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Katastrophenhilfe

Hochwasser fallen nicht vom Himmel

Katastrophenhilfe: Hochwasser fallen nicht vom Himmel
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Unser Autor arbeitet seit 20 Jahren in der Katastrophenhilfe. Eines weiß er sicher: Naturkatastrophen, wie jüngst das Hochwasser im Westen Deutschlands, sind menschengemacht. Der technische Fortschritt hat uns überheblich werden lassen.

Als ich die ersten Meldungen gehört habe von überfluteten Ortschaften in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, war mir klar, dass hier Schlimmes passiert sein muss. Bilder von unter Schutt und Schlamm begrabenen Häusern, ineinander verknäulten Autos, von verzweifelten Menschen, Elend und Not flimmerten wenig später über die Fernsehbildschirme in unsere Wohnzimmer. Ich glaube, viele leiden angesichts des Ausmaßes der Schäden, all der Vermissten und Toten, nicht nur mit den Betroffenen mit. Ihnen ist klar geworden, dass man hierzulande nicht mehr vor Großkatastrophen gefeit ist.

Die Suche nach Schuldigen hat schnell begonnen. Warnungen vor Unwettern wurden auf die leichte Schulter genommen. Warnsysteme haben versagt. Plötzlich wird über Krisenprävention geredet. Dabei gibt es genügend Erfahrungen aus der Katastrophenhilfe, und es ärgert mich, dass wir, die Katastrophenhelfer, mantraartig Jahr für Jahr wiederholt haben, dass man sich auch in Europa auf Extremwetterlagen einstellen muss, ohne Gehör zu finden.

Als Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sich offenbar nicht anders gegen mögliche Versagensvorwürfe zu helfen wusste, als vor die Kamera zu treten und zu sagen, dass man Naturkatastrophen nicht vorhersehen könne, war für mich das Maß voll. "Das Wesen von Katastrophen ist, dass sie nicht vorhersehbar sind", sagte er wörtlich. Das gelte erst recht für Naturkatastrophen.

Pakistan 2010, Flutkatastrophe. Rainer Lang hilft auch dort. Foto: Thomas Lohnes

Rainer Lang, Kontext-Autor und Journalist, engagiert sich seit mehr als 20 Jahren in der Katastrophenhilfe, unter anderem beim Weltkirchenrat, dem Lutherischen Weltbund, bei der Diakonie Katastrophenhilfe und bei Brot für die Welt. Er war Helfer in nahezu allen Katastrophen- und Krisengebieten der Erde, unter anderem im Südsudan, in Indonesien, im Kongo, der Sahel-Zone, Haiti, Myanmar und Somalia.  (ana)

Fatales Klischee

Reul bedient hier ein fatales Klischee: Danach brechen Naturkatastrophen über die Menschen herein wie ein Schicksalsschlag. Sie werden klar unterschieden von menschengemachten Katastrophen wie Bürgerkriegen oder schlechter Regierungsführung. Aber so einfach ist es nicht. Nahezu alle Naturkatastrophen, bei denen ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Einsatz war, waren menschengemacht. Und vorhersehbar waren sie im Grunde auch.

Im Jahr 2008 beispielsweise riss der Zyklon Nargis in Myanmar rund 140.000 Menschen in den Tod. Der Wirbelsturm wütete im weitverzweigten Delta des Irrawaddy-Flusses. Das Gebiet ist dicht besiedelt, obwohl es recht unzugänglich ist. Viele Dörfer sind nur mit dem Boot erreichbar. Alles ist topfeben. Die Menschen, die dort lebten, waren dem Zyklon schutzlos ausgesetzt. Er rasierte alles ab wie ein Sägeblatt.

Der eigentliche Grund dafür, warum der Zyklon seine tödliche Kraft entfalten konnte, war von Menschen verursacht. Obwohl es offiziell verboten war, hatte die Regierung stillschweigend geduldet, dass die Mangrovenwälder entlang der Küste abgeholzt werden, um dafür Reisfelder sowie Aquakulturen für Garnelen und Krabben für den Export nach China anzulegen. Deutlich war, dass dort, wo die Mangrovenwälder noch intakt waren, der Sturm viel weniger Schaden anrichten konnte und es kaum oder keine Toten gab. Vorhersehbar war der heftige Sturm allemal, natürlich nicht auf Stunde und Tag genau, aber wir sind nicht müde geworden, davor zu warnen, dass im Zuge des Klimawandels Wetterextreme zunehmen und zuerst die Ärmsten der Armen treffen. Die Anrainer am Golf von Bengalen wie Myanmar und Bangladesch sind als erste besonderen Risiken ausgesetzt gewesen. Wo aber Krisenprävention betrieben wurde, vor allem durch den Schutz oder die Wiederaufforstung der Mangroven, ist der Erfolg nicht ausgeblieben.

