Im Jahr 1963 in Wyoming fährt der Hilfsarbeiter Dick Cheney (Christian Bale) nach einer Schlägerei schwer besoffen durch die Nacht, fällt bei einer Polizeikontrolle aus der Fahrertür, wird danach von seiner Ehefrau Lynne (Amy Adams) wieder mal aus dem Knast geholt und von ihr schließlich vor die Wahl gestellt: Entweder er hört auf mit den Alkoholexzessen, oder sie wird ihn verlassen. Und Cheney entscheidet sich falsch. Er verspricht der um die eigene Karriere besorgten Lynne, sich von nun an im Griff zu haben. Dabei wünscht man sich so sehr, er hätte weitergetrunken! Dann wäre vielleicht nicht ihm, aber doch der Welt einiges erspart geblieben. Denn kurz vor diesen Szenen hat Adam McKays "Vice" schon vorausgeblickt in jene Zeit, in welcher der Titel des Films und der seines Helden zur Deckung gebracht sind. Genauer: Dick Cheney, entsprungen einer Establishment-Familie, ein abgebrochenes Yale-Studium, ein Mann, der sich steil nach unten gesoffen hat. Er wäre beinahe in der Gosse gelandet, ist in den ersten Bildern zu sehen als US-Vizepräsident, der die Nachricht vom 9/11-Terroranschlag sofort als Chance begreift, die Macht an sich zu reißen.
Wie? Er musste die Macht nach einigen verwirrenden Stunden doch wieder an George W. Bush (Sam Rockwell) abgeben? Das stimmt, auch in diesem Film bleibt Cheney weiter der Vize – aber nur formell. Tatsächlich hat er seine Leute schon an den wichtigsten Stellen im Weißen Haus installiert, tatsächlich geschieht hier nichts mehr ohne sein Wissen, tatsächlich ist er es, der die Strippen zieht und dem unbedarften Chef Entscheidungen einflüstert, die dieser willig absegnen wird. Klimavernichtung, Krieg gegen den Terror, Afghanistan, Irak, Guantanamo oder Waterboarding: Dick Cheney lässt nichts aus, um zu einem der größten Saukerle der Historie zu werden. Aber er agiert dabei als unauffälliger Mann im Hintergrund, der sich den Anschein eines ruhigen, spröden und rationalen Buchhalters gibt. Wenn er etwa, angesprochen auf die Genfer Konvention, von "Auslegungssache" spricht, dann hört sich das an, als könne man darüber genauso diskutieren wie über die Ausweitung einer Fußgängerzone.
Der Regisseur Adam McKay, der in "The Big Short" (2015) eine wahre Geschichte aus der Zeit der Immobilienkrise auf spritzige Weise nacherzählt hat, springt in "Vice" mit seinem Helden durch die Dekaden. Vor und zurück. Im Jahr 1968 etwa geht Mr. Cheney nach Washington, knüpft als Praktikant Kontakte zum überbordend jovialen Donald Rumsfeld (Steve Carrell) und will von dem mal wissen: "Woran glauben wir?" Da lacht ihm der hemdsärmelige Zyniker Rumsfeld ins Gesicht, so als könne er nicht fassen, dass da jemand nach dem Zusammenhang von Politik und persönlicher Überzeugung oder gar nach einer Moral fragt. "Oh, shit!", so lautet seine Antwort. Und Dick Cheney zieht sich wieder zurück in sein ihm zugewiesenes Kämmerlein und macht sich fleißig daran, ganz viel Scheiß in Politik umzusetzen.
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Andromeda Müller
am 23.02.2019