Drei Wochen ist er in der Reha. Für ihn ist es keine einfache Zeit, denn er trifft auf Leute, denen es noch schlechter geht. Jede freie Minute läuft er durch den Wald, läuft und läuft wie besessen, bekommt das Gefühl, dass der Boden unter den Füßen langsam trägt. Danach wieder zur Agentur für Arbeit, dieses mal Reha-Beratung. Falsches Zimmer, falscher Name. Der Kollege war aber enorm hilfreich.
Jetzt endlich in Rente. Dort, wo die Gießerei stand, dort wo er 45 Jahre mit einer verschworenen Gruppe von Kollegen komplexe Formen gebaut hat, hängen viele Erinnerungen. Gute und schlechte, betont er nachdenklich. Der Mutterkonzern gibt viel Kohle als Sponsor für den Fußball. "Für uns hatten sie damals nichts übrig. Wir hätten nur einen kleinen Teil der Sponsoring-Gelder gebraucht." In einem süffisanten Leserbrief hat er mal geschrieben, man solle die Gießerei in "Arena" umbenennen. Für Arenen gäbe es schließlich locker Geld. Doch all das ist längst Geschichte. Den kritischen Journalisten von der Zeitung haben sie sowieso nicht mehr auf das Gelände gelassen.
Der Zusammenhalt der Kollegen war super. Das wird ihm immer in Erinnerung bleiben. Der größte Rückhalt war in all den schwierigen Jahren der Betriebsrat. Der hat immer für die Kollegen gekämpft. Fünf oder sechs Geschäftsführer hat er überlebt. Jeder hatte neue Ideen und Flausen im Kopf. "Es wäre gut gewesen, wenn die mal auf uns und auf unseren Betriebsrat gehört hätten. Dann wäre es nicht soweit gekommen." Davon ist er überzeugt. Und fügt bitter hinzu: "Oder wollten sie es überhaupt anders?" Manchmal überkommt ihn dann der Hass auf die Verantwortlichen. Sie haben das Ende der Gießerei auf ihrem Gewissen.
"Jungen Leuten würde ich als Erfahrung von damals mit auf den Weg geben: Kämpft in eurer Firma miteinander und nicht gegeneinander. Gemeinsam seid ihr stark gegen die Chefs. Lasst nicht alles mit Euch machen. Geht in die Gewerkschaft. Kämpft für euch um Gerechtigkeit. Sonst wären wir in der moderneren Sklavenzeit, die nur der Firma was bringt und nicht euch." Es sind nicht die gewohnten Sätze aus Kundgebungen, die er von sich gibt, es sind keine Phrasen. Es ist das Resumee eines bewegten Berufslebens mit zwei Insolvenzen und einer Entlassung. Er lehnt sich zurück. Man kann ihn verstehen.
"Ich fang jetzt langsam wieder an", meint er zum Schluss. Er sitzt jetzt wieder öfter mit den Nachbarn in der Siedlung zusammen, geht raus, redet. Die Nächte sind erholsam. Und er muss nicht mehr befürchten, dass am Ende des Monats kein Geld mehr kommt. Über allem freut er sich an seiner Enkelin. Die ist dreieinhalb Jahre alt und hat ihm in den letzten Jahren mit ihrer ausgelassenen Lebendigkeit viel geholfen. "Ja, jetzt fang ich langsam wieder an", sagt Walter.
Rolf Siedler und Joachim E. Röttgers: Der letzte Guss. Herausgegeben von der Katholischen Betriebsseelsorge Aalen, Einhorn-Verlag Schwäbisch Gmünd, 2018, Preis 19,80 €.
Autoren und Herausgeber stellen das Buch am 4. Dezember, 19.30 Uhr, in der Stadtbibliothek Heidenheim vor.
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