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Die SZ greift in Stuttgart an

Feuer unterm Konzerndach

Die SZ greift in Stuttgart an: Feuer unterm Konzerndach
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Seit Jahresbeginn wirft die "Süddeutsche Zeitung" einen Köder aus: den Newsletter "Im Südwesten". Er soll ihr Abonnements bringen – im Kerngebiet der Stuttgarter Blätter, die zum gleichen Konzern gehören. Es kann hier nur einen Gewinner geben.

Kurz bevor sie gingen, baten wir die Kollegen von der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) noch zur Blattkritik. Roman Deininger und Max Hägler, die Stuttgarter Korrespondenten, sollten erzählen, was sie von Kontext halten, und sie taten das in der ihnen eigenen Lässigkeit, in der das Austeilen einsteckbar war. Überraschend wäre gewesen, sagten sie grinsend, wenn in einer Kontext-Ausgabe mal keine S-21-Geschichte gestanden hätte. Das war vor sechs Jahren.

Zurück sind sie nach München in die Zentrale. Deininger wurde Chefreporter und Söder-Erklärer ("Staatsschauspieler und Hobby-Comedian"), unter anderem für Kontext, der Hägler Max ging ins Wirtschaftsressort mit besonderer Mercedes- und Porsche-Expertise sowie tiefen Einblicken in die schwäbische Seele, die er beim Abschied als "obacha cool" empfand. Das qualifizierte ihn für einen wichtigen Job: Er wurde Kurzzeit-Marktanalyst. Aufschreiben sollte er für seinen Arbeitgeber, wie Baden-Württemberg tickt, ausloten, ob es sich für die Süddeutsche lohnte, hier tätig zu werden. Das Ergebnis war positiv: viel Geld und Geist, wenig Zeitung.

Und so erblickte der Newsletter "Im Südwesten" am 11. Januar 2024 das Licht der Welt. Das wäre jetzt keine lange Geschichte wert, weil es solche Aussendungen wie Sand am Meer gibt, aber in diesem Fall ist es meldungstauglich. Er kommt wöchentlich und kostenlos und präsentiert die "besten SZ-Geschichten" rund um Stuttgart und Baden-Württemberg. So verkündet es der Süddeutsche Verlag, und nach einer ersten Durchsicht denkt man, es wäre es eine Überraschung, wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann ("Der Grüne, der’s kann") keinen Stammplatz hätte.

Weiter heißt es, die auserwählte Region sei "zum Ziel unserer journalistischen Neugier" geworden – wegen der Dynamik, des politischen und wirtschaftlichen Gewichts, der kulturellen Vielfalt und der innovativen Kraft. Ihr wolle man sich mit dem "einzigartigen Ton" der SZ nähern. Damit zitiert ist Politikchef Stefan Kornelius, der bisher eher als bestvernetzter Transatlantiker aufgefallen ist und weniger als Kenner regionaler Eigenheiten. Aber der Newsletter fällt in sein Ressort und außerdem ist er vor 58 Jahren im badischen Weinheim geboren, womit er eine Affinität zum Berichtsgebiet hat und die Kompetenz, die Qualität von Häglers Initialpapier zu beurteilen. Der Kollege, inzwischen bei der "Zeit", habe "sehr wertvolle Einschätzungen" geliefert, sagt er. Trotzdem: Wenn in Bayern beheimatete Badener das Schwabenland preisen, ist Vorsicht geboten.

Auch die PR wird zur Poesie

Im persönlichen Gespräch ist die Tonalität leiser, nahezu poetisch. Kornelius möchte den Menschen im Südwesten ein "Sprungbrett" anbieten, von dem aus sie "in die Welt der SZ eintauchen" können. Das ist sehr schön formuliert und eröffnet das Bild eines Meeres, in dem lauter schillernde Fische herumschwimmen, zum Greifen nahe. Aber Achtung, nur für diejenigen, die springen und ein Abo zeichnen. Womit wir bei den Hard Facts sind: dem Newsletter als Amuse-Gueule, als Entree ins teure Komplettmenü. Die Rechnung könnte aufgehen. Sie seien "sehr zufrieden" mit der bisherigen Resonanz, verrät Kornelius, die Zahlen lägen "weit über dem Durchschnitt".

