Es gehört nicht zu Winfried Kretschmanns hervorstechendsten Eigenschaften, besonders tricky zu sein. Was aber nicht heißt, dass er nicht trotzdem mal das schwäbische Schlitzohr raushängen kann. So geschehen auf der ersten Pressekonferenz der Landesregierung im Neustart mit seinem alten CDU-Vize Thomas Strobl. Dem entlockt das typische Frage-und-Nachfrage-Hin-und-Her eine unerwartete Äußerung zu den Regelungen der Schuldenbremse in der Landesverfassung: "Es gibt die Möglichkeit, in bestimmten Lagen Kredite aufzunehmen, Naturkatastrophen oder Krisensituationen, auch innerhalb der Corona-Lage. Und da haben wir jetzt zu prüfen, welche Investitionen das konkret sein können und sollen."
Schon dieser Satz ist bemerkenswert für den Hüter der schwarzen Null ("An ihr wird nicht gerüttelt"). Kretschmann wollte aber vor den laufenden Kameras noch einen Schritt weiter gehen. Neben dem gebetsmühlenartig betonten Bekenntnis zur Schuldenbremse dachte er auf offener Bühne laut über deren Weiterentwicklung nach und nannte als Investitionen, bei denen zu fragen sei, "ob die nicht unabdingbar sind", nicht nur den Klimaschutz oder die energetische Sanierung von Gebäuden, sondern gerade die Digitalisierung.
Die ressortiert weiterhin in Strobls Innenministerium. Trotzdem und gerade deswegen überraschte, dass Strobl nicht widersprechen mochte, als der Grüne ausführlich das neue Verständnis von Generationengerechtigkeit erläuterte: "Wenn wir bei der Digitalisierung des Landes einfach sagen würden, wir hätten das Geld nicht, tun wir zukünftigen Generationen einen Tort an. Im Klimaschutz ist das genauso." Kretschmann unterscheidet zwischen "dem Kernbestand der Schuldenbremse" und dem Verzicht auf konsumptive Mehrausgaben auf der einen und Investitionen "in die Quellen des Reichtums der Zukunft" auf der anderen Seite.
Wichtige WirtschaftsforscherInnen, vor allem aber das Bundesverfassungsgericht weiß der Regierungschef am Fuße seiner letzten Amtszeit hinter sich. Festgestellt wurde in dem historisch zu nennenden Karlsruher Klimaurteil von Ende April, dass "einer Generation nicht zugestanden werden [darf], unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassende Freiheitseinbußen ausgesetzt würde". Und weiter: "Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen."
Die ideologischen Reflexe funktionieren noch
Das Bild von den Schuldenbergen, auf denen Kinder nicht spielen können, wird damit höchstrichterlich in den Papierkorb befördert, und die üblichen Verdächtigen sind ein für alle Mal ausgebremst. Was die allerdings noch nicht so richtig zur Kenntnis nehmen wollen. Aufschlussreich ist das Vorgehen der Südwest-FDP, die bekanntlich nach der Landtagswahl im März mit Grünen und SPD koalieren wollte – natürlich in Kenntnis der beiden Wahlprogramme und der dort verlangten zusätzlichen Anstrengungen im Kampf gegen die Erderwärmung. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke tut aber so, als hätte es dieses Interesse nie gegeben, wenn er einmal mehr Kretschmann unterstellt, seine wahren Absichten verschleiern zu wollen. "Wer euphemistisch über eine angebliche Weiterentwicklung der Schuldenbremse philosophiert, will sie in Wirklichkeit abschaffen und ungeniert Schulden machen", behauptet Rülke und negiert in einem Aufwasch gleich auch noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts: "Die gern proklamierte Nachhaltigkeit sucht man in der grünen Finanzpolitik vergebens. Zukünftige Generationen werden so mit immer neuen Schuldenbergen belastet."
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Jue.So Jürgen Sojka
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