Was verbindet uns alle? Wir sind Europäer! Der geringe Erkenntniswert dieser Feststellung wird dadurch vollends ad absurdum geführt, dass sich auf die Gegenfrage, ob jemand im Publikum keinen EU-Pass besitze, auch ein paar Hände heben. Das ficht die vier Akteure von Stereo Akt nicht an, die sich in forschem Takt über die Bühne des früheren Tübinger Löwen-Kinos bewegen. Es sind Euro-Humanoiden, was man nur daran merkt, dass ab und zu die Sprachwiedergabe hängt und sie kurze, abgehackte Passagen mechanisch wiederholen, bis jemand kommt und ihnen einen leichten Schlag versetzt.
"Der durchschnittliche Europäer ist 42 Jahre alt." "Er konsumiert zehn Liter Alkohol pro Jahr." "Er verbringt fünf Stunden am Tag vor dem Bildschirm." "Er spricht 1,9 Sprachen." Die statistischen Angaben klingen zunehmend ein wenig dubios. Es liegt wohl in der Absicht des ungarischen Theaterkollektivs, wenn sich die Zuschauer fragen: Woher stammen diese Daten? "Der durchschnittliche europäische Mann wird 78 Jahre alt", heißt es – und in dem Moment bricht einer auf der Bühne zusammen.
Es geht durchaus etwas irr zu in dieser Aufführung, die in englischer Sprache stattfindet. Was sinnvoll ist, denn die je zwei Schauspielerinnen und Schauspieler sind nicht allein: Vier Tübinger Freiwillige steigen von hinten herab auf die Bühne. Und auch das Publikum, das an Caféhaustischen auf den Podesten im hinteren Teil des Saals sitzt, wird immer wieder mit einbezogen. Der Gedanke, mit ungarischer Sprache und Übertiteln zu arbeiten, wurde schnell verworfen.
Stückentwicklung mit Marktforschungsmethode
An jeder Aufführung sind fünf TübingerInnen beteiligt, an den sechs Terminen insgesamt mehr als zwanzig. Sie bilden die Fokusgruppe. Dahinter verbirgt sich eine Methode der Marktforschung, beziehungsweise hier eine Persiflage derselben, bei der Teilnehmer einer Gruppe nach ihrer Sichtweise befragt werden, in diesem Fall der auf Europa. "Are you an European Freak?" hieß es im Open Call, mit dem die Teilnehmer angeworben wurden, und weiter: "In fünf Workshops identifizieren wir die wichtigsten Herausforderungen für Europa und teilen unsere Visionen und Lösungen."
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