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Hochtouriger Leerlauf

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Burkhard C. Kosminski soll Armin Petras nachfolgen und dem Schauspiel Stuttgart wieder zu Relevanz verhelfen. Am Nationaltheater Mannheim, wo er seit 2006 tätig ist, scheiterte er daran. Dass ihn eine Findungskommission trotzdem auswählte, dürfte sich rächen.

Nein, so wird das nichts. Brav und bieder schleppt sich die Inszenierung mit ihrem entmaterialisierten Ton dahin, beinahe alles ist schwebende Anmut, verhaltene Innigkeit, lyrische Monstranz. Dabei sollten auf der Bühne des Nationaltheaters Mannheim eigentlich Fluchtursachen und gesellschaftliche Unwuchten verhandelt werden; Roland Schimmelpfennigs "Das große Feuer" wollte es zumindest so. Aber offenbar nicht Regisseur Burkhard C. Kosminski, passenderweise Hausherr und damit keinem Spartenleiter rechenschaftspflichtig, der in diesem Stoff das Fegefeuer eines irdischen Infernos hätte sehen können.

Beinahe genau vor einem Jahr war hier ähnliches zu konstatieren. Derselbe Regisseur, derselbe Autor, derselbe Bühnenbildner verantworteten mit "An und Aus" einen Abend über den Atomunfall in Fukushima. Und schon damals erschöpfte man sich immer dann in Andeutungen, raschelte mit Papier, betrieb Schattenspiele und romantisierte hemmungslos, wenn beklemmender Realitätsspuk das Mittel der Wahl gewesen wäre. Selten war die Apokalypse fröhlicher und die Niedlichkeits-Falle gieriger als während dieser beiden Inszenierungen. "Dinner for One" spielt jetzt in Mannheim: The same procedure as last year.

Publikum und Kritiker sind von Kosminski inzwischen kaum mehr anderes gewohnt. Bertolt Brechts vielleicht vorschnelle Erkenntnis, wie anstrengend es doch sei, böse zu sein – auf die Arbeiten des 55-Jährigen trifft das zu. Jedenfalls dann, wenn "böse" durch "inhaltlich" oder "politisch" ersetzt wird. Seit 2006 amtierte er zunächst als Schauspieldirektor, nach dem Rückzug von Generalintendantin Regula Gerber dann als Spartenintendant in Mannheim, und hat in dieser Zeit ungewöhnlich viele Stücke mehr oder weniger namhafter deutscher Dramatiker uraufgeführt.

Kosminski pflegt eher nützliche Kontakte als die Regiekunst

Ermöglicht hat das ein faustischer, unfixierter Pakt: Kosminski schmückt sich mit Prominenz und die Autoren können sicher sein, dass er es bei bestenfalls moderaten Änderungen belässt. Denn Streichungen, Setzungen, Akzentuierungen sind nicht seine Sache. Als Regisseur repariert er nicht, sondern verstärkt und lässt vom Blatt spielen. Konturen gewinnen diese Abende höchstens – ähnlich dem Aufbau chemischer Verbindungen durch Einwirkung von Tageslicht – aus sich selbst heraus. Das Resultat: Inszenierungen, die den Nervenkitzel eines Klosters mit der Sinnlichkeit eines Finanzamts verbinden, von Stücken, die nach Gebrauch verschwinden. Nachgespielt – Indikator dafür, was in Mannheim über die Bühne geht – wird kaum eine der Ex-und-Hopp-Vorlagen. Hier gedeiht das Nullwachstum.

Die Bilanz bildet das ab. Weder zum Berliner Theatertreffen noch zu den Ruhrfestspielen wurde er bislang eingeladen und, noch aussagekräftiger, auch keine andere Produktion seiner Sparte. Kosminski hat die Schauspiel-Dependance des Nationaltheaters von der Landkarte der deutschen Bühnenlandschaft gefegt. Dröhnendes Eigenlob kann das nicht kaschieren. Erfolgreicher agiert ausgerechnet seine Intendanten-Kollegin Andrea Gronemeyer, die das Jugendtheater des Hauses leitet und regelmäßig ausgezeichnet wird; sie beweist, dass die Ursache des Problems nicht geographischer, sondern personeller Natur ist.

Nach den Gesetzmäßigkeiten der Branche reitet jemand seiner Generation mit dieser Biographie längst in den Sonnenuntergang der eigenen Laufbahn. Kosminski hingegen wird, falls der Verwaltungsrat der Württembergischen Staatstheater am 24. April zustimmt, künftig als Nachfolger von Armin Petras das Schauspiel Stuttgart leiten. Seit Kriegsende waren kein Generalintendant und kein Schauspielchef, die in der Landeshauptstadt antraten, älter. Selbst Über-Vorgänger Claus Peymann, ewiger Gralshüter einer weniger trüben lokalen Vergangenheit, hat Vorbehalte: "Es ist ein immanenter Theaterplatz. Ich wünsche Kosminski alles Theaterglück. Hoffentlich wird es für ihn nicht zu einer Hypothek, dass er aus Mannheim kommt, weil ein größerer räumlicher Abstand für kreative Theaterarbeit wichtig ist." Deutschland, sofern es die Schaubühne nicht vollends vergessen hat, wundert sich.

Dieses Mysterium ist Ausfluss erfolgreichen Kalküls. Gezielt sucht Kosminski die Nähe von Politikern und einflussreichen Theaterschaffenden, pflegt weniger die Regiekunst als nützliche Kontakte. Mit Mannheims Oberbürgermeister duzt er sich und Matthias Lilienthal, damals als designierter Intendant der Münchner Kammerspiele umschmuster Liebling der Szene, diente er 2014 bei der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft im Werkhaus des Nationaltheaters als Trabant: Jeweils nur kurz konnte sich Lilienthal der hartnäckigen und von Teilnehmern amüsiert registrierten Fürsorge des Gastgebers entziehen, wenn dieser sich auch Ulrich Khuon – Intendant des Deutschen Theater Berlin und später Mitglied just jener Findungskommission, die Kosminski einstimmig für Stuttgart vorschlug – zuwandte.

Sogar das Rahmenprogramm seiner Sparte mutet an, als ziele es vor allem auf die Anwerbung von Politprominenz ab. Kürzlich weilte Ministerpräsident Winfried Kretschmann zur ersten Auflage der "Mannheimer Reden" am Rhein. Wie Kosminskis Pressesprecherin das neue Format erläutert, ist von unfreiwilliger Komik: "Ein Anstoß des Nationaltheaters Mannheim in Zusammenarbeit mit dem Heidelberger Bildungs- und Gesundheitsunternehmen SRH unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters der Stadt Mannheim Dr. Peter Kurz; Medienpartner: Mannheimer Morgen." Mehr Establishment geht wirklich nicht.

Nicht vom Geist der Opposition getrieben

Dagegen wäre weniger zu sagen, wenn es der Sache diente. Nur hat sich das Wirken des passionierten Öffentlichkeitsarbeiters längst verselbstständigt: Seine Entscheidungen und Initiativen fördern nicht das Theater, sondern ihn. Kosminski verkauft sich selbst. Dort, wo Friedrich Schillers Protest-Drama "Die Räuber" 1782 uraufgeführt wurde, entstellt sich heute bis zur Kenntlichkeit ein Kunstverständnis, das nicht vom Geist der Opposition getrieben, sondern von Anpassung und Anbiederung zersetzt wird.

Wobei Tatsachen bedarfsweise zur Dispositionsmasse und damit zu Kollateralschäden mutieren. Mitunter verfängt sich Kosminski bei der Eigenvermarktung in Superlativen. Wie vor drei Jahren, als er – bislang sein alarmistisches Meisterstück – in einem Brandbrief an mehrere Minister mit gravitätischem Credo, dramatisch veredeltem Parlando und avantgardistischer Interpunktion den angeblich drohenden Untergang der deutschen Bühnenlandschaft vorhersagte. Discite moniti: Lernt, Ihr Ermahnten! Vergils "Aeneis" hätte die Blaupause sein können. Aber schon der zweite Satz, mit dem Kosminski sein Haus nonchalant zum "ältesten kommunalen Theater der Welt" ernannte, enthielt eine Falschbehauptung (das Erlanger zum Beispiel ist älter). Danach wurde es nicht besser. Unverdrossen die Kompetenzen von Bund und Ländern vermischend, forderte er, den Solidaritätszuschlag den Kulturhaushalten zuzuschlagen. Daraus sollten künftig auch Printmedien gefördert werden; als ob Zeitungen am finanziellen Gängelband des Staates ein demokratisches Ideal wären. Keiner der Vorschläge war juristisch umsetzbar.

Ohnehin ist kaum einer weniger dazu berufen, mehr Geld für die Bühnen zu fordern. Das Nationaltheater leistet sich, während bei Darstellern und Sängern gespart wird, fünf Intendanten. Dass gerade in Kosminskis Sparte ungewöhnlich aufwendige Bühnenbilder realisiert werden, mag noch künstlerischen Argumenten geschuldet sein. Anders verhält es sich, wenn – wie vor einigen Spielzeiten geschehen – eigens für eine Produktion und für einen Betrag, von dem ein Hartz-IV-Empfänger mehrere Monate leben muss, ein Ring angeschafft wird. Motto: Ein falscher König braucht wenigsten echten Schmuck. Selbst aus den vorderen Reihen war das edle Requisit, das dem Schauspieler nur gegen Quittung ausgehändigt und umgehend nach jeder Aufführung weggeschlossen wurde, nicht zu erkennen.

Betriebsklima im Mannheimer Ensemble lässt zu wünschen übrig

Weil Kosminski vor allem ins Abseits strahlt, gärt es im Ensemble. Das Haus ist unter ihm zum theatralen Himmelfahrtskommando geworden, gilt als Karrieren-Endlager. Wer hier arbeitete, kommt an den ersten Bühnen des Landes nicht mehr unter. Jenny König, die er gebetsmühlenartig als Gegenbeweis anführt, ist die berühmte Ausnahme, welche nicht die Regel entkräftet. Sie wechselte 2009 sofort nach ihrem zweijährigen Anfängerengagement an die Berliner Schaubühne und gehörte zu kurz dazu, um mit seinem Theater identifiziert zu werden. Neben der Aussichtslosigkeit drückt die Belastung durch die vergleichsweise vielen Neuproduktionen und das große Repertoire das Betriebsklima. Der hochtourige Leerlauf, den der ehrgeizige Intendant dem Ensemble für immer wieder neue Schlagzeilen und Auslastungsrekorde aufbürdet, fordert Tribut und manchmal auch die Gesundheit.

Trotz aller kosmetischen Optimierungen waren seine Bemühungen um andere, prestigeträchtigere Wirkungsstätten lange erfolglos. Kosminski – stets um den Eindruck bemüht, das Copyright jeder Idee liege bei ihm – verliert schnell an Glanz, je weiter man sich von Mannheim entfernt. Zu tief steht er als Regisseur und Intendant im Soll, als dass Entscheider dies übersehen könnten. Vor vier Jahren verhob er sich bei seinem Düsseldorfer Musiktheater-Debüt grandios an Richard Wagners "Tannhäuser"; Opern-Journalisten kürten die Episode in einer Umfrage zum "Reinfall der Saison" und "FAZ"-Großkritiker Gerhard Stadelmaier verdammte Kosminski in sprachlich nicht ganz korrekter, aber trotzdem furioser Weise als "Einfallspinsel".

Auch konzeptionell vermag er lediglich begrenzt zu begeistern. Als Leipzig einen Nachfolger für Schauspiel-Intendant Sebastian Hartmann suchte und Kosminski sich auf Vermittlung des Deutschen Bühnenvereins vorstellte, erinnerte sich Oberbürgermeister Burkhard Jung als Mitglied der Findungskommission schon kurz danach nicht mehr daran: "Wer? Nie gehört. Aber ich erkundige mich." Zwei Tage später folgte der versprochene Rückruf: Ja, Kosminski sei tatsächlich dort gewesen. Eindruck, gar bleibenden, habe er nicht hinterlassen.

Stuttgart ist deshalb seine letzte Chance. Umgekehrt gilt das nicht. Wer die Sphärenklänge von Kunstministerin Theresia Bauer ("Seine Leidenschaft und seine Ideen werden das Publikum begeistern.") und Oberbürgermeister Fritz Kuhn ("Ich verspreche mir spielfreudiges und ästhetisch anspruchsvolles Theater.") mit der Realität abgleicht, wähnt sich in einem Paralleluniversum. Was Schiller und Lessing für die Schaubühne forderten, nämlich eine moralische Anstalt zu sein, davon ist das Nationaltheater Mannheim so weit entfernt wie ein Amazonas-Stamm von einer bemannten Marsmission. Nichts spricht dafür, dass sich das in Stuttgart ändern könnte. Denn die Apokalypse offenbart sich bei Burkhard C. Kosminski nicht als Analyse oder Prophezeiung und braucht auch keine Bühne. Es ist die Apokalypse einer Kunstform.

 

Martin Eich ist Feuilletonist und Theaterkritiker. In Südhessen wohnend, beobachtet er das Nationaltheater Mannheim und Burkhard C. Kosminski seit Jahren aus der Nähe.


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4 Kommentare verfügbar

  • Marlies Beitz
    am 25.04.2017
    Antworten
    .. und heute steht der Artikel "Kreativ mit der Zukunft spielen" von Roland Müller in der StZ. Haben die beiden Herren eigentlich über den gleichen Intendanten geschrieben? Oder gibt es zwei Personen mit dem Namen Kosminski?
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