Thematisch wird der Journalismus nicht neu erfunden. Gesetzt sind Kretschmann, Landtagspräsidentin Muhterem Aras (wegen ihrer Migrationsgeschichte) und die Autoindustrie. Der Mittelstand tritt auf, wenn er Marktführer ist – etwa bei der Fertigung von Glückskeksen, die schwäbische Seele in Gestalt der Kehrwoche und beim Verraten von Lieblingsbegriffen. Das "Knäusle" zum Beispiel. Verwiesen wird weiter auf Texte im Hauptblatt, die dann aber nicht mehr umsonst sind. Bei Kaiser Franz lohnte sich die Investition. An einem Tag hat er fünf Seiten gekriegt, von den Todesanzeigen gar nicht zu reden. Das ist alles sauber gemacht, verlässlicher Journalismus, gut zu lesen, unter SZ-Soundaspekten betrachtet optimierbar. Allein, es fehlt noch die Überraschung.

Es reicht aber allemal, um im Stuttgarter Pressehaus Aufregung zu erzeugen. Weniger in der Chefredaktion, die in Person von Joachim Dorfs betont, er sorge sich nicht und sehe die Sache gelassen. Er sei "ganz entspannt", versicherte er seiner Redaktion. Das kann so glauben, wer nicht registriert, was um einen herum geschieht, wie eine Zeitung zerfleddert: zwischen Wein und Weselsky, Liebe und Partnerschaft, Gastro- und Promi-Laudationes und immer noch relevanten Geschichten, die aber eher zufälligen Charakter haben. Das ist das Ergebnis einer Redaktionszertrümmerung, die keine Ressorts mehr zulässt, nur Thementeams, von dem das eine nicht weiß, was das andere tut. Hauptsache, die Klickzahlen stimmen.

Jene, die in diesen Strukturen arbeiten müssen, sind in großer Sorge. Sie hören noch, wenn sie draußen sind, von der Unzufriedenheit vieler Leserinnen und Leser über "ihre" StZ, und sie sind verbittert, weil vieles, was jetzt im Argen liegt, mit jenem Verlag zusammenhängt, für den sie geblutet haben. Für mehr als 700 Millionen Euro hat die Muttergesellschaft SWMH die "Süddeutsche Zeitung" anno 2008 gekauft und dafür aus ihren Stuttgarter Blättern das Geld gepresst. Seitdem sind fünf Sparwellen über sie hinweggezogen – und die SZ baut in Stuttgart aus.

Die einen bauen aus, die andern reißen ab

Sie verdoppelt ihre Redaktion von zwei auf vier Stellen, kauft in Roland Muschel der "Südwestpresse" einen derer besten Leute weg mit dem Ziel, dem anspruchsvollen Publikum eine verlorengegangene Heimat wiederzugeben. Der 51-Jährige hat in Stuttgart das Büro mehrerer Landeszeitungen geleitet, gilt als vorzüglich verdrahtet, hat sich wichtige Preise erschrieben und den Ruf erworben, nicht an der Oberfläche kleben zu bleiben. Mit ihm hätten sie sich "sehr gut verstärkt", lobt Politikchef Kornelius.

