Im weltweiten Durchschnitt ist die Temperatur zwischen 1905 und 2005 um 0,7 Grad Celsius gestiegen. In Baden-Württemberg sind es drei Zehntel mehr. Vor allem seit den 1970er-Jahren beschleunigt sich die Dynamik. In Stuttgart sank die Zahl der Wintertage mit einer Höchsttemperatur bis null Grad von 25 auf 15, während die der Sommertage mit mindestens 25 Grad von 25 auf 45 anstieg. 2014 war das wärmste Jahr seit 1888, dem Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen. Derzeit sind durchschnittlich vier Tropentage (Tagesmaximum 30 Grad oder mehr) die Regel; 2050 ist landesweit mit bis zu neun, Ende des Jahrhunderts sogar mit bis zu 21(!) zusätzlichen zu rechnen. In der Rheinebene wird anno 2100 fast ein Drittel des Jahres das sein, was landläufig Sommer heißt.
"Grundsätzlich können Klimamodelle keine Prognose für die Zukunft abgeben, wie es die Wettervorhersage für die nächsten Tage tut. Denn dazu sind die Einflussfaktoren zu vielfältig und die Zeiträume zu groß", schreiben die Autoren der 150 Seiten, die von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) fachlich begleitet werden. Klimamodelle könnten aber mit Projektionen "plausible Entwicklungen aufzeigen, die unter bestimmten Annahmen eintreten können". Mit positiven genauso wie mit negativen Ausschlägen. Nur wenn die Industrieländer, die Hauptemittenten von Treibhausgasen, endlich ihren eigenen guten Vorsätzen gerecht werden, kommt es zumindest nicht noch schlimmer als heute schon absehbar. Da beängstigt, dass die USA, Kanada oder Australien alle Einsparungsziele bislang weit verfehlen und dass sich andere, wie Russland oder Japan, von ihren Reduktionsplänen wieder verabschiedet haben.
Alles andere als klimafit!
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, wie schwer es dem Wintertourismus künftig im Schwarzwald fallen wird, konkurrenzfähig zu bleiben – trotz Schneekanonen, denn die benötigen Minusgrade werden fehlen. Aber auch viele andere Bereiche drohen in Schräglage zu geraten oder stehen vor großen Herausforderungen. Nach einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands ist "nur ein kleiner Teil" der Betriebe klimafit. Die Anpassungsstrategie empfiehlt "klimaschonende Klimatisierung".
Schon im nächsten Jahrzehnt wird in Süddeutschland der Energiebedarf zum Kühlen größer sein als jener zum Wärmen! In vielen europäischen Städten ist Fernkälte, zumindest im Versuch oder kleinräumig, bereits im kommunalen Angebot. In Wien verfügt der neue Hauptbahnhof über eine Kältezentrale; entsprechende Anlagen arbeiten in Krankenhäusern oder Einkaufszentren ober beliefern Hotels und Büros. Zur Erzeugung von Kälte wird sogar Müllverbrennung eingesetzt. Noch finanziert solche Innovationen vor allem die öffentliche Hand.
Wie belastbar die Grundlagen des vom Umweltministerium verantworteten Papiers sind, belegt der Umfang der Daten; zahlreiche Studien und Klimamodelle liegen vor. Die LUBW forscht seit Jahrzehnten, hat für die Strategie konkret 24 regionale Projektionen ausgewertet: "Alle Kennzahlen der Temperatur weisen eine Wärmezunahme in der Zukunft auf." Außerdem finden Workshops mit Betroffenen statt, allen voran Wirtschaftsvertretern.
Und dort kommen Details zur Sprache, die die Tragweite der Veränderungen drastisch vor Augen führen: Die heimische Wirtschaft muss sich auf Dachschäden durch Hagel einstellen, aufs Überlaufen der Abwasserkanäle oder den hitzebedingten Ausfall von Maschinen, auf Produktionseinschränkungen wegen niedrigen Grundwasserspiegels, auf Schimmelbefall gelagerter Produkte und Produktivitätsschwankungen durch Hitzeperioden, auf Infrastrukturschäden, die eine Fahrt zum Arbeitsplatz unmöglich machen, auf scharfe Auflagen, zusätzliche Investitionen, höhere Versicherungsprämien und Absatzschwierigkeiten, weil das Produktangebot nicht ausreichend klimaangepasst ist.
Praktisch alle Wirkungsbereiche seien betroffen, schreiben die Autoren. In Bezug auf die Zulieferketten hätten nahezu alle Branchen im Südwesten bereits Lieferausfälle erlebt, "wenn aufgrund blockierter Transportwege im Zuge von Extremwetterereignissen die Produktionsstätten nicht erreicht werden konnten". Oder sie hätten mit Schäden an gelagerten Gütern zu kämpfen, "weil diese temperatur- und feuchtigkeitsempfindlich sind und/oder im Außenbereich gelagert werden".
Bergfrische ohne Fichte
Ähnlich konkret sind die Auswirkungen auf eines der ganz großen Wahrzeichen Baden-Württembergs: Der Schwarzwald wird seinen Charakter grundlegend verändern. Insgesamt zählt der Südwesten mit einem Anteil von 38 Prozent der Fläche zu den waldreichsten Ländern der Republik. 58 Prozent davon sind Nadelwald; die Fichte ist stark vertreten, also jene Baumart, die "bis zum Zeitraum 2020 bis 2029 noch gut in submontanen und montanen Lagen wächst". In fernerer Zukunft ab 2050 "droht ein Schrumpfen der Anbaugebiete in großem Umfang, und der Anbau wird sich dann auf die Hochlagen des Schwarzwaldes, der Schwäbischen Alb und des südöstlichen Oberschwabens beschränken". Aber selbst dort könne es auf trockenen Standorten zu verminderten Zuwächsen kommen, sodass der Fichtenanbau als zunehmend riskant eingestuft wird.
2 Kommentare verfügbar
Ulrich Frank
am 12.07.2015