Bisher bin ich nicht eingeladen worden. Aber wenn das eine öffentliche Veranstaltung wird, gehe ich hin. Es muss jetzt endlich eine Art Abschluss geben, für die betroffenen Heimkinder, für die Täterorganisation, aber auch für mich als ehemalige Lehrerin in Korntal. Ich habe einen dicken Ordner, da steht Korntal drauf. Den würde ich gerne schließen.
Sie sind zu einer öffentlichen Person und zu einer Art Klagemauer geworden, weil sie sich offen und kritisch mit Ihrer Zeit als Lehrerin an der Korntaler Schule beschäftigt haben. Wer hat sich bei Ihnen gemeldet?
Ich habe viel mit ehemaligen Heimkindern aus Korntal telefoniert. Viele haben mich aufgrund des Kontext-Artikels angerufen. Es gab aber auch Anrufe von der Frau eines damaligen Kriegsdienstverweigerers, die sagte, das könne gar nicht sein, ihr Mann habe nie etwas erzählt. Das war die Spanne der Anrufe.
Was hat sich für Sie dabei verändert?
Ich hatte das Gefühl, dass viele einfach froh waren, dass endlich jemand zuhört. Das hab ich gemacht, die Telefonate dauerten oft mehr als eine Stunde und das war nicht immer einfach für mich. Ich spürte auch bei mir, wie aus einem tiefen Brunnen etwas hochsteigt und man denkt: Oh, war das wirklich so, damals, Ende der 60er Jahre? Denn erst, wenn man sich wirklich darauf einlässt, können die Erinnerungen hochkommen. Auch bei mir selbst. Ich glaube, das haben die Anruferinnen und Anrufer gespürt. Deshalb schütteten mir viele ihr Herz aus. Damals vor vier Jahren gab es ja noch niemanden, der ihnen zuhörte.
Sie haben die Rolle angenommen. Warum?
Ich hatte keine Erfahrung mit Medien oder mit öffentlichen Auftritten. Ich wurde zu einer öffentlichen Figur, weil es mein Interesse war, dass den Kindern, wenn auch spät, Gerechtigkeit widerfährt. Das war mein persönlicher Impetus. Ich wusste ja, wie eng die Brüdergemeinde denkt und wie lange sie die Anklagen des Missbrauchs und der Demütigungen als Lügen abgetan haben. Deshalb war und ist es mir wichtig, dass alles aufgedeckt wird. Deshalb hab ich zugehört, immer wieder.
Haben Sie den Schritt bereut?
Nein, ich bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Das ist offenbar nicht selbstverständlich. Ich habe erst vor wenigen Tagen <link https: kirchenfernsehen.de video alptraum-in-kinderheimen _blank external-link-new-window>in der kirchlichen Fernsehsendung "Alpha & Omega" über den Albtraum Kinderheim gesprochen. Und eine ehemalige Kollegin aus Korntal, auch sie ist längst in Rente, sagt mir mal wieder, sie hätte den Mut nicht. Und ein anderer Kollege von damals klagt, er hätte keine Zeit, sich öffentlich zu äußern. Da gibt es doch die Geschichte von Jesus, der lädt die Leute ein zu einem Fest, und die sagen alle, keine Zeit. Dann geht er hin und holt sich Landstreicher. Das schoss mir durch den Kopf, dabei bin ich eigentlich nicht so religiös. Und diese Aufarbeitung ist sicher auch kein Fest. Aber über dieses Sich-angesprochen-Fühlen oder vielmehr Nicht-angesprochen-Fühlen, oder die Verweigerung, Verantwortung zu übernehmen, darüber hab ich viel nachgedacht.
Sie sprachen von einen dicken Ordner zu Korntal. Was haben Sie da gesammelt?
Fast alle Artikel. Und die ausgedruckten Mails, die mir geschrieben wurden. Und die Briefe. Das waren sehr verstörende und berührende Schicksale. Von Menschen etwa, die über drei Ehen mit fünf Kindern nie mit ihrer Familie darüber gesprochen haben, was ihnen im Heim angetan wurde an Demütigung und Missbrauch.
Hat sich in diesen Jahren Ihr Blick auf Ihren früheren Arbeitgeber verändert?
Mein Blick ist sicher schärfer geworden. Ich war noch einmal in Korntal, gleich 2014, eingeladen zu einem Treffen ehemaliger Mitarbeiter. Da wurde ich sofort gerügt vom früheren Schulleiter: Ich hätte die Kinder halt nicht mit dem Hausmeister gehen lassen sollen, dem jetzt Missbrauch vorgeworfen wird. Das hat mich geärgert, weil es das alte Muster ist, das ich von der Evangelischen Brüdergemeinde kenne: Die Schuld wird den anderen zugeschoben, statt dass die Verantwortlichen zugeben: Das ist eine große Tragik, was damals passiert ist und was wir versäumt haben.
Was erwarten Sie nun von der Evangelischen Brüdergemeinde?
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