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Kein Blumentopf zu gewinnen

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Öffentlich wurde der Skandal 2014. Vor einem Jahr übernahm Mechthild Wolff die Aufgabe, die dunkle Heimvergangenheit der Evangelischen Brüdergemeinde in Korntal auszuleuchten. Große Hoffnungen wurden in die Landshuter Professorin gesetzt. Was ist geblieben?

Zunächst einmal Empörung. "Ich höre doch nicht auf, ich fange erst an", versucht Mechthild Wolff gegenüber Kontext die Wogen zu glätten. Doch wenn sich die Vertreter der Evangelischen Brüdergemeinde und der Korntaler Heimopfer am 10. Februar treffen, wird dies das letzte Mal sein. Die Chefin der Aufarbeitung beschränkt sich auf die Wissenschaft. Das ist aus Sicht der Erziehungswissenschaftlerin verständlich. Ein Forschungsprojekt verspricht Reputation, auch ein Buch schadet dem Image nicht, und dazu braucht man vor allem Ruhe.

Nun ist Wolffs Aufgabe kein wissenschaftliches Projekt wie die Erforschung der Fruchtfliege. Es geht um missbrauchte und gedemütigte Heimkinder, die bis heute an ihrer Kindheit in den Heimen der Evangelischen Brüdergemeinde leiden. Viele von ihnen sind krank, haben Therapien hinter sich und leiden unter den Folgen. "Bis heute habe ich Schwierigkeiten, fremden Menschen zu vertrauen", sagt Martina Poferl, die schon als Säugling in den Korntaler Heimen lebte. Es geht auf der anderen Seite um die Evangelische Brüdergemeinde, die sich lange wenig aktiv um Aufklärung bemühte. Es geht um Anerkennung des Leids und Entschuldigung, um angemessene Entschädigung der Opfer und nicht zuletzt um die interne Aufarbeitung bei der Evangelischen Brüdergemeinde selbst.

Dass die Leitung eines so heiklen Prozesses kein ruhiger Sesseljob werden würde, war schon vor der ersten Sitzung der Steuerungsgruppe klar. Die Evangelische Brüdergemeinde brauchte ein Jahr, bis sie mit Mechthild Wolff jemanden fand, der sich der Aufgabe stellte und von den Heimopfern schließlich akzeptiert wurde. Der evangelische Landesbischof Otfried July feierte die Entscheidung ("kompetente Frau") im <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft ein-herz-fuer-die-heimopfer-2625.html _blank external-link>Kontext-Interview. Große Hoffnungen waren mit der 53-Jährigen verknüpft, die schon am Runden Tisch in Berlin saß, einer von der Bundesregierung 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe, die Verhaltensregeln und Lösungen im Umgang mit Kindesmissbrauch entwickeln sollte. Mechthild Wolff hatte Erfahrung, sie war die Frau der Stunde. Doch die Bilanz nach einem Jahr fällt ernüchternd aus.

Zwölf Monate lang hatte die Brüdergemeinde nun Zeit, sich intern dem eigenen Versagen zu stellen. Wie konnte es passieren, dass Kinder im Hoffmann- und im Flattichhaus missbraucht, gedemütigt und geschlagen wurden? Wer hat weggeschaut, wer waren die Täter, warum hat niemand eingegriffen? Die schriftliche Antwort aus Korntal lässt auf wenig Aufklärungsfeuer in eigener Sache schließen: "Wir möchten innerhalb des Teilprojekts 'geistliche Aufarbeitung' neben externen Experten und ehemaligen Heimkindern auch Gemeindemitglieder beteiligen." Was immer das heißt: Ergebnisse sehen anders aus. Die von Landesbischof eingeforderte Transparenz ebenso. Und im internen Infobrief erfahren Gemeinde und Mitarbeiter, dass Pfarrer Jochen Hägele den Start der internen Aufarbeitung für 2016 erst vorbereite.