Aus Katastrophen werden Jahrestage

Aber das ist ja fernab passiert. Und nach einer Welle der Solidarität und des Mitgefühls ist das Ganze wenige Wochen später wieder in Vergessenheit geraten. Die Katastrophe ist dann zu einer Angelegenheit der Jahrestage geworden. Fünf Jahre, zehn Jahre – danach erinnert man wieder daran.

Die Hilfsbereitschaft der Menschen bei Naturkatastrophen ist immer enorm. Leider sind für lebensnotwendige Hilfe in Bürgerkriegsgebieten dagegen fast keine Spendengelder eingegangen. Dort ist es besonders bitter, kleine Kinder verhungern zu sehen, weil es nicht genügend Hilfe gibt wie in Somalia.

Aber es gibt auch bei den sogenannten Naturkatastrophen Unterschiede. Ein heftiges Erdbeben forderte 2010 in Haiti nach offiziellen Angaben rund 300.000 Tote. Die Menschen starben massenhaft in der Hauptstadt Port-au-Prince. Hochhäuser stürzten wie Kartenhäuser in sich zusammen. Nicht zuletzt, weil sie aufgrund der grassierenden Korruption mit schlechtem Zement gebaut waren. Die Elendsviertel waren an Abhängen so gebaut, dass sie einfach wegrutschten und die Menschen in den Tod rissen. Es gab Tote über Tote.

Als kurze Zeit später Chile von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde, waren die Schäden zwar enorm, aber die Zahl der Todesopfer klein. Dies hatte auch zur Folge, dass Spenden nur in geringem Maße flossen. Es mag zynisch klingen, aber wir wussten, dass es meist die Mühe nicht lohnte, eine Spendenkampagne zu starten, wenn die Opferzahlen niedrig waren, materielle Schäden hin oder her. 100 oder 200 Tote waren den Medien kaum einer Erwähnung wert.

Anders gelagert ist dies bei einer Katastrophe im eigenen Land. Die Opfer sind quasi um die Ecke, leben wie du und ich. Und eigentlich hat niemand glauben wollen, auch die verantwortlichen Politiker nicht, dass so etwas auch hierzulande passieren kann. Zu verlockend war die Vorstellung, auf einem sicheren Fleckchen Erde zu leben. Nicht nur wegen des ausgeglichenen Klimas, sondern auch wegen all unserer technischen Möglichkeiten.

Das Chaos danach

Entsetzt stellen die Beobachterinnen und Beobachter nun plötzlich fest, wie chaotisch in den ersten Stunden nach der Katastrophe die Hilfe abläuft. Aber das ist immer so, selbst wenn die Menschen vor Ort gut auf eine Katastrophenlage vorbereitet sind. Es dauert eben eine Weile, bis Hilfe in geordneten Bahnen läuft. Das stellte die Vizepräsidentin des Technischen Hilfswerks (THW), Sabine Lackner, in einem Interview nach Kritik wegen mangelnder Koordination einzelner Maßnahmen unmissverständlich klar: Am Anfang herrsche immer Chaos, sagte sie in ihrer trockenen Art richtigerweise. Deshalb ist Vorsicht geboten bei schnellen Schuldzuweisungen.

Erschreckend ist für mich vor allem, wie wenig man hierzulande immer noch auf Wetterextreme und den Katastrophenfall vorbereitet ist. Ich habe den Eindruck, dass alles das, was für mich in 20 Jahren Krisenprävention selbstverständlich geworden ist, mit größter Verwunderung zur Kenntnis genommen wird, als ob es Neuland wäre. Die Grundprinzipien der Krisenprävention sind sträflich vernachlässigt worden. Schnell ist klar geworden, dass die Warnsysteme nicht funktioniert haben. Der Glaube an die technische Beherrschbarkeit der Natur hat zu einer Fahrlässigkeit auf allen Ebenen geführt.

Nicht nur die Sirenen wurden abgebaut. Dass wir das Technische Hilfswerk noch haben, ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass das THW mangels Betätigungsfeld im Inland von der Bundesregierung als Instrument der Auslandshilfe genutzt wurde. Meist wurden Teams mit einer Trinkwasser-Aufbereitungsanlage in Krisengebiete geschickt.

