Lange Zeit war es um Hartz IV relativ ruhig geworden. Nun haben mit SPD-Chefin Andrea Nahles und Grünen-Chef Robert Habeck ausgerechnet die Vorsitzenden der beiden Parteien, die 2005 Hartz IV eingeführt haben, vor Kurzem Reformvorschläge in die Debatte geworfen, über die es sich zu diskutieren lohnt. Man kann nun insbesondere Nahles reflexartig der Heuchelei bezichtigen, wie es manche Stimme aus der linken Ecke tut. Oder man kann die Diskussion für unnötig und Hartz IV zum Erfolgsmodell erklären. In diese Richtung gehen Einlassungen von CDU, FDP und aus arbeitgebernahen Wirtschaftskreisen. Man kann die Vorschläge aber auch zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, unter welchen Voraussetzungen und insbesondere mit welchem Menschenbild Hartz IV eingeführt wurde und wie sich die Gesellschaft seitdem entwickelt hat.
Die Vorschläge von Nahles und Habeck sind im Einzelnen recht unterschiedlich, beide sind sich jedoch einig darin, was falsch läuft. So schreibt Habeck <link https: www.gruene.de ueber-uns impulse-debattenbeitraege-zum-grundsatzprogramm anreiz-statt-sanktionen-bedarfsgerecht-und-bedingungslos.html _blank external-link>in einem Debattenbeitrag zu dem geplanten neuen grünen Grundsatzprogramm: "Dem Hartz-System liegt die Auffassung zugrunde, dass Arbeitslosigkeit ein individuelles Problem ist. Wenn jemand keine Arbeit hat, sucht unser System zunächst die Schuld bei der Person selbst. Es wird erstmal angenommen, dass arbeitslose Menschen überhaupt nicht arbeiten wollen. Das ist falsch."
Grundsicherung gegen Missbrauch?
Die SPD-Vorsitzende, die in einem Beitrag für die FAZ vom 19. November eine <link https: www.spd.de aktuelles detail news nahles-sozialstaat-reform _blank external-link>grundlegende Hartz- IV- Reform fordert, sagte wenige Tage später <link http: www.spiegel.de politik deutschland spd-chefin-andrea-nahles-zu-hartz-iv-jetzt-ist-eine-grundsanierung-faellig-a-1239778.html _blank external-link>in einem Spiegel-Interview: "[Hartz IV] ist mit Perspektive auf den Missbrauch konstruiert worden – und nicht auf diejenigen, die es brauchen. Deshalb ist Hartz IV bis heute vom Bild des faulen Arbeitslosen geprägt." Nahles folgert kurz und knapp: "Ich halte dieses Bild für falsch."
Während Teile der Grünen schon länger von Hartz IV abrücken, ist es ein Novum, dass die Spitze der SPD die "Grundsicherung für Arbeitssuchende", wie Hartz IV offiziell heißt, in Frage stellt. Bisher stand die Führung der Sozialdemokratie, auch wenn ihr die Mitglieds- und die Wählerschaft in Scharen davongelaufen ist, in Nibelungentreue zur Agenda 2010 und den damit verbundenen Arbeitsmarktreformen. Auch von Andrea Nahles sind aus ihrer Zeit als Arbeits- und Sozialministerin im Kabinett Merkel III keine Hartz-IV-kritischen Töne überliefert. Und der Höhenflug von Martin Schulz, der in den ersten Monaten des vergangenen Jahres eine Zeit für mehr Gerechtigkeit angekündigt hatte, wurde von den Parteigranden, die weiland alle für Hartz IV den Finger gehoben hatten, rasch wieder unsanft gebremst.
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Manfred Fröhlich
am 28.11.2018