit. Das erfolgt per Chat und natürlich unter Pseudonym, man will ja schließlich immer sagen können, man war es nicht. Und wenn man doch dann erwischt wird? Schließlich gibt es Anständige, die so etwas nie mehr hinnehmen wollen. Diese Whistleblower nehmen persönliche Risiken auf sich, weil sie dieses Denken rechtzeitig mit der Hilfe unserer freien Journalisten öffentlich machen wollen, um zu warnen. Schließlich darf dieser verbrecherische Ungeist nie wieder Macht gewinnen.

Was macht der clevere Rechtsextremist in diesem Fall? Er leugnet alles und stellt sich – natürlich mit dem bekannten treuherzigen Augenaufschlag – selbst als das Opfer der "Lügenpresse" dar. Eine Masche ist es dann, vor Gericht auszuprobieren, wie weit unser Recht als Waffe verwendet werden kann. Soweit kennen wir das alles. Und wer häufiger mit Vertretern dieser Richtung zu tun hat, der kennt diese Masche längst. Der weiß auch, dass Abstreiten und die eigene Opferrolle durchaus Falschaussagen beinhalten können, wo immer das nützlich erscheint. Und wenn einem das dann nachgewiesen wird, dann hat man sich halt geirrt. Sorry.

Wichtig wie die Luft zum Atmen

Wir alle wissen, dass Journalistinnen und Journalisten, gerade die investigativ tätigen, für unsere Demokratie so wichtig sind, wie die Luft zum Atmen. Sie müssen die Wahrheit ans Licht bringen, das ist Teil ihrer Kontrollfunktion. Wenn die nicht mehr funktioniert, dann laufen alle unsere in der Verfassung verbrieften Bürgerrechte auf Freiheit, auf Respekt und auf Würde langsam aber sicher ins Leere.

Wir wissen auch, dass in Chats verschleiernde Pseudonyme üblich sind. Um sie verlässlich aufzudecken, brauchen Journalisten Geduld und ein hohes Maß an Professionalität. Nur so können sie die Beweise sichern, die dann Rechtsextremisten, die sich verschleiern, den Schleier vom Gesicht ziehen.

Das haben die Kontext-JournalistInnen in bewundernswerter Professionalität getan.

Umso problematischer ist es, dass die Richter des Mannheimer Landgerichts zwar alle Schriftsätze und Gegenschriftsätze vorliegen hatten, dass sie auch genügend Zeit hatten, zu einer rechtstreuen Beurteilung zu kommen. Dass sie dann jedoch urteilten, die Beweislastregeln zur Anerkennung der Entschleierung verlangten die Aufhebung des Quellenschutzes, also die Bekanntgabe und Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Whistleblowers, das muss mehr als befremden. Das ist weder juristisch akzeptabel, noch in einer rechtsstaatlichen, auf friedliches Zusammenleben ausgerichteten Gesellschaft mit freier Presse hinnehmbar. Das geht nicht. Wer so urteilt, muss wissen, was er tut: Er liefert Whistleblower dem Druck, den Drohungen von Rechtsextremisten aus. Das ist das Problem. Schon heute gibt es viel zu viel unbestrafte Einschüchterung durch Rechtsextreme gegen politische Verantwortungsträger, aber leider auch gegenüber Lehrern, deren Schüler von AfD-Politikern zur politischen Denunziation angestachelt werden.

Warum hat das Landgericht Mannheim derart versagt?

Richtig, ja juristisch unverzichtbar ist es, dass ein Gericht sich von der sorgfältigen, hochprofessionellen Arbeitsweise der investigativen Journalisten und damit von der Korrektheit der Entschleierung von Pseudonymen und der Urheberschaft überzeugt. Das konnte das Mannheimer Gericht tun; die Arbeitsweise der Kontext-Artikel ist einwandfrei. Im vorliegenden Fall haben die Richter dann jedoch den Aussagen des Rechtsextremen geglaubt, er habe zwar tausende von Chat-Nachrichten unter dem angegebenen Pseudonym geschrieben, aber genau diejenigen nicht, die in dem Artikel von Kontext zitiert und veröffentlicht wurden. Obwohl die nach Wortwahl und Duktus genau passten.

Das Mannheimer Gericht hatte auch alle Unterlagen vorliegen, hat sie aber nicht ausreichend verwendet. Natürlich stellt sich jeder jetzt die Frage, warum das LG Mannheim so versagte. War es Überlastung oder Flüchtigkeit? Kaum anzunehmen bei einer Entscheidungsdauer von acht Wochen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Kannte das Gericht das bekannte Muster nicht, sich beim Erwischtwerden als Opfer zu stilisieren, und hat sich deshalb keine weitere Mühe machen wollen? Ist es dem deshalb auf den Leim gegangen? Korrekte Rechtsprechung, wie unsere verfassungsgemäße Rechtsordnung sie verlangt, war das jedenfalls nicht. Auch Beweislastregeln dürfen nicht als Waffe gegen Whistleblower und korrekten Journalismus und damit zum Schutz von cleveren Tätern angewandt werden.

Es ist gut, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe das korrigiert hat. Bleibt die Aufforderung an die betroffenen Richter in Mannheim, das alles sorgfältig zu bedenken. Für künftige Entscheidungen. Und die Aufforderung an die Staatsanwaltschaft, endlich tätig zu werden, weil ja nicht nur die strafbaren Verleumdungen, Drohungen und Verharmlosungen von Straftaten, sondern auch mehrere falsche eidesstattliche Erklärung strafrechtlich verfolgt werden müssen.


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11 Kommentare verfügbar

  • Peter Cuenot
    am 20.02.2019
    Antworten
    Was Frau Herta Däubler-Gmelin im letzten Abschnitt ihres Beitrags anspricht, ist ja gerade das, was jetzt noch passieren kann. Wie Frau Däubler-Gmelin bestens weiß,

    "liegt der Unterschied zwischen dem Hauptverfahren und dem hier vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren im zeitlichen Ablauf…
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