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Die Leichtigkeit des Steins

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Das Künstler-, Designer- und AktivistInnenkollektiv "Tools for Action" zeigt den Schwaben, wie man sich kreativ für die nächste Demo fit macht. Eine Woche lang haben die Kunstrebellen im Schauspielhaus riesige aufblasbare Pflastersteine gebastelt, um die Demokultur auf ein neues Level zu hieven.

Straßen-, Demo- und Hochkultur – wie passt das denn zusammen? Spätestens nach der großen "Demo-für-alle"-Gegenveranstaltung von Oper, Staatstheater, Ballett, Kunstmuseum, Literaturhaus und anderen Stuttgarter Kultureinrichtungen im Februar dieses Jahres ist klar: Das passt ganz schön gut. Da die Bildungsplan-GegnerInnen für ihre Abschlusskundgebungen gerne auf den Opernvorplatz am Eckensee gezogen waren, belegten SchauspielerInnen, TänzerInnen und Co. mit dem Kulturfest "Shakespeare in Love – ein Kulturfest für alle" einfach den Standort.

Damit setzten sie ein Power-Statement gegen Homophobie und andere Spielarten rechtskonservativen Denkens. Von Punkband bis Operndiva machten zahlreiche Showeinlagen unterm bunten "Vielfalt"-Banner an der Oper klar, was die Kulturschaffenden und Hunderte BesucherInnen von der "Demo für alle" halten: nichts. Die Zeiten, in denen sich staatlich subventionierte Kultureinrichtungen lieber nicht politisch positionieren sind vorbei. Und das ist gut so.

Jetzt hat das Schauspielhaus einen weiteren Coup in Sachen aktive Bürgerschaft und Demos gelandet und Workshops zum Bau von Straßenbarrikaden veranstaltet – mitfinanziert von Ihren Steuergeldern, liebe Leserinnen und Leser. Ja, haut's den Papagenos und Antigones jetzt völlig die Gurken aus dem Glas? Hoffentlich! Mit Tilly Gifford (32) und Katherine Ball (32) hat sich das Schauspiel Stuttgart zwei junge Aktivistinnen ins Haus geholt, die die Stuttgarter Demokultur auf ein neues Level hieven wollen. Gifford wurde 2009 schlagartig in Großbritannien berühmt, als ihr die Polizei in ihrer Heimat Schottland Geld anbot, um befreundete Klima-AktivistInnen <link https: www.theguardian.com uk apr strathclyde-police-plane-stupid-recruit-spy external-link-new-window>auszuspionieren. Sie ging an die Presse. Die Geschichte ging viral.

Auch Ball gehört zum international agierenden und renommierten Künstler- und AktivistInnen-Kollektiv "Tools for Action" um den Niederländer Artúr van Balen. Sie ist aus den USA angereist, um gemeinsam mit interessierten StuttgarterInnen ihren neusten Streich zu basteln: die "Barrikade des 21. Jahrhunderts". Eine Woche lang haben sie im Foyer des Schauspielhauses riesige, aufblasbare "Cobblestones", also Pflastersteine geklebt, die bei nächster Gelegenheit auf Stuttgarts Straßen zum Einsatz kommen sollen. Obendrauf gab's Barrikaden-Training: Eine Mischung aus Demo- und Straßenballett, bei dem der Ernstfall mit Codes für verschiedene Formationen geprobt wird. "Tomatooooe", schreit Tilly Gifford und lacht. Dann werfen alle die silbernen Riesenwürfel in die Luft.

Wenn Barrikaden glitzern

Bereits im Juni 2016 gab's diese Aktion in Dortmund. Dort haben "Tools for Action" mit den BürgerInnen und dem Schauspiel der Stadt an die 100 spiegelnde Pflastersteine gebastelt und damit spielerisch Barrikaden für eine Demo von rund 1000 Neonazis gebaut. Dass die Actiontools aus Spiegelfolie sind, hat einen programmatischen Grund: "Wir halten der Gesellschaft damit einen Spiegel vor", erklärt Gifford. Auch die Polizei schien mit der aufblasbaren Intervention von StudentInnen, LehrerInnen, AktivistInnen und MitarbeiterInnen des Theater Dortmunds völlig überfordert. Statt brennenden Metall- und Holzbarrikaden trafen sie auf weiche, riesige Luftballons. In Netzvideos sieht man, wie die Beamten in surrealen Szenen mit Knüppeln auf die nachgiebigen Ballons einschlagen, auf denen sich ihr eigenes Bild widerspiegelt.

