Bis in die frühen 1990er hat sie sich in einem Verlag für die Interessen der Erwerbstätigen eingesetzt, dann die Seite gewechselt. Bei SALZ war eine Stelle frei geworden. Fortan setzte sie sich für die Erwerbslosen ein. "Das war für mich ein völlig neues Feld und ganz faszinierend, weil es die andere Seite der Medaille war. Wir konnten unabhängig arbeiten, deswegen konnten wir auch politische Arbeit machen", erinnert sie sich stolz. Der Ordner ist randvoll mit Dokumenten und Briefen, die die erfolgreiche Arbeit des SALZ-Teams bezeugen.
Von ihrem Wohnzimmer aus bestückt sie die Homepage von Lagalo, der Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeitslosentreffs und Arbeitslosenzentren in Baden-Württemberg, einer losen Zusammenkunft einschlägiger Sozialarbeiter und Initiativen. Sie arbeitet ehrenamtlich, unter anderem auch, weil der Staat neben den Jobcentern kaum noch Gelder für die Beratung Erwerbsloser zur Verfügung stellt.
Die Worte sprudeln förmlich aus ihr heraus. Cheval-Saur ist kaum zu bremsen, wenn sie von Isolation erzählt, von der Neoliberalisierung des Arbeitsmarkts, von unsinnigen Sanktionen und fehlender Hilfe zur Selbsthilfe. Würde ist ein wiederkehrendes Thema, häufig fällt der Ausdruck Teufelskreis. Sie klingt entspannt, lacht viel, doch die Empörung schwingt mit.
Totalitäres Armutsregime
Zwölf Jahre lang hat die ehemalige Gewerkschafterin bei SALZ Arbeitslose beraten, bevor Hartz IV in Kraft getreten ist. "Das war eine gesellschaftliche Veränderung, die so auch gewollt war", sagt sie. Fortan galten erwerbslose Menschen nicht mehr als arbeitslos, sondern als hilfebedürftig. "Das Unglaubliche dabei ist, dass jetzt alle Menschen behandelt werden, als würden sie Unterstützung brauchen. Das ist eine diffizile Sache, die etwas in den Menschen verändert hat."
Diese sogenannte Reform sei der Höhepunkt eines gewollten Wandels des Arbeitsmarkts gewesen, der Versuch, die Massenarbeitslosigkeit der späten 90er und frühen 2000er mit Billiglohnjobs zu bekämpfen. "Hartz IV war letztlich nötig, um die prekären Arbeitsplätze auch auszufüllen. Denn freiwillig ist da niemand reingegangen."
Heute leben deutschlandweit 4,3 Millionen Menschen von Arbeitslosengeld II, davon beinahe eine Million schon seit Einführung der Gesetze 2005. In Stuttgart sind circa 22 000 Haushalte betroffen, das entspricht mehr als 40 000 Menschen, darunter etwa 13 000 Kinder. Die Angst vor den prekären Arbeitsverhältnissen ist längst verflogen, viele Leistungsempfänger sind froh, überhaupt eine Stelle zu finden. Auch wenn sie nur über dubiose Leiharbeitsfirmen an die Jobs kommen.
"Das hat Leute getroffen, die in einer regulären Arbeit waren und jetzt durch Sanktionen gezwungen wurden, einen solchen Job anzunehmen", sagt Cheval-Saur. Die Angst vor dem Arbeitlosengeld II habe viele Menschen dazu verleitet, sich mit den verrücktesten Ideen selbstständig zu machen, was häufig scheiterte. Ein Ende ist nicht in Sicht: "In den letzten zehn Jahren hat sich das noch verschärft. Der soziale Druck wurde immer stärker, und die Menschen wurden immer ärmer."
Experten wie der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge sprechen längst von einem "totalitären Armutsregime", das die ganze Gesellschaft und das Leben aller Betroffenen durchdringt. Nicht zu Unrecht, wie das Statistische Bundesamt in einer Studie 2011 feststellte. Demnach ist die Armutsrisikoquote seit 2005 von 13 auf 16 Prozent gestiegen. Und eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus demselben Jahr stellt fest, dass die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit nach den Reformen ähnlich kurz war wie zuvor. Damit wurde eines der erklärten Ziele der damaligen Bundesregierung klar verfehlt.