Auch Mechthild Wolff hängt in der Korntaler Warteschleife. Ihr Antrag ist noch keineswegs durch. Wann die Brüder den Daumen heben oder senken, wollen sie nicht preisgeben, nur so viel: "Das Konzept der wissenschaftlichen Aufarbeitung wird hier diskutiert und verabschiedet werden, wenn es so weit ist." Da verwundert es wenig, dass die Korntaler Verantwortlichen in der heikelsten Frage, nämlich der nach dem Geld, auch nicht viel weiter sind. Über die Einrichtung eines Fonds wurde schon in der ersten Sitzung der Steuerungsgruppe diskutiert, nach weiteren Monaten war von einem Durchbruch die Rede. Und heute liest sich die Antwort so: "Wir bedauern sehr, dass wir noch nichts Konkretes vermelden können. Für ehemalige Heimkinder und für uns ist das ein sehr wichtiges Thema. Deshalb wollen wir so bald wie möglich ein Ergebnis präsentieren."

Während man sich auf der Homepage der Brüdergemeinde über die "inzwischen faire Berichterstattung" freut, sinkt die Hoffnung vieler ehemaliger Heimkinder auf Gerechtigkeit. "Nicht mehr in diesem Leben", sagt Theo Kampouridis düster. Er ist nicht das einzige Korntaler Heimkind, das die Geduld verliert.

Mechthild Wolff sieht sich zu Unrecht am Pranger. "Ich mach doch keinen Rückzieher", wiederholt sie. Nach einem Jahr Vorbereitung werde nun endlich umgesetzt: Interviews mit den Opfern, mit den Tätern, Auswertungs-Workshops, themenspezifische Workshops – das alles steht auf ihrer Agenda. Um eine angemessene Entschädigung und um die interne Aufarbeitung der Brüdergemeinde – darum sollen sich zukünftig andere kümmern. "Ich bin keine Theologin und keine Mediatorin", sagt Wolff. Nun muss ein neuer Chefaufklärer gefunden werden.

Doch manche der ehemaligen Heimkinder haben das Vertrauen verloren. In vielen Opfertreffen haben sie sich ihre Geschichte erzählt. Es hat Kraft gekostet, sich zu outen. Keiner ist gerne Opfer. Keiner erinnert sich gerne daran, dass er geschlagen, verspottet, missbraucht wurde. Viele haben sich dennoch dazu bekannt und in Kauf genommen, dass die Traumata einer lieblosen Kindheit wieder nach oben gespült wurden. 200 Betroffene seien es inzwischen, sagt Detlev Zander, der einer der ersten war. Doch vielen von ihnen geht inzwischen die Kraft aus. 

Zumal sie sich intern zerstritten haben. Mechthild Wolff hat es nicht geschafft, diesen Streit zu schlichten. Wie viele sich bei ihrer wissenschaftlicher Hotline melden werden, um ein weiteres Mal in ihrem Inneren zu rühren, ist ungewiss. Theo Kampouridis jedenfalls weiß nicht, ob er sich das antun soll.

Der Auftraggeber mauert, die Mediatorin zieht sich in den Elfenbeinturm zurück, die ehemaligen Heimkinder sind zerstritten – eine Erfolgsbilanz sieht anders aus. Auch der Korntaler Musikschuldirektor Peter Meincke hat sich nach einem Jahr mehr Ergebnisse gewünscht.

Gemeinsam mit engagierten Korntaler Bürgern hat er vor zwei Jahren die Opferhilfe gegründet, um die schonungslose Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe zu unterstützen. Er weiß, dass sich Institutionen besonders schwertun, wenn es ums Geld und um die eigene Schuld geht. Meincke und seine Mitstreiter sind wenig überrascht, dass sich Mechthild Wolff nun ganz der Wissenschaft widmen will: Mit den anderen Themen sei halt kein Blumentopf zu gewinnen.


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11 Kommentare verfügbar

  • Angelika Oetken
    am 12.02.2016
    Antworten
    @Jochen Strauß,

    Ähnliches geschieht an anderen institutionellen Tatorten auch. Da nennt sich "Aufarbeitung", was nicht einmal den basalsten Kriterien für Seriosität entspricht. Was in anderen Zusammenhängen selbstverständlich ist, wird eben mal unterlassen

    1. Datenschutzerklärungen und die…
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