So verwundert es nicht, wenn im Möhringer Betriebsrat von "Friendly Fire" die Rede ist, vom Beschuss der eigenen Verbündeten, die Kolleg:innen über die ungehörten "Alarmglocken" klagen und jene, die nicht im Homeoffice sitzen, im Pressehaus an der Plieninger Straße 150 bereits einen "lost place" sehen, der Platz finden müsste in der StZ-Serie über verlorene Orte. Trostlos graue Mauern lassen solche Phantasien wachsen. Die Lust am Weggehen ebenfalls. Der nächste wird Ingmar Volkmann sein, ein Name in der "Stuttgarter Zeitung". Der 46-Jährige wechselt die Seiten: hinüber ins Staatstheater zum geschäftsführenden Intendanten Marc-Oliver Hendriks. Dort wird er Thomas Koch, dem Direktor für strategische Kommunikation, nachfolgen.

In München sind diese Ängste nie angekommen. Man könnte auch sagen, sie waren den Edelfedern schnurzpiepegal, solange sie von den neuen Eigentümern um den Verleger des "Schwarzwälder Boten", Richard Rebmann, nicht drangsaliert wurden. Am Stammsitz in der Hultschiner Straße 8 war Stuttgart eine Außenstelle, auch "München-West" genannt, die Zeitungslandschaft vor Ort blieb unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Dienstreisen an den Nesenbach galten nahezu als Zumutung, längere Aufenthalte als hohes Strafmaß, das nur durch ein Interview mit Kretschmann, Wiedeking (Porsche) oder Zetsche (Mercedes) gemildert werden konnte.

Fürchtet euch nicht, sagt der Transatlantiker Kornelius

Insoweit ist die Verwunderung des Transatlantikers Kornelius ob des "Friendly Fires" ("Nichts liegt uns ferner") und der "Alarmglocken" nachvollziehbar. Er kennt keine Verbündeten am Neckar, er schießt auch nicht, er will nur wachsen – im Digitalen, weil das Analoge ein Auslaufmodell ist. Und Baden-Württemberg ist eben die "wirtschaftlich zweitstärkste Region Deutschlands", assistiert ihm Lisa Nienhaus, die Leiterin des Ressorts Ökonomie, wo der Glaube an den Markt sein Zuhause hat.

Kornelius sagt, die Kolleg:innen in Stuttgart müssten sich nicht fürchten. Sie fertigten ein "Produkt sui generis", ein "komplett anderes Angebot", das in die Tiefe der Region dringe, was ihnen verwehrt bliebe. "Wir sind keine Konkurrenz", versichert er, "wir ergänzen höchstens". Doch Obacht: Wer das "sui generis", die einzigartige Klasse, inhaltlich definiert, wird womöglich zu dem Schluss kommen, dass hier von der Deutungsmacht abhängt, wer First- und wer Holzklasse ist. Das Beste für das Flaggschiff, die Reste für die Beiboote, solange sie noch Geld abwerfen – ungeachtet ihrer Qualität.

Der Stuttgarter Belegschaft sind solche Gedanken nicht fremd, der redaktionellen Chefetage offenbar schon. Dorfs & Co., ohne Swantje Dake, die sich zum Jahresende erschöpft verabschiedet hat, müssten längst bei der Geschäftsführung auf der Matte stehen, heißt es im Betriebsrat. Tun sie aber nicht, weil alles prima ist, alle Zeichen auf Entwarnung stehen. In ihrer Parallelwelt.

Auf Anfrage von Kontext, ob man den SZ-Newsletter in Stuttgart als "unfreundlichen Akt" zu erkennen vermag, ließ ein SWMH-Sprecher wissen, dass solche Projekte intern "selbstverständlich abgestimmt" seien und von allen Unternehmensbereichen "mit aller Kraft unterstützt" würden. Das wäre doch mal eine Zeile in der "Stuttgarter Zeitung" und in den "Stuttgarter Nachrichten" wert.

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4 Kommentare verfügbar

  • Lothar Bremer
    am 25.01.2024
    Antworten
    Früher hieß es mal Konkurenz belebt das Geschäft. So gesehen wäre die Expansion der SZ zu begrüßen. Vielleicht dürfen wir in STZN und Kontext ja demnächst umfassenderen Lokaljournalismus lesen. Mich würds freuen.
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