Sanktion statt Motivation
Trotzdem baut der Staat weiter auf Überwachung und Sanktion. Die Jobcenter handeln weiterhin auf Linie, vermitteln prekäre Arbeitsverhältnisse und Hilfsjobs, schüren Existenzängste durch Leistungsentzug und Gängelung der Leistungsbezieher. Sanktion statt Motivation, aufgedrängte Unterstützung statt Hilfe zur Selbsthilfe. Selbst Kinder sind betroffen, dank des Konstrukts der sogenannten Bedarfsgemeinschaft, das die ganze Familie in Sippenhaft nimmt.
Sie habe schon erlebt, dass das Amt eine Rückforderung an einen Säugling gestellt hat, sagt die Mutter von drei Kindern, bevor sie von einer Familie aus der Mittelschicht erzählt, die ALG II beantragen musste. "Damals kam ein Brief, in dem die Kinder ausfüllen sollten, wie ihre beruflichen Vorstellungen aussehen." Besagte Kinder waren zwar im erwerbsfähigen Alter, besuchten allerdings noch das Gymnasium und wollten ihr Abitur machen. "Das System ging natürlich davon aus, dass sie potenziell arbeiten könnten. Hartz-IV-Familien unterliegen dem Druck, selbst ihre Kinder möglichst bald in den Arbeitsprozess einzubeziehen." Arbeit geht vor Bildung.
Bei 399 Euro zuzüglich einer Pauschale für Miete und Heizung liegt der Regelsatz aktuell. Hinzu kommt ein Bildungspaket für Kinder, das ihnen die Teilnahme an Klassenfahrten oder die Mitgliedschaft in Sportvereinen ermöglichen soll. Unzählige Leistungsbezieher liegen jedoch unter dieser sogenannten Existenzsicherung, weil ihre Miete im angespannten Stuttgarter Wohnungsmarkt über der gesetzlichen Obergrenze liegt. Wer keine billigere Wohnung findet oder nicht umziehen will, muss Einschnitte in Kauf nehmen.
Die finanziellen Nöte sind aber nur ein Aspekt, das Soziale ein anderer. Wer nur 399 Euro im Monat zur Verfügung hat, kann am gesellschaftlichen Leben praktisch nicht mehr teilnehmen. Geld für einen Cappuccino mit Freunden oder für einen Kinobesuch ist nicht vorhanden. Hinzu kommen Vorurteile, die am Selbstbewusstsein nagen. In einer reichen Gegend wie der Region Stuttgart arm zu sein sei noch schlimmer als ohnehin schon, mein Cheval-Saur. (Siehe auch Arm in einer reichen Stadt.) "Wer arbeiten will, findet doch auch etwas", lautet die gängige Meinung in der Stadt. "Ich weiß aus vielen Erzählungen, dass die Menschen das nicht mehr hören können. Diese Nachfragen, ob man sich hier oder da schon beworben hat. Diese Unterstellung, selbst nichts gegen die Situation zu tun, faul zu sein", so die Diplom-Sozialarbeiterin. Die Folge sind soziale Isolation und Depression: "Diese ständige Rechtfertigung und nie in der Lage zu sein, mit Freunden etwas trinken zu gehen, zermürbt die Leute."
19 Kommentare verfügbar
Maria
am 26.02.2017besitzen 10% der Deutschen 59,8% des Gesamtvermögens.
Die ärmsten 50% aller Deutschen müssen sich nur 2,5% teilen.
Und 40% aller Deutschen teilen sich die restlichen 37,7%.
(= Das heisst, dass 90% !!! aller Deutschen nur 40,2% des Gesamtvermögens zur Verfügung haben, es müsste das Doppelte dieses Betrages sein und allen Deutschen damit gut geht und sie ein Würde-volles Leben führen können,
so wie es im GG Art. 1 festgeschrieben steht:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Die Würde des deutschen Menschens auch!!!
