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Punk und Perlwein

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Schorsch Kamerun hat sich mit seinen beiden Theaterinszenierungen ins Herz der Stuttgarter Kulturszene gespielt. Wie hat sich seitdem die Beziehung des Hamburger Punk-Avantgardisten zur Landeshauptstadt entwickelt?

Mit seiner Inszenierung "Das glaubst du ja wohl selber nicht" verwandelte der Hamburger Altpunk Schorsch Kamerun von Mai bis Juni 2016 die Theaterkarte zum LSD-Ticket. Schickte die BesucherInnen des Stuttgarter Schauspiel Nord auf einen irren Gaga-Ritt durch Konzert, Performance, Installation und Party. Die Nummer schlug voll ein. In Etablissements der Stuttgarter Subkultur-Szene fragten sich die Menschen gegenseitig, ob sie das neue Stück von Kamerun schon besucht hätten. Viele gingen mehrmals rein, ein Theaterbesuch wurde irgendwie cool. Nach der Vorstellung traf man den Regisseur sogar gelegentlich in der U-Bahn auf dem Weg in seine Interimswohnung. Anquatschen voll okay.

Damit schafften Kamerun und das hiesige Schauspiel etwas, das als Sisyphusarbeit gilt: Subkultur mit der sogenannten Hochkultur zu verbinden. Eine Fusion von Punk und Perlwein. Doch das war nicht das erste Mal. Bereits Ende März 2014 feierte Kamerun die Premiere seiner ersten Theaterregiearbