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Wo bitte geht es hier zur Offensive?

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Seit Wochen lassen sich führende Grüne von der CDU in der Schadstoffdebatte am Nasenring durch die Manege ziehen. Ohne Gegenwehr nehmen sie hin, dass über die Stuttgarter Luft fast allein unter dem Aspekt der Vermeidung weiterer Fahrverbote diskutiert wird. Jetzt soll sogar das Euro-4-Paket neu geschnürt werden.

Die Abläufe sind immer dieselben. Gremien tagen, häufig der Koalitionsausschuss, Ministerpräsident Winfried Kretschmann tritt mit oder ohne Stellvertreter Thomas Strobl vor die Medien, um das weitere gemeinsame Vorgehen zu erläutern. Und die Auskünfte haben in der Regel eine Halbwertszeit von gerade mal einer Stunde. Denn dann kommen CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart, CDU-Generalsekretär Manuel Hagel oder Strobl selber und geben der Sache eine neue Wendung. Auch Stefan Kaufmann, der Kreischef, und Alexander Kotz, der Gemeinderatsvorsitzende dürfen aus der Kulisse treten, um wahlweise einseitige Bewertungen in die Welt zu setzen oder neue Forderungen aufzustellen – gerne verbunden mit persönlichen Attacken auf maßgebliche Köpfe in den Reihen des Koalitionspartners.

Und die Grünen? Starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. "Das Luftproblem lässt sich nicht wegmessen, es muss gelöst werden", sagt Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand. Eine Binsenweisheit im wirklichen Leben. Ein Aufreger in einer Landesregierung, in der die Entfremdung galoppiert. Schon dass die Grünen in Sachen Luftreinheit zurück in die Offensive wollen, ist vielen in der CDU ein Dorn im Auge. Strobl und Reinhart stricken – wie gewohnt nicht gemeinsam, sondern in Abneigung verbunden – an der Legende, die Grünen, namentlich Verkehrsminister Winfried Hermann, Regierungspräsident Wolfgang Reimer und OB Fritz Kuhn, säßen im Bremserhäuschen, wenn es darum geht, Fahrverbote zu umschiffen.

Bei Fahrverboten schlägt die Stunde der Einzelfälle

Ziemlich genau das Gegenteil ist der Fall, was sich in der öffentlichen Debatte aber kaum widerspiegelt. Die Pro-Diesel-Kundgebungen sind zwar kleiner als die kleinste S-21-Montagsdemo, erreichen aber überproportionale mediale Aufmerksamkeit, sogar zur Prime-Time. Die Stuttgarter Blätter und der SWR überbieten sich gegenseitig im Mitgefühl für Betroffene. Von ihnen kommen die einen nicht mehr zu ihrem Stammtisch, so als wäre der ÖPNV abgeschafft statt ausgebaut. Andere müssen Großtanten oder Opa versorgen mit ihrem alten Euro-4-Fahrzeug. "Das ist immer die Stunde der Einzelfälle", sagt der Ministerpräsident und nennt als vorrangiges Ziel, "die Luft rein zu halten und nicht Leute ungebührlich unter Stress zu setzen". Was allerdings schon wieder aus der Perspektive der AutofahrerInnen gedacht ist.

Es gibt eine andere, wichtigere: die der Neckartor-AnwohnerInnen. Deren Stress ist Thema seit inzwischen 15 Jahren, aber der CDU offenbar weitestgehend schnuppe. Dabei haben sie seit 2010 ein förmliches Recht auf Einhaltung der Grenzwerte für Luftschadstoffe. Weil sie aber ihre Blumentöpfe bei den anstehenden Kommunalwahlen ohnehin nicht unter ökologisch Vernünftigen gewinnen wird, konzentriert sich die Christen-Union ganz auf Nöte und Schmerzen der Diesel-Besitzer. Reinhart, der die Backen arg dick gemacht hatte mit dem Versprechen, es werde keine weiteren Fahrverbote geben, stellt sogar eine Überprüfung der schon verhängten Euro-4-Fahrverbote in Aussicht. Die Frage sei, ob man bei besseren Luftmesswerten überhaupt noch Fahrverbote in Stuttgart brauche. Natürlich sagt er nicht, wo diese besseren Werte herkommen sollen. Aber es fragt ihn auch niemand. Die Botschaft ist in der Welt und Kretschmann wieder einmal düpiert, weil er eben noch verkündet hatte, solche Fragen werde er erst dann behandeln, wenn tatsächlich bessere Werte vorliegen.

Reinhart argumentiert mit der inzwischen zum Gummibegriff überdehnten Verhältnismäßigkeit. Als Jurist müsste er es eigentlich besser wissen. Ein Kollege, der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, schrieb kürzlich allen, die sich ebenfalls populistisch auf dünnes Eis begeben, ins Stammbuch, dass Verhältnismäßigkeit "selbstverständlich ist und staatliche Entscheidungen diese Forderung immer erfüllen müssen". Er habe aber rechtlichen Zweifel, "ob man durch eine – im Übrigen gegen europäisches Recht gerichtete – neue Grenzwertfeststellung die Verhältnismäßigkeit definieren kann". Und Baum fügte noch einen Merksatz hinzu: Die Politik solle "sich hüten, den Menschen falsche Hoffnungen zu machen".

Grüne Weichspüler haben Konjunktur

Da hätten auch Baums Parteifreunde aufhorchen müssen. Das Klima- und Umweltbündnis Stuttgart hat sich mit der FDP auseinandergesetzt, "der ehemaligen Partei der Rechtsstaatlichkeit", und deren Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke, dem "promovierten Biedermann als Brandstifter". Das Bündnis hält ihm Aussagen vor wie: "Manche sagen, die Deutsche Umwelthilfe habe mehr mit der organisierten Kriminalität zu tun als mit dem Umweltschutz". Politiker wie er oder der CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer ("Die DUH ist eine halbkriminelle Vereinigung") wendeten "die gleichen Methoden an wie die Kaczyńskis und Orbàns dieser Welt: Diskreditieren, kriminalisieren, finanziell austrocknen". Abgelenkt werde dabei vom Versagen der Politik seit 2005.

Vielleicht würden ähnlich scharfe Bemerkungen aus dem Munde Kretschmann, Hermann oder Hildenbrand unter Liberalen wenigstens gehört oder die CDU-Scharfmacher vom Überreizen abhalten. Stattdessen haben Weichspüler Konjunktur. Er müsse nicht alles kommentieren, sagt Umweltminister Franz Untersteller zu den Verunglimpfungen, die die Fachleute in der Karlsruher Landesanstalt für Umwelt neuerdings über sich ergehen lassen müssen. Alles nicht, aber manches schon.

Klarstellungen würden dem Wohle des Ganzen dienen. Zum Beispiel der Hinweis, dass auch dann, wenn die Luft in Stuttgart besser wird, sie weiterhin ziemlich schlecht ist. "Grenzwerte zu erreichen, ist ein Muss und kein Idealfall", erinnerte vor Weihnachten der Verkehrsminister, "denn ideal ist Null." Aktuell, am 12.März 20129, liegen die NOX-Werte am Neckartor deutlich unter den "zum Schutz der menschlichen Gesundheit" vorgesehenen 200 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die dürfen allerdings nur 18 Mal im Kalenderjahr überschritten werden. Wie Jungs im Sandkasten um die Förmchen, so hat Strobl um die Deutungshoheit selbst am Neckartor gekämpft, wo seit 2003 gemessen wird, und darum, dass Passivsammler höher gehängt werden. Immer insinuierend, damit würden sich die Konzentrationen verändern.

Zweite Busspur wird zum Zankapfel

Dabei entscheiden am Ende ganz andere Aspekte, die die Grünen längst in den Vordergrund hätten rücken müssen. Ende des vergangenen Jahres wurde ein Kompromiss verabschiedet, der dem nie erfüllten Vergleich zwischen Landesregierung und AnwohnerInnen folgte: Entweder ist bis 15. Oktober die neue zweite Busspur in Betrieb, oder es kommen doch, zumindest streckenbezogene, Fahrverbote für Euro-5-Fahrzeuge. Allerdings bringt die Busspur jede Menge Friktionen. Verkehrlicher Art, weil wer rechts abbiegen will von der B 14 in Kerner- oder Neckarstraße, sie erst einmal überqueren muss. An der Heilmannstraße wiederum muss der Bus stadtauswärts quer über die verbleibenden zwei Spuren für den Individualverkehr, um auf die bereits vorhandene für den ÖPNV reservierte Trasse einbiegen zu können.

Sogar zwischen Stadt und Land droht die Busspur zum Zankapfel zu werden. Schon die Mitteilung von Kretschmann und Strobl, es gebe bereits Vorarbeiten, führte zu einer Richtigstellung durch das Rathaus: Keine Vorarbeiten, sondern bestenfalls Vorgespräche. Speziell die CDU ist intern uneins: Strobl und die Landtagsfraktion wollen die Spur, Kotz und Kaufmann hingegen nicht. Klarheit könnte ein Gutachten zur Wirkung bringen, aber da müssten – gut zwei Monate vor der Kommunalwahl – die Genannten überhaupt erst einmal alle wieder willens werden, relevante Fakten zur Kenntnis zu nehmen.

Etwa diese: dass der Verkehr am Neckartor seit 2010 immerhin um zehn Prozent zurückgegangen ist, woraus abzulesen wäre, welche Maßnahmen wirklich greifen. Oder dass es Euro-4-Fahrzeuge in der Stadt ohnehin nur noch im einstelligen Prozentbereich gibt und sogar – eine Idee von Kretschmann höchstpersönlich – eine neue Stelle für Härtefälle eingerichtet worden ist, um ebenjene zu vermeiden. Vor allem aber bestehen nach wie vor jene Zusammenhänge, die Winfried Hermann unermüdlich CDU-Abgeordneten nahezubringen versucht: Euro-5-Fahrverbote werden wahrscheinlicher, wenn zu viele Ausnahmen für Euro 4 gemacht werden.

Wie Hildenbrand ist der grüne Verkehrsminister einer der wenigen in seiner Partei, die manchmal vernehmlich aufmucken – gegen einen koalitionären Konsens, der oft alles andere überwiegt. Bisher jedenfalls ausnahmsweise hat sich auch Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz zu Wort gemeldet: "Ich wünsche mir, dass die CDU sich nachmittags erinnert, was sie vormittags mit uns vereinbart hat." Die Wahrscheinlichkeit, dass die Adressaten auf ihn hören, ist gleich Null.


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4 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 29.03.2019
    Antworten
    Offensiv herangegangen an die HERREN und DAMEN in unserem Landtag, die bereits im Jahr 2005 sich der überbordenden Belastung unserer Bevölkerung annahmen! [b][1][/b]
    Nein, tatsächlich? Was isch draus gworda?

    Also heutzutage:
    SWR4 Regionalnachrichten um 09.30 Uhr „Mit Miriam Staber. Guten Morgen. ……
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