Lieber aber noch als um die da oben kümmert er sich um die, die sonst übersehen werden. Die Unterprivilegierten, wie sie früher genannt wurden. Proletarier aller Länder, Behinderte, Flüchtlinge. Arme und Ausgegrenzte. Er zeigt sie mit Würde, ohne sie vorzuführen. In ihrer alltäglichen Umgebung, in ihrem Reich, in dem sie ganz groß sind. Oder besser: ihre eigene Größe haben. Er zeigt, was sie tun, ihre Arbeit, ihre Freunde, ihren Alltag. Und macht sie so sichtbar, sie, die sonst nicht vorkommen in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist, wenn man so will, sein persönlicher Beitrag zu einer gerechteren Welt.
Dabei beschönigt er nichts. Natürlich nutzt er den Photoshop, das Tool zur Korrektur optischer Unzulänglichkeiten, um mal ein paar Unreinheiten im Gesicht der Porträtierten zu entfernen. Klar rückt er sie auch ins rechte Licht. Aber er ist weit entfernt von einer effekthascherischen Ästhetisierung des Elends. Er praktiziert einen professionellen Realismus, zeigt die Schattenseiten ohne heroische Überhöhung, ganz einfach so, wie es ist. Genug, dass es überhaupt gezeigt wird. Dann sollen die Leute mal sehen, was sie davon halten wollen.
Trotzdem macht er auch PR. Public Relations für die, die es in der Ego-Gesellschaft schwerer haben. Und für ihre Helfer. Die Sozialunternehmen, die Firmen, in denen die Menschen mit besonderen Fähigkeiten, wie es im Beschönigungs-Sprech heißt, ihren Platz und ihre Aufgabe finden. Und er ist seit Langem den Gewerkschaften verbunden, Hoffotograf der Arbeiterbewegung sozusagen, immer dabei bei den Lohnkämpfen, Tarifrunden, Gewerkschaftstagen. Und engagiert sich auch selbst für die Interessen seiner Berufsgruppe, in der Fotografenvereinigung FreeLens, für die Rechte und die angemessene Bezahlung der Bildreporter.
Dabei ist er heimlich auch ein bisschen spirituell, sozusagen klassenkämpferisch gebrochen, fotografiert für den proletarischen Flügel der katholischen Kirche, die Betriebsseelsorge, und die Kämpfer dort, die zugleich ganz normale zölibatäre Priester sind und doch ausgewiesene Antikapitalisten, vielleicht die radikalsten, die heute noch zu finden sind.
Mit dem schönen Schein nichts an der Schirmmütze
Der Fotograf Joachim E. Röttgers hat mit dem schönen Schein, der in seinem Metier grassiert, gerade mit den modernen Möglichkeiten der Schönfärberei, rein gar nichts am Hut, oder besser, der Schirmmütze, die er meist trägt. Die Pose, in die einer verfällt, wird von ihm gnadenlos entlarvt. Da sagt das Bild mehr als tausend Worte, zeigt die aggressiven Falten um die Mundwinkel des ansonsten doch so milde beschriebenen Landesvaters.
Die Basis seines Erfolgs ist natürlich sein Können. Er sieht das allerdings nicht als Kunst, sondern als Handwerk. Dabei ist er ein Meister seines Fachs. Ausgebildeter Fotograf, anfangs Geselle, danach Pressefotograf beim Lokalblatt in der Daimlerstadt Sindelfingen, acht Jahre lang, dann Meisterprüfung in Hamburg, anschließend macht er sich selbstständig, gründet mit seinem Kollegen Martin Storz das Fotografenbüro Graffiti. Das ist mittlerweile auch schon mehr als ein Vierteljahrhundert her. Eine weitgehend friktionsfreie Verbindung.
Dass Röttgers so ein sozial höchst verträgliches Wesen ist, hängt womöglich mit früher Prägung zusammen: Er war, was heute schwer vorstellbar ist, der kleinste unter vier Geschwistern und hat es so wohl gelernt, zu beobachten, Stimmungen zu erfassen, sich darauf einzustellen. Soziale Kompetenz ist eine seiner großen Stärken. Auch in der Disziplin Kollegialität ist er mithin ein Meister.
Nicht zu vergessen: sein Witz. Wenn er am Laptop sitzt und seine Bilder bearbeitet, fängt er manchmal unvermittelt an zu lachen, amüsiert sich über seine eigenen Bilder. Das gehört auch zu seiner Fähigkeit, Situationen zu erfassen, nicht nur optisch, grafisch, Bildaufteilung, Goldener Schnitt, die Kriterien aus dem visuellen Fach, sondern auch: die immanente Komik.
Natürlich kann es manchmal auch ernst werden, beim Shooting, wie es heute heißt, vor allem wenn es um Motive mit gewaltaffinen Mitbürgern geht. Da ist dann der mitreisende Texter mitunter ganz froh über die Größe des Fotografen, dessen pure Präsenz befriedende Wirkung haben kann; und wenn das nicht reicht, dann wird er auch mal, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, ein bisschen laut, ja rabiat. Als Partner für den Autor, dessen Waffe ja bloß das Wort ist, und zudem das geschriebene, ist der Fotograf Röttgers da eine sichere Größe.
Und die Bilder sind dann auch noch große Klasse.
Der Autor und Journalist Hans-Ulrich Grimm ist seit ewigen Zeiten mit Joe Röttgers befreundet, hat mit ihm ungezählte Reportagereisen unternommen, früher für den "Spiegel", das Nachrichtenmagazin, zuletzt für Kontext (<link http: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne die-gockelretterin-3571.html _blank external-link>"Die Gockelretterin").
Info:
<link http: www.theaterhaus.de theaterhaus external-link-new-window>"5 Jahre Kontext – Die Ausstellung" im Theaterhaus Stuttgart, zusammengestellt von Joachim E. Röttgers, zeigt von Sonntag, 29. Mai bis Mittwoch, 29. Juni spannende Bildstrecken der Kontext-Schaubühnen. Die Vernissage beginnt um 18.30 Uhr, Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier spricht. Das Ausstellungsende markiert die Mitgliederversammlung des Kontext-Vereins für ganzheitlichen Journalismus. Alle ausgestellten Werke, so effektvoll wie dauerhaft gebannt auf großformatigen Alu-Tafeln, kann man während der Ausstellung für jeweils 195 Euro kaufen und nach der Finissage mit nach Hause nehmen.
2 Kommentare verfügbar
Reinmar Wipper
am 31.05.2016