In Afrika funktionieren Hochwasser-Warnsysteme

Das Desaster mit den Warn-Apps beim Probelauf im vergangenen Jahr blieb ohne Konsequenzen. Mit großem Erstaunen stellt man nun fest, dass selbst in Afrika Hochwasser-Warnsysteme funktionieren – und zwar ganz einfach. Bei bestimmten Pegelständen geben dafür ausgebildete Menschen die Warnungen von Ort zu Ort weiter. Das sind keine neuen Entdeckungen, sondern lang bewährte Präventionsmechanismen. Nach dem Tsunami haben wir das zum Beispiel in der indonesischen Provinz Aceh mit Erfolg umgesetzt.

Im Katastrophenfall wissen hierzulande die wenigsten, wie sie sich richtig verhalten sollen, weil sie nicht darauf vorbereitet worden sind. Dazu gehört auch das Wissen, dass freiwillige Helferinnen und Helfer nicht einfach ins Katastrophengebiet ausschwärmen oder Sachspenden in großen Mengen schicken sollten, so gut das auch gemeint sein mag. Professionelle Teams müssen unbehindert arbeiten können. So ist es auch in der internationalen Hilfe, wo man versucht, die Verteilung von Hilfsgütern so schnell wie möglich in geordnete Bahnen zu lenken. Bei privaten Verteilaktionen spielen sich oft unwürdige Szenen unter den HilfsempfängerInnen ab.

Vorsorge im Sinne von vorsorgendem Bauen auch im Blick auf die natürlichen Gegebenheiten ist bisher äußerst halbherzig betrieben worden. Das Problem der Versiegelung der Böden und der mangelnden Versickerungsflächen in Städten ist schon lange bekannt. Aber wenn es um ein Gesamtkonzept geht, solche Probleme anzugehen, herrscht Ratlosigkeit. Die Anstrengungen erschöpfen sich in Einzelmaßnahmen. Ein Gesamtkonzept würde viel Geld und vor allem viel Mühe kosten und wäre politisch schwer durchsetzbar.

Kurz vor der Unwetterkatastrophe habe ich mich mit den Prinzipien der Schwammstadt befasst, in der so gebaut werden soll, dass möglichst viel Niederschlagswasser aufgenommen werden kann. Beim baden-württembergischen Umweltministerium hat man damit recht wenig anfangen können, zeigte sich aber erfreut, dass es Parallelen zu dem Starkwasserregenmanagement des Landes gebe. Dieses wurde nach der Unwetterkatastrophe im Land vor fünf Jahren entwickelt.

Mais statt Hochwasserschutz

Frank Harsch ist der Bürgermeister von Braunsbach. Der Ort in Baden-Württemberg war vor fünf Jahren das Epizentrum einer Unwetterkatastrophe. Eine Sturzflut legte ihn in Trümmer. Wunderbarerweise kam niemand zu Tode. Der Rathauschef denkt noch heute mit Schrecken zurück. Er ist einer, der nicht locker lässt und Katastrophenvorsorge ernst nimmt. Auch fünf Jahre danach.

Die beste Vorsorge wäre für ihn, wenn die Grundstücke oberhalb des Orts so bepflanzt werden könnten, dass sie möglichst viel Wasser speichern. "Jeder Liter, den wir dort oben zurückhalten, ist Gold wert", sagt Harsch. Er weiß, dass er mit seinem Ansinnen wenig Aussicht auf Erfolg hat. Denn diesem Vorhaben stehen die auch für Harsch berechtigten Interessen der Landwirte entgegen, die hier zumeist Mais anbauen, was aber genau das Gegenteil dessen bewirkt, was der Bürgermeister will. Solange das so ist, ist die Gefahr einer weiteren Überflutung des Orts nicht gebannt, befürchtet er.

War Braunsbach ein Warnschuss, der einige aufgeschreckt hat, könnte das jetzige Unwetter so etwas wie ein Weckruf sein. Der Begriff wird gern benutzt von PolitikerInnen, doch allein mit Parolen ist es nicht getan. Die Erfahrungen der humanitären Hilfe zeigen, dass die Krisenprävention eine komplexe Sache ist. Da müssen Klima- und Naturschützer, Stadtplaner und Politiker, Ehren- und Hauptamtliche, Verwaltung und Bevölkerung gemeinsam handeln. Jetzt ist die Zeit dafür.


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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Herold
    am 28.07.2021
    Antworten
    Der Gipfel des Zynismus bei der Katastrophe in der Eifel: ausgerechnet die Landwirte mit den dicksten Treckern, die durch den tagtäglichen Einsatz dieser für jeden Boden viel zu schweren Technik sowie die auch im Artikel hier erwähnten katastrophalen Fruchtfolgen auf ihren viel zu großen und nicht…
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