Was dieses Thema betrifft, kann schon seit Jahrzehnten von „Balance“ keine Rede mehr sein und die sozialen Unterschiede sind heute schlimmer als vorstellbar.
Anonym
am 25.03.2015die die noch einen job haben, können von glück reden. aber sie mobben auch ohne ende. jeder hat angst ins abseits zu geraten. das klima in deutschland ist so elend geworden. und unsere politiker gucken einfach weg. die retten die ganze welt, und nebenher hetzt man noch ein bisshcne gegen die arbeitsuichenden um ihnen den rest zu geben.
WANN wacht die deutschen endlich auf und wählt anders?
das problem verschärft sich mit zunehmendem alter - für jeden.
wenn man langzeitarbeitslose vom minestlohn ausschliesst: hallo? geht's noch? wie krank ist unsere politik. wieso wird den menschen nicht geholfen, wieso drückt man sie vollends in den dreck?
ich bin fassungslos über unsere politik.
Anonym
am 10.02.2015es ist eine schande für unser land gesunde menschen psychisch fertig zu machen. die schuld und das misswirtschaften und die unfähigkeit unserer politiker auf dem rücken der einzelnen abzuladen. unsere politiker gehören ALLE abgewählt. stopfen sie sich doch ganz klammheimlich, aber regelmäßig ihr täschlein voll (ein kleines diätchen hier noch eines da) und das volk lässt man in armut isolation und psychoterror verrecken.
ich empfinde tiefsten ekel für solches vorgehen.
wird ein kleiner bürger unter hartz 4 sanktioniert und wird ihm ggfs ganz schnell bei missverstehen der anträge grobe fahrlässigkeit unter strafe bis zu 5000 euro angedichtet, so dürfen die "da oben" schick am staat vorbeischleusen.
wie will ein ende 40 jähriger jemals wieder aus hartz 4 rausfinden? das bedeutet, leben in höhe der grundsicherung bis ins grab.
wenn unser land sein eignes volk so dermassen hasst, wieso habt ihr dann nicht den mut alternativ zu hartz 4 sterbehilfe anzubieten?
peter-deutsch
am 01.02.2015Bona
am 31.01.2015ca. 4 Millionen und mehr Arbeitslose passen nun einmal nicht in 300.000 offene Stellen, da nützen auch keine netten Gespräche mit den lieben Arbeit-Ver-gebern mehr.
Knut Busch
am 31.01.2015Eins bleibt jedoch unerwähnt, die Rolle der Arbeitgeber und die Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Jobcentern. Würde die Hälfte der 'Sanktionsverhänger' ihre Sessel verlassen und den Dialog mit den Arbeitgebern suchen, wäre das eine enorme Chancenverbesserung für Arbeitssuchende. Ein anstrengendes Unterfangen, wie ich selbst über längere Zeit feststellen musste.
Aber sehr viel erfolgreicher, als datengefilterte Angebote vom Bildschirm an Arbeitswillige weiterzugeben. Arbeitgeber, besonders jene, die 'einfache Arbeitsangebote' zu vergeben haben, sind mit den Klisches der Bevölkerung und mit mangehafter Information so verunsichert, dass sie auf Zeitarbeiter und EU Fremdkräfte zurückgreifen. Forderungen wie Führerschein und spezielle Ausbildung werden vorgeschoben, obwohl sie völlig überflüssig sind.
Hier muss eine Menge Aufklärung erfolgen, um die Faulenzerdebatte zu entkräften, um die Ängste aufzuweichen, dass Arbeitslose nur schwer in Strukturen zurückzuführen sind.
Statt fragwürdiger Maßnahmen, bei denen oft genug pädagogisch unterqualizizierte Anleiter vermitteln, wie man Zeit totschlägt, muss den Arbeitgebern professionelle Unterstützung in Form von Begleitpersonen zur Seite gestellt werden.
