Sie haben insbesondere die Strukturen der Evangelischen Brüdergemeinde untersucht. Haben Sie ein Korntaler Spezifikum entdeckt, etwas Spezielles, das diesen Missbrauch an Heimkindern gefördert hat?
Noch gibt es keine vergleichenden Untersuchungen. Aber natürlich kenne ich die anderen Berichte und weiß, dass es auch in anderen Kinderheimen eine strafende, autoritäre, hierarchische Erziehungsstruktur gab. In Korntal kam eine sendungsorientierte, religiöse Autorität dazu – es gab einen religiösen Alltag, eine nicht hinterfragte Religiosität, in die Erzieher und Kinder eingebunden waren und wo Letzteren das Böse ausgetrieben werden sollte. Sie sollten mit religiös-autoritärer Gottesfurcht zu sogenannten normalen und angepassten Bürgern gemacht werden, die ihr Leben auf die Reihe kriegen.
Das war, wie ich aus Gesprächen mit Betroffenen weiß, für die ehemaligen Heimkinder eine zusätzliche große Belastung: Weil zu der autoritären Kälte noch das religiöse Verfehlen dazukam.
Und damit ein ständiges Schuldbewusstsein, ein schlechtes Gewissen. Viele haben das so verarbeitet, dass sie Religion und Religiosität hassen und heute mit Abscheu betrachten. Unter pädagogischen Gesichtspunkten, Kinder so – autoritär und strafend – mit Religiosität und Gott zu konfrontieren, ist das aus heutiger Sicht ein Supergau.
Damit haben Sie sich nun ein Jahr lang beschäftigt. Was kann, was muss die Evangelische Brüdergemeinde daraus lernen?
Ich bin mit der Rekonstruktion des Aufklärungsprozesses bis zu diesem Punkt sehr einverstanden. Bei anderen Fällen von Gewalt und Missbrauch in Heimen ist es so, dass der Bischof einen Auftrag gibt, dass das Ministerium sagt, was zu machen. Dass es wie hier in Korntal – bei allen Kontroversen – eine Aufarbeitungsgruppe gab, dass es eine Moderation gab, eine Informationskultur, eine Vortragsreihe – das ist eine Struktur, die findet man nicht so oft.
Ein Lob also an die Brüdergemeinde, die mit Anerkennung während des vierjährigen Aufklärungsprozesses nicht eben verwöhnt wurde. Nochmal gefragt: Wie geht es nun weiter?
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Ludwig Pätzold
am 11.02.2019