Braucht es wirklich noch ein Hitler-Buch? Sind nicht schon genügend Seiten über die NS-Zeit gefüllt worden? Diese Fragen stellt sich Katja Hildebrand im Vorwort ihres Romans "Mit der Faust in der Hand". Und sie fand gute Gründe, der vorhandenen Fülle eine weitere Publikation hinzuzufügen. Einmal wäre da die Feststellung, dass die Brettheimer Tragödie im April 1945, als sich die militärische Niederlage des Dritten Reichs bereits überdeutlich abzeichnete, sogar im Ort selbst erschreckend unbekannt sei. Vor allem aber hat Hildebrand als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen bemerkt, wie wenig Material vorhanden ist, das den Zugang zu Themen wie faschistische Indoktrination für Jugendliche attraktiv macht. Ihren Roman erzählt sie daher aus der Perspektive von Georg, einem Hitlerjungen, der sich mit 15 Jahren freiwillig für den Kampf an der Front meldet.
Grundlage für die Erzählung sind Todesurteile gegen drei Brettheimer Bürger, die nach einem Scheinprozess am 10. April 1945 vollstreckt worden sind. Die stark geschwächte Wehrmacht hatte das Gebiet im Nordosten des heutigen Baden-Württemberg bereits aufgegeben und alle Soldaten abgezogen. Doch die SS verlangte von der Zivilbevölkerung, Blockaden und Sperren gegen die anrückenden Panzer der US-Armee zu errichten, und schickte zur Verteidigung des Dorfes vier minderjährige Hitlerjungen, die mit Panzerfäusten, Granaten und Gewehren bewaffnet waren. Ein Pfarrer erinnerte sich nach dem Kriegsende, dass es "fast noch Kinder" waren, und "jeder halbwegs vernünftige Mensch wußte, dass der totale Zusammenbruch unmittelbar bevorstand und jeder Widerstand, besonders der von Buben, sinnlos, ja geradezu verrückt war". Als ein paar Bauern sahen, wie die Jungen Gruben aushoben, aus denen sie die Panzer beschießen wollten, schritten sie ein: Sie entwaffneten die Buben und versenkten ihre Gewehre in einem Teich.
Diese "Wehrkraftzersetzung" endete tödlich. Der Bauer Friedrich Hanselmann, der sich gegenüber der SS als Verantwortlicher zu erkennen gab, sollte von einem Standgericht hingerichtet werden. Weil sich der Bürgermeister Leonhard Gackstatter und der NSDAP-Ortsgruppenleiter Leonhard Wolfmeyer, die als Beisitzer im Standgericht berufen worden waren, weigerten, das Todesurteil zu unterzeichnen, endeten auch sie am Galgen. Um den Hals des Bauern hing ein Schild: "Ich bin der Verräter Hanselmann." Auch Gackstatter und Wolfmeyer wurden gebrandmarkt: "Ich habe mich schützend vor den Verräter gestellt." Nur sieben Tage später wurde Brettheim durch Brand- und Splitterbomben zerstört. Die amerikanischen Truppen hatten die Bevölkerung zuvor aufgefordert sich zu ergeben. Doch niemand traute sich, weiße Fahnen zu hissen. Laut der SS war Brettheim bis zuletzt ein "Eckpfeiler der deutschen Verteidigung".
Schulprojekt trieb Aufarbeitung voran
Dass die Erinnerung an diese verhängnisvollen Tage wachgehalten wird, ist auch Schülerinnen und Schülern zu verdanken. 1982 begann eine Filmgruppe der Oskar-von-Miller-Realschule in Rothenburg ob der Tauber, eine Dokumentation zu drehen, nachdem sie erfahren hatte, dass der Großvater zweier Schüler gehängt worden war. Katja Hildebrand hat dieser Film schwer beeindruckt: "Es bewegte mich zutiefst, die damals noch lebenden Augenzeugen, unter anderem die Tochter des Bürgermeisters Gackstatter, zu sehen und zu hören, wie sie von den Ereignissen im April 1945 berichteten."
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Hans-Josef Weiß
am 24.01.2024