Für den Moment ist diese Strategie gar nicht so schlecht. Denn wer nichts weiß über den Stand der einzelnen Maßnahmen zur Luftreinhaltung, wer mit Begriffen wie NOX-Filteranlage oder Busspur um sich wirft, ohne über die Auswirkung im Praxistext diskutieren zu können, lässt grüne KritikerInnen ins Leere laufen. Zumal bekannt ist, wie sich das Staatsministerium harmoniebedürftig in Sachen Koalition notfalls schützend vor Strobl stellt und nicht hinter Hermann.
Sogar Fritz Kuhn, der Parteifreund auf dem Chefsessel im Stuttgarter Rathaus, bekommt den Kollateralschaden diesmal ab. Denn Kretschmann widerspricht mit keinem Wort, als dem OB vom CDU-Innenminister sogar die Zuständigkeit für einen Kompromiss mit der CDU-Gemeinderatsfraktion zur Durchsetzung einer umstrittenen Busspur vor die Tür gerollt wird. Die könnte, wird sie gebaut, vor allem zu einem führen: zu neuen und viel größeren Staus direkt vor der Messstation am Neckartor. Kein Wunder, dass die Grünen auf eine gemeinsame Inaugenscheinnahme aller beschlossenen Einzelheiten vor Ort bestehen.
Kuhn lehnt die Vermittlungsrolle postwendend und dankend ab, verlangt stattdessen vom CDU-Landesvorsitzenden, "der Stuttgarter CDU und den Unterorganisationen der CDU wie der Mittelstandsvereinigung klar zu machen, dass die heute getroffenen Beschlüsse der grün-schwarzen Landesregierung nichts an den Verkehrsverboten für Euro-4-Diesel und schlechter ändern." Und weiter: "Lieber Herr Strobl, sorgen Sie dafür, dass die Stuttgarter CDU nicht bekämpft, was die Landes-CDU in der Koalition mitbeschlossen hat."
Einzige Idee: bei der Kommunalwahl als Anti-Fahrverbotspartei punkten
Der Austausch unter den Schwarzen wäre schon allein deshalb von Bedeutung für den weiteren harmonischen Gang der Regierungsdinge, weil die CDU in der Landeshauptstadt bisher alles der Idee unterordnet, zur Kommunalwahl am 26. Mai mit der Ablehnung von Fahrverboten punkten zu können. Da wird negiert, wie schlecht die Luft im Talkessel ist, dass schon seit 2010 alle gesetzlichen Vorgaben hätten erfüllt sein müssen, wie lange die EU schon droht, oder dass die damals noch unangefochten in Land und Landeshauptstadt regierenden ChristdemokratInnen entscheidende Weichen gestellt haben und deshalb die ganze Stadt Umweltzone ist. Wenn jetzt der Ruf nach einem Verzicht auf Fahrverbote in den Außenbezirken laut wird, dann müssten erst einmal seriöse Vorschläge zur Machbarkeit auf den Tisch. Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Auch Strobl kann dazu nichts sagen.
Auf diese Weise haben sich viele Schwarze aus der ernsthaften Debatte verabschiedet, machen gezielt mit Halbwissen Stimmung, die Risiken und Nebenwirkungen in Kauf nehmend. Denn aus der alten Baden-Württemberg-Partei wurde die neue Dagegen-Partei: gegen Fahrverbote, gegen eine Nahverkehrsabgabe, gegen mehr Klimaschutz, gegen ein neues Landtagswahlrecht oder gegen die gebundene Ganztagsschule. Und nicht zuletzt gegen Fakten. Jetzt würden "hoffentlich für die Gesamtstadt repräsentative Werte unterhalb der NOX-Grenzwerte gemessen, die ein flächendeckendes Fahrverbot für Euro-5-Fahrzeuge verhindern", schreibt Agrarminister Peter Hauk (CDU) am Dienstag auf Facebook nach der Sitzung des grün-schwarzen Koalitionsausschusses. So als richtete sich die Realität nach den Messstellen und müssten nicht umgekehrt Messstellen anzeigen, was Sache ist.
Kretschmann würde den Dagegen-Vorwurf an die Adresse des Koalitionspartners kontern mit seiner Überzeugung, dass "Nein-Sagen zur Demokratie gehört, genauso wie das Ja". Und dass das Denken in Alternativen die Demokratie ausmache. Genau dies hatte die CDU aber nicht gelten lassen, als sie, vergleichsweise verbalradikal, ihre einschlägigen Kampagnen gegen die Grünen auf Landes- und Bundesebene fuhr. Sogar interaktive Karten waren geschaltet im Netz, in die die Parteibasis eigene Erfahrungen mit den Dagegen-Grünen eintragen konnte, von Veggie-Day bis Steuererleichterungen. "Neue Bahnhöfe, neue Straßen, neue Schienen, neue saubere Kraftwerke", heizte der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Debatte immer neu an, "die Grünen sind verantwortungslos gegen alles." Wer mit dem Zeigefinger auf andere deute, so Grünen-Chef Chris Kühn im Landtagswahlkampf 2011, richte vier Finger gegen sich selbst: Tatsächlich sei die CDU "die Dagegen-Partei par excellence, innovationsfeindlich, rückständig und von gestern".
7 Kommentare verfügbar
M. Stocker
am 24.02.2019Dann wundert es mich, dass die Stickoxid-Belastung von diesem kleinen Anteil der Fahrzeugflotte herrühren soll. Angenommen, die gefahrenen Strecken entsprechen der Stuttgarter…