Natürlich steht in den Regalen des Vergangenen auch der Bericht des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums". Er wurde 1972 publiziert. Er enthält nicht nur eindringliche Warnungen – von der industriell-konsumistischen Weiter-so-Fraktion wird er bis heute als verantwortungslose Panikmache abgetan –, sondern gibt auch zahlreiche Anregungen, wie Wirtschaft und Ökologie vereinbart werden könnten.
Damit ist der Moment gekommen, der uns ins Bundestagsarchiv führt: zu Hans Matthöfer (SPD). Matthöfer hatte schon Ende der 1970er – damals war er Bundesforschungsminister – der Autoindustrie nennenswerte Subventionen angeboten: Für viele Millionen an Steuergeldern sollten die Konzerne ein emissionsfreies Auto entwickeln. Die Autoindustrie hatte – kein Interesse. Danach legte er als Bundesfinanzminister eine konkret ausgearbeitete ökologische Steuerreform vor – unter Kanzler Helmut Schmidt leider ohne Chance.
Wir stoßen beim Stöbern auch auf dieses bemerkenswerte Duo: Günther Anders, Philosoph und Schriftsteller (1902-1992) und Willi Hoss, Betriebsrat bei Daimler Benz. Anders beschäftigte sich zeitlebens intensiv mit den Folgen von Technik für Mensch und Gesellschaft. Er sah in der industriellen Arbeitsteilung eine grundsätzliche Gefahr. Denn es gehöre "zum Wesen der Arbeitenden", dass sie "auf den Anspruch verzichten, und die Lust und die Fähigkeit verlieren, sich über die Rechtmäßigkeit der von ihnen miterzeugten Produkte (und die möglichen und beabsichtigen Effekte dieser Produkte) Gedanken oder gar Gefühle zu machen."
Genau an dieser Nahtstelle arbeiteten in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren Betriebsräte des Auto-Konzerns Daimler; sie nannten sich "Plakat-Gruppe". Diese Gruppe von Betriebsräten um Willi Hoss, später Bundestagsabgeordneter der Grünen, und Dieter Marcello machte sich die Gedanken, die Anders so vermisste: Was nützen die Autos, die wir herstellen, was schaden sie? Ihr großes Thema: Wie bauen wir die Autoindustrie so um, dass die Produkte ökologisch und die Arbeitsverhältnisse sozialer sind? Ein erstes Ergebnis ihrer ungewöhnlich weitsichtigen Haltung: Ihre Gewerkschaft, die IG Metall, warf sie hochkant raus; viele Jahre später wurden sie stillschweigend wieder aufgenommen.
Anfang der 1990er-Jahren, also ein gutes Jahrzehnt später, näherte sich die IG Metall selbst solchen Überlegungen. Zusammen mit Umweltverbänden entwickelte sie offiziell das Programm "Auto, Umwelt und Verkehr. Umsteuern, bevor es zu spät ist", das heute revolutionär klingt: von der gift- und schadstofffreien Produktion über das systematische Recycling, der Kooperation aller Verkehrsträger über den Ausbau des öffentlichen Verkehrs bis zur Änderung des Verbraucherverhaltens. Autokonzerne sollten sich zu Unternehmen entwickeln, die ganzheitliche Mobilitätssystem anbieten, nicht mehr nur sinnlos Autos produzierten. Damals verkörperten Leute wie Franz Steinkühler, Vorsitzender der IG Metall, und Daniel Goedevert, Automanager (von 1981 bis 1989 Vorstandsvorsitzender der deutschen Ford-Werke), das Visionäre. Und scheiterten. Weil "uns der Rückhalt in der Gesellschaft fehlte", wie Steinkühler später bekannte.
Natürlich gibt es seit vielen Jahren tausende Organisationen, Institute und Projekte, die den Gedanken des Klima- und Naturschutzes, der Energie-, Verkehrs- und Agrarwende beherzigen und befördern. Die oben erzählten Beispiele zeigen jedoch, dass es solche Ansätze bereits seit Jahrzehnten gibt, sogar in Regierungen, in der Industrie, also in politischen und wirtschaftlichen Machtzentren. Diese Weitsichtigen, die von der primitiv-engstirnigen Weiter-so-Fraktion so gerne als Besserwisser denunziert werden, sie waren immer klar in der Minderheit. Und der jeweilige gesellschaftliche "Mehrwachstum"-Mainstream drängte sie in die Nischen, weil ihre weitsichtige Haltung die Profitmaximierung störte.
Es geht längst nicht mehr um Panikmache
Der Blick zurück zeigt: Es geht schon lange nicht mehr um Panikmache. Es liegt ein über Jahrzehnte gesammeltes Wissen über gravierende Fehlentwicklungen vor, das sich zu Gewissheiten verdichtet hat, aber auch eines über gute Alternativen. Die lange angekündigte Katastrophe rückt näher. Und die Politik ist mit der Zunahme der Dramatik nicht mutiger, eher feiger geworden.
Sicher, es wird einiges gemacht, um Gesellschaft und Wirtschaft klima- und naturverträglicher zu gestalten: von den Radwegen bis zum Ausstieg aus der Braunkohle, wir geben Millionen für die Renaturierung von Flüssen aus, für Bannwälder, es wird Tempo 40 eingeführt und bald gibt es keine Verbrenner-Autos mehr. Stimmt alles: Aber da 40 Jahre so gut wie nichts gemacht wurde, sind das heute leider nur Peanuts. Zumal zeitgleich die Politik unverändert auch die Zerstörung von Natur und Klima finanziert: mit der Entfernungspauschale, den Steuervorteilen für Dienstwagen, der Förderung des Luftverkehrs (Erlass der Mehrwertsteuer für internationale Flüge). Staatliches Handeln ist bestenfalls zwiespältig.
Und wie ist die "Gefechtslage" in der Gesellschaft? Eine kleine (vermutlich wachsende) Minderheit richtet sich auch in ihrem Alltag neu aus. Die überaus große Mehrheit will unbedingt weiterleben wie bisher; auch weil sie nichts anderes kennt und kann, weil sie fürchtet, bei Änderungen materiell noch stärker unter die Räder zu kommen. Es geht um tiefsitzende kulturelle Gewohnheiten: Auto, Haus, Urlaub, Konsum, das sind die Zutaten für ein Lebenselixier. Maja Göpel, Nachhaltigkeitsforscherin, macht deutlich, wie unsinnig das dahinter stehende rigide Konsum- und Wachstumsdenken ist. In ihrem Buch "Unsere Welt neu denken" erinnert sie daran, dass die Ideen der wachsenden Wirtschaft aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammten, also eigentlich wahnsinnig veraltet sind. Sie findet, dass es deshalb sinnvoll sei, diese Art von Normalität einmal radikal zu unterbrechen.
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Markus Koch
am 06.08.2021Wir…