Meine Erfahrung ist, dass wer wieder am regulären Arbeitsleben teilnimmt, jeden Tag motivierter wird und in der Regel eine hohe Lyalität aufbringt, weil sich kein Arbeitgeber
auch nur annähernd so verhalten wird, wie die Götter mit dem großen A auf ihrem Tempel.
Arbeitslosigkeit bekämpfen, allein in dem Begriff liegt Zynismus. Um Jene, welche die 'Arschkarte' gezogen haben, wieder ins Leben zurück zu holen, müssen wir dort ansetzen, wo es Arbeit gibt. Und die gibt es langfristig nicht bei Maßnahmeträgern und auch nicht bei verantwortungslosen Sklavenhändlern.
Bel
am 31.01.2015Vielleicht kann Frau Cheval-Saur erwähnen, wie es sich - mit haargenau dem gleichen Regelsatz wie H4 - als Armutsrentner mit "aufgestockter" Rente und allerdings sogar bis ans Lebensende lebt?
Angeblich wurde der H4-Regelsatz in seiner völlig unzureichenden Niedrigkeit doch "nur für begrenzte Zeit" erstellt, da man spaßigerweise davon ausging, dass die Erwerbslosen schnell wieder gut bezahlte Arbeit finden. Was für ein Irrtum und bisher leider nicht korrigiert...
Bei den alten Aufstocker-Rentnern nun zu akzeptieren und vorauszusetzen, dass diese nun ganz selbstverständlich bis ins Grab von der schandbaren Grundsicherung leben sollen, ist an Zynismus und Menschenfeindlichkeit nicht zu überbieten.
Ein alter Mensch KANN mit diesem Geld NICHT leben, er hat wesentlich größere und dringendere Ausgaben als ein Jüngerer, sei es an orthopädischen Hilfsmitteln, Medizin, Nahrungsergänzung, Therapien, massive Zusatzkosten beim Arzt, Pflege und Transport, spezieller Nahrung und Kleidung und vieles mehr, was ihm das Leben im Alter etwas erträglicher macht.
Wenn aber all diese zusätzlichen Ausgaben von den Betroffenen NIE gekauft werden können, weil der Staat/wir Alle das anscheinend so wollen, wird damit den alten Mitbürgern - ganz vorsätzlich - das Leben unmöglich gemacht, sind die letzten Jahre nicht mehr lebens-wert und es ist wahrlich besser gleich zu sterben.
Was für eine Schande für ein reiches Land mitten in Europa!
cource
am 30.01.2015FernDerHeimat
am 30.01.2015CJB
am 29.01.2015Stop. Falsch.
Der Regelsatz liegt bei derzeit 399 Euro, das ist richtig.
Eine "Pauschale" gibt es aber weder für Wohnen noch für Heizkosten - Gott sei dank! Es gibt auch keinen "Zuschuß", was ebenso vielfach behauptet wird.
Pauschale heißt es gibt für jeden denselben Betrag, egal wie hoch die tatsächlichen Kosten sind.
Zuschuß bedeutet genau dasselbe, mit dem Unterschied, daß der gewährte Betrag in jedem Fall nur einen geringen Teil der Kosten deckt.
Tatsache ist, daß das Gesetz keine festen Grenzen für Unterkunfts- und Heizungskosten kennt. Es heißt in § 22 SGB II: "Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."
Zu finden hier:
http://dejure.org/gesetze/SGB_II/22.html
- "...soweit diese angemessen sind", sagt das Gesetz. Keine Pauschale, kein Zuschuß.
Das sollte man immer im Auge behalten, wenn das "Jobcenter" wieder einmal glaubt, sich seine eigenen Gesetze machen zu können.
Hendrik
am 29.01.2015http://www.die-anstifter.de/veranstaltungen/bedingungslos-gluecklich-freiheit-und-grundeinkommen/
oder:
https://www.facebook.com/grundeinkommen.stuttgart
Sol Roth
am 29.01.2015Doch was kann man Menschen die darunter Leiden mitgeben, damit sie den Mut nicht verlieren?
Eine Möglichkeit ist z. B. der Österreicher Viktor Frankl. Er hat selber unendliches Leid erfahren. Trotzdem hat er den Lebensmut nicht verloren.
Sehr empfehlenswert ist das Büchlein "... trotzdem ja zum Leben sagen".
Wer unter "Viktor Frankl" und/oder "Logotherapie" sucht findet viele kostenlose, hilfreiche Informationen im Internet.
Oder wie Friedrich Nietzsche sagte: "Wer ein Wofür im Leben hat, der kann fast jedes Wie ertragen."
verarmter bundesbürger
am 29.01.2015-- Primo Levi
peter-deutsch
am 29.01.2015Wenn es FAKT wäre das wirklich JEDER mal eben schnell ne Arbeit findet würde den Menschen ja auch kein Schaden entstehen wenn sie "weniger" bekommen > sie könnten ja mit "Arbeit" aufstocken ... das dies garnicht möglich ist finde ich als Beweis in der Auswertung der BA am Ende des Jahres 2014 in der Weihnachskarte = 12 Mio Menschen konnten in 10 Jahren in Arbeit vermitteln werden !! Nach mathematischen Kenntnissen sind dies 100000 Stellen pro Monat auf 6 Mio Arbeitssuchende ... WO haben Menschen bei diesen Zahlen eine Chance ??
Hjoburg
am 29.01.2015Ich dachte immer solch Gedankengut gibt es nur in Diktaturen, aber dass es auch in Demokratien vorkommt war mir neu. PEGIDA passt auch hier zu.
peter-deutsch
am 28.01.2015Andrea
am 28.01.2015Man wird schriftlich einbestellt, selbstverständlich mit Androhung von Leistungskürzung bei Nichterscheinen. Vor Ort trifft man dann auf 20 - 30 Leidensgenossen vor Stellwänden an die Stellenanzeigen aus dem Onlineangebot des Amtes gepinnt wurden. Unter der Überschrift "Jobs mit Zukunft" fand man da die Anzeigen der Weihnachtsmarktbeschicker nach Verkaufsaushilfen.
Danach dann zum persönlichen Gespräch zu - bei mir - einer der 3 Beraterinnen. Wer das Procedere nicht kennt oder nicht schnell genug durchschaut sitzt mitunter Stunden vor der geschlossenen Tür - ja, man "darf" sich selbst über Reihenfolge und Hackordnung einigen.
Und drin? Drin bekommt man wiederum Stellenanzeigen aus dem Onlineangebot verordnet, gewürzt mit Aufmunterungen wie "wir können ja froh sein, wenn wir für Sie noch was finden".
Danke, ich bin MItte 40. Gefunden habe ich etwas. Doch die 6 Monate haben mir wirklich Angst gemacht. Die größte Angst war, noch einmal zu einer solchen Veranstaltung antreten zu müssen.
Tom
am 28.01.2015Ich persönlich war Student in Stuttgart, studierte meinen Traum und hatte nur noch 2 große Arbeiten und ein Praxissemestr vor mir. Dann wurde ich krank. Schwer krank. Monatelang fand man keine Diagnose, war in Krankenhäusern und Kliniken und irgendwann wusste man, was es ist, nachdem ich mit letzter Kraft selbst gehandelt habe und mich aus einer Klinik entlassen habe. Seit fast auf den Tag genau 2 Jahre ist das nun her. Die Uni war entgegenkommend, aber ich wurde dann exmatrikuliert damit ich problemlos später wieder einsteigen kann ohne Berge an Anträgen genehmigen lassen zu müssen.
Somit ALG2 beantragt im März 2014. Eigentlich bekomme ich sogar mehr Geld als zu meiner Studentenzeit, aber meine Krankenkasse weigert sich teils völlig wahllos meine Medikamente zu bezahlen. Trotz Stellungnahme meiner Ärzte, dass ich Medikament XY für die Therapie benötige behauptet meine Krankenkasse, dass das nur Nahrungsergänzungsmittel sind. Schlussendlich sind das gut 100 Euro im Monat., die ich draufzahlen muss. Meine Ärzte sind Spezialisten, ich muss 200km hinfahren und es dauerte wie o.g. Monate bis ich überhaupt die Diagnose hatte - Ersatz ist in der Umgebung nicht auffindbar. Als Student war ich privat versichert. Die Ärzte sind privat, allerdings weit über meinen Sätzen, d.h. jedes Mal zahle ich da drauf (nicht nur Benzin fürs Auto meiner Eltern,...). Aktuell hat mich die private Krankenkassen, die das Jobcenter übernehmen muss, aus dem Studententarif geschmissen. Trotz Nachweisen will man das im Jobcenter nun nicht mehr bezahlen. Das geht vor Gericht vermutlich. Den Angestellten im Jobcenter ist die Situation bewusst, aber hier geht es nur ums Geld und nicht darum, dass ich sonst keine guten Ärzte mehr habe und die Chance auf Gesundung sinkt. Ich habe nun 2x mal die geforderten Unterlagen über die Krankenkasse abgegeben und jetzt wurden sie nicht anerkannt nach dem Motto "wir haben bisher nur XXX bezahlt, jetzt YYY. Das kann nicht sein". Ich wundere mich, dass so wenig Menschen Amok in diesen Ämtern laufen. Das ist nicht nur entwürdigend, diese Willkür nimmt mir persönlich die Chance auf Heilung. Ohne meine Eltern würde ich das gar nicht schaffen.
Aber es geht ja weiter. Trotz eines Aktenordners voller Untersuchungsberichte und Diagnosen und der Schweigepflichtsentbindung meiner Ärzte hat das Amt letztes Jahr eine Art Gutachten erstellt. Ergebnis war, dass ich voll arbeitsfähig bin, maximal psychisch einen Weg hätte und vielleicht Psychotherapie gut wäre. Zwar wurden meine 6 Infektionskrankheiten genannt, allerdings ging der Gutachter davon aus, dass die Infektion nur auf dem Papier besteht und keine gesundheitlichen Auswirkungen hat. Das wurde mir alles früh morgens von meiner Sachbearbeiterin mitgeteilt. Sie meinte dann auch, dass ich einfach monatlich Krankmeldungen vom Arzt bringen soll, dann wäre sie zufrieden. Eingliederungsvereinbarung lautete natürlich dann, dass ich mich um Arbeitsplatz kümmern muss. Gegen die Begutachtung könnte ich mich wehren, allerdings bringt das ja nichts bzw. hätte sie dann mehr Arbeit.
Da es mir etwas besser ging wollte ich zu dem Zeitpunkt darüber sprechen ob ich nicht etwas von zu Hause aus arbeiten kann (online, Webseiten, etc...). Das geht nicht. Wäre zu umständlich weil ich ja krank bin und nichts verdienen kann, da müsste der Arzt nochmal andere Stellungnahmen schreiben, man kann nicht krank sein und Geld verdienen. Leider ging das Gespräch an der Stelle abrupt zu Ende da der nächste Kunde schon 3x an der Tür klopfte. Es bestand kein Interesse, dass ich trotz meiner Lage eigentständig von zu Hause aus 100-500 Euro im Monat verdienen könnte. Schwarz will ich das niemals machen - wie auch, wird ja alles von vorne bis hinten kontrolliert an Kontoauszügen und außerdem würde ich die Arbeiten ggf. als Referenz nehmen wenn ich wieder gesund bin.
Immerhin, meinen Weiterbewilligungsantrag habe ich in unter 5 Minuten ausfüllen können. Wenn es die Gesundheit zulässt werde ich da heute wegen der Krankenkasse ein persönliches Gespräch führen. Das läuft dann so ab wie die mich behandeln: Sachlich und durch die Person hindurchschauen als ob sie gar nicht real ist sondern nur auf dem Papier existiert.
peter-deutsch
am 28.01.2015