Dabei wollen sich "Tools for Action" unbedingt von gewalttätigem Widerstand abgrenzen. "Wir machen Action für und mit Menschen, die aktiv bei Demos mitwirken, aber keinen Straßenkampf wollen", erklärt Gifford. Auch juristisch sind die Ballon-AktivistInnen fein raus: Von einem Moment auf den anderen können die mit Klettverschluss verbundenen Würfel aus Isolationsfolie voneinander gelöst und zum Volleyballspielen verwendet werden. Blitzschnell schützen sie jedoch wieder vor gewalttätigen Angriffen. Spiel, Spaß, Widerstand.

Die Spiegelbarrikaden wurden 2015 für Proteste während der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris entwickelt und getestet. Seitdem sind sie als eine Form des gewaltfreien Protests international im Einsatz. Sie verbinden Kunst und Design mit künstlerisch-politischen Aktionen. Doch Pflastersteine sind nicht alles, was "Tools for Action"auf der Straße aufgeblasen hat. Bereits 2010 schickte das Kollektiv einen zwölf Meter großen Hammer, zusammengefaltet in einem Trolley, an Klima-AktivistInnen, die gegen die UN-Klimakonferenz in Cancún, Mexico demonstrierten. Über internationale Medien verbreitet, wurde der Hammer zum Symbol des Protests. Bis ihm die Polizisten in grotesk-witzigen <link https: vimeo.com external-link-new-window>Bildern die Luft abgelassen haben.

Polizisten, die gegen riesige Spiegel-Pflastersteine kämpfen

2012 bastelten die Ballon-KünstlerInnen zusammen mit einer Theatergruppe in Indien einen riesigen Flip-Flop für eine feministische Demonstration. Ein Monat nach der Gruppenvergewaltigung im Dezember in Delhi demonstrierten mehr als 1500 Menschen in Mangaluru mit einem aufblasbaren, sieben Meter langen, pinken Slipper über den Köpfen gegen die Grausamkeiten, die Mädchen und Frauen jeden Tag widerfahren. Jemandem mit einem Schuh oder Slipper zu schlagen, gilt in der indischen Kultur als enorme Beleidigung. "Der Kampf der Frauen wurde größer", titelte die indische Tageszeitung "Deccan Herald" nach der Demo. Auch in Russland hielten 2013 russische DemonstrantInnen eine zehn Meter lange Säge bei einer Anti-Putin-Demo in Moskau in die Luft – in Russland ein Symbol für Korruption.

Die Geschichte der aufblasbaren Demo-"Tools" ist überraschend lang. Bereits während Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg in den 1968ern blockierte die florentinische Interventions-Gruppe "Ufo" Straßen mit ihren legendären "Urboeffimeri" (zu Deutsch etwa "städtische Eintagsfliegen"). Mit der "Urboeffimiro Nr. 5" schickten die ArchitekturstudentInnen eine aufblasbare Rakete auf die italienischen Straßen, auf der dick "Colgate con Vietcong" stand – ein Statement gegen die Verknüpfung des Vietnamkriegs mit amerikanischer Konsumkultur.

Bis die spiegelnden Pflastersteine in Stuttgart zum Einsatz kommen, werden sie im Schauspielhaus gelagert, sagt Maria Nübling vom Schauspiel Stuttgart. Dann sind Tilly Gifford und Katherine Ball wohl nicht mehr in der Stadt. Ist aber auch wurscht. "Tools for Action" kommt es darauf an, Menschen zu empowern, selbst aktiv zu werden. Die aufblasbaren Pflastersteine sind ein Open-Source-Projekt. Das heißt: <link http: www.toolsforaction.net wp-content uploads web-inflatable-cube-step-by-step-instructions-2016.pdf external-link-new-window>Baupläne und eine Video-Anleitung gibt's gratis online.

Wer dem Baumarkt einen Besuch abstattet und sich ein Wochenende Zeit nimmt, kann also im Handumdrehen sein Action-Demo-Tool bauen, sich mit anderen Menschen in Verbindung setzen und vielleicht bei der nächsten "Demo für alle" Teil der Spiegelbarrikade werden. Wer hätte gedacht, dass Hochkultur auch Straße kann und politischer Widerstand einmal glitzert.

 

Info:

Unter <link http: www.toolsforaction.net external-link-new-window>www.toolsforaction.net finden Sie weitere Infos zu den aufblasbaren Demo-Tools, sowie ein Tutorial zum selbst aktiv werden.


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1 Kommentar verfügbar

  • Karl Marx
    am 21.10.2016
    Antworten
    Wenn werden denn die Würfel eingesetzt? Gibt doch leider immer wieder Gelegenheiten. Morgen beispielsweise gibt´s in Fellbach eine rassistische Demonstration samt Gegenprotest. Warum werden die Tools for Action nicht beispielsweise dort eingesetzt?!
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