Aber es gibt auch bei den sogenannten Naturkatastrophen Unterschiede. Ein heftiges Erdbeben forderte 2010 in Haiti nach offiziellen Angaben rund 300.000 Tote. Die Menschen starben massenhaft in der Hauptstadt Port-au-Prince. Hochhäuser stürzten wie Kartenhäuser in sich zusammen. Nicht zuletzt, weil sie aufgrund der grassierenden Korruption mit schlechtem Zement gebaut waren. Die Elendsviertel waren an Abhängen so gebaut, dass sie einfach wegrutschten und die Menschen in den Tod rissen. Es gab Tote über Tote.
Als kurze Zeit später Chile von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde, waren die Schäden zwar enorm, aber die Zahl der Todesopfer klein. Dies hatte auch zur Folge, dass Spenden nur in geringem Maße flossen. Es mag zynisch klingen, aber wir wussten, dass es meist die Mühe nicht lohnte, eine Spendenkampagne zu starten, wenn die Opferzahlen niedrig waren, materielle Schäden hin oder her. 100 oder 200 Tote waren den Medien kaum einer Erwähnung wert.
Anders gelagert ist dies bei einer Katastrophe im eigenen Land. Die Opfer sind quasi um die Ecke, leben wie du und ich. Und eigentlich hat niemand glauben wollen, auch die verantwortlichen Politiker nicht, dass so etwas auch hierzulande passieren kann. Zu verlockend war die Vorstellung, auf einem sicheren Fleckchen Erde zu leben. Nicht nur wegen des ausgeglichenen Klimas, sondern auch wegen all unserer technischen Möglichkeiten.
Das Chaos danach
Entsetzt stellen die Beobachterinnen und Beobachter nun plötzlich fest, wie chaotisch in den ersten Stunden nach der Katastrophe die Hilfe abläuft. Aber das ist immer so, selbst wenn die Menschen vor Ort gut auf eine Katastrophenlage vorbereitet sind. Es dauert eben eine Weile, bis Hilfe in geordneten Bahnen läuft. Das stellte die Vizepräsidentin des Technischen Hilfswerks (THW), Sabine Lackner, in einem Interview nach Kritik wegen mangelnder Koordination einzelner Maßnahmen unmissverständlich klar: Am Anfang herrsche immer Chaos, sagte sie in ihrer trockenen Art richtigerweise. Deshalb ist Vorsicht geboten bei schnellen Schuldzuweisungen.
Erschreckend ist für mich vor allem, wie wenig man hierzulande immer noch auf Wetterextreme und den Katastrophenfall vorbereitet ist. Ich habe den Eindruck, dass alles das, was für mich in 20 Jahren Krisenprävention selbstverständlich geworden ist, mit größter Verwunderung zur Kenntnis genommen wird, als ob es Neuland wäre. Die Grundprinzipien der Krisenprävention sind sträflich vernachlässigt worden. Schnell ist klar geworden, dass die Warnsysteme nicht funktioniert haben. Der Glaube an die technische Beherrschbarkeit der Natur hat zu einer Fahrlässigkeit auf allen Ebenen geführt.
Nicht nur die Sirenen wurden abgebaut. Dass wir das Technische Hilfswerk noch haben, ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass das THW mangels Betätigungsfeld im Inland von der Bundesregierung als Instrument der Auslandshilfe genutzt wurde. Meist wurden Teams mit einer Trinkwasser-Aufbereitungsanlage in Krisengebiete geschickt.
In Afrika funktionieren Hochwasser-Warnsysteme
Das Desaster mit den Warn-Apps beim Probelauf im vergangenen Jahr blieb ohne Konsequenzen. Mit großem Erstaunen stellt man nun fest, dass selbst in Afrika Hochwasser-Warnsysteme funktionieren – und zwar ganz einfach. Bei bestimmten Pegelständen geben dafür ausgebildete Menschen die Warnungen von Ort zu Ort weiter. Das sind keine neuen Entdeckungen, sondern lang bewährte Präventionsmechanismen. Nach dem Tsunami haben wir das zum Beispiel in der indonesischen Provinz Aceh mit Erfolg umgesetzt.
Im Katastrophenfall wissen hierzulande die wenigsten, wie sie sich richtig verhalten sollen, weil sie nicht darauf vorbereitet worden sind. Dazu gehört auch das Wissen, dass freiwillige Helferinnen und Helfer nicht einfach ins Katastrophengebiet ausschwärmen oder Sachspenden in großen Mengen schicken sollten, so gut das auch gemeint sein mag. Professionelle Teams müssen unbehindert arbeiten können. So ist es auch in der internationalen Hilfe, wo man versucht, die Verteilung von Hilfsgütern so schnell wie möglich in geordnete Bahnen zu lenken. Bei privaten Verteilaktionen spielen sich oft unwürdige Szenen unter den HilfsempfängerInnen ab.
3 Kommentare verfügbar
Peter Herold
am 28.07.2021