Da sich das Wachstum nicht einfach abschaffen lässt, machen seit einiger Zeit Konzepte wie "Green New Deal" oder "nachhaltiges Wachstum" Karriere. Sie leben von der Hoffnung, dass sich Wachstum und Rohstoffverbrauch "entkoppeln" lassen, indem die Effizienz gesteigert wird. Der Energieaufwand pro Wareneinheit soll sinken, damit das Klima nicht leidet und Wachstum trotzdem möglich ist. Das Konzept der "Entkoppelung" ist nicht völlig abwegig, denn seit 1970 hat sich der Energieverbrauch pro Wareneinheit halbiert. Die Umwelt wurde allerdings nicht entlastet, weil prompt der "Rebound-Effect" zuschlug, der auf deutsch auch "Bumerangeffekt" heißt. Die Kostenersparnis wurde genutzt, um die Warenproduktion auszudehnen, so dass der gesamte Energieverbrauch nicht etwa fiel, sondern sogar zunahm. Der Rebound-Effect wurde bereits 1865 von dem britischen Ökonomen William Stanley Jevons beschrieben – und ist eine der wenigen Voraussagen über den Kapitalismus, die sich als richtig herausgestellt haben. Denn wer Energie oder Rohstoffe "spart" und mit weniger Materialeinsatz die gleiche Gütermenge herstellt, der steigert in Wahrheit die Produktivität – und ermöglicht damit Wachstum. Beim Traum von der "Entkoppelung" wird erneut Betriebs- mit Volkswirtschaft verwechselt: Der einzelne Betrieb spart vielleicht bei seinen Energie- und Rohstoffkosten, aber ein gesamtgesellschaftliches "Sparen" gibt es nicht im Kapitalismus.
Als Ausweg reicht es nicht, einfach auf regenerative Energien umzustellen. Denn weite Bereiche der Wirtschaft lassen sich nicht mit Ökostrom betreiben. Das Elektroauto ist keineswegs unproblematisch, weil die Batterie die Umwelt stark belastet, und auch Passagierflugzeuge heben nur mit Kerosin ab. Allein der Flugverkehr zerstört aber jede Hoffnung, die Klimaziele zu erreichen, wie eine einfache Rechnung zeigt, die der Postwachstumsökonom Niko Paech aufmacht: Wenn die Erderwärmung begrenzt bleiben soll, darf im Jahr 2050 jeder menschliche Erdbewohner nur noch einen Ausstoß von 2,7 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen. Ein Flug von Frankfurt nach New York schlägt aber bereits mit 4,2 Tonnen zu Buche und nach Sydney sind es gar 14,5 Tonnen. Zwar unternehmen nicht alle ständig Fernreisen, aber der Trend im Luftverkehr zeigt stark nach oben, und schon jetzt hinterlässt jeder Bundesbürger elf Tonnen CO2 im Jahr.
Wenn das Klima geschont werden soll, kann es kein Menschenrecht auf Fliegen geben. Damit aber wird wieder das böse V-Wort unvermeidlich, das das Wachstum bedroht: Verzicht. Dieser müsste sich nicht allein aufs Fliegen beschränken, denn auch ansonsten lässt sich der Energieverbrauch nur reduzieren, indem weniger produziert wird. Alle Konzepte vom "nachhaltigen Wachstum" sind Mogelpackungen, weil es in Wahrheit kein Wachstum mehr gäbe, sondern mehr Nachhaltigkeit. Die richtige Bezeichnung wäre also "wachsende Nachhaltigkeit".
Ökonomen sollen mal arbeiten
Zudem reicht es nicht, sich nur auf den Klimawandel zu konzentrieren. Der CO2-Ausstoß ist nicht das einzige Umweltproblem; genauso bedrohlich sind Flächenverbrauch, Wasserknappheit, Artensterben und giftige Abfälle. Der Verzicht ist alternativlos, wenn man die Ökosysteme retten will. Es ist ein Dilemma: Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe. Der Kapitalismus erscheint wie ein Fluch. In dieser Zwangslage bleibt derzeit nur ein pragmatisches Trotzdem: trotzdem möglichst wenig fliegen, trotzdem Abfall vermeiden, trotzdem auf Wind und Sonne setzen, trotzdem biologische Landwirtschaft betreiben. Aber man sollte sich nicht einbilden, dass dies rundum "grünes" Wachstum sei. Wie man den Kapitalismus transformieren kann, ohne dass er chaotisch zusammenbricht – dies muss erst noch erforscht werden.
Klar ist nur, wer sich dieser Aufgabe widmen müsste: die Makroökonomen. Doch bisher verweigert sich die Zunft. Die Neoklassiker verstehen die Frage gar nicht, weil sie mit ihrer "Mikrofundierung" und ihren "Gleichgewichtsmodellen" das Problem nicht erfassen können. Die Keynesianer hingegen verfügen eigentlich über die richtige Methode, sind aber bemerkenswert zögerlich, sich dem Thema Ökologie zu widmen. Zwar werden Einzelaspekte wie die Ökosteuer oder CO2-Zertifikate untersucht, aber der Rebound-Effect bleibt ausgeblendet. Man hält an der Illusion fest, dass sich mit "Marktmechanismen" der Kapitalismus transformieren ließe.
Es könnte für die heutigen Probleme inspirierend sein, sich mit der britischen Kriegswirtschaft zwischen 1940 und 1945 zu befassen. Es war ein Kapitalismus ohne Markt, der bemerkenswert gut funktioniert hat. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele von Waffen und Konsumgütern wurden staatlich vorgegeben – und die Verteilung der Lebensmittel öffentlich organisiert. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert. Die staatliche Lenkung war ungemein populär. Wie die britische Regierung bereits 1941 feststellen konnte, war das Rationierungsprogramm "einer der größten Erfolge an der Heimatfront". Denn die verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. Zu Friedenszeiten hatte ein Drittel der Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere zwanzig Prozent waren zumindest teilweise mangelernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie.
Heute herrscht zum Glück Frieden, aber die gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist ähnlich groß: Es geht ums Überleben der Menschheit. Vielleicht wäre ein staatlich gesteuerter Kapitalismus die Antwort, vielleicht auch nicht. Niemand kann es wissen – solange sich die Ökonomen weigern, das Thema Ökologie ernst zu nehmen und systematisch zu erforschen.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin bei der taz und Autorin mehrerer gut verständlicher Wirtschaftsbücher. Der Text ist ein leicht gekürztes Kapitel aus "Utopien. Für ein besseres Morgen" von Thomas Hartmann, Jochen Dahm und Frank Decker (Hg.), erschienen im Dietz Verlag.
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Nico
am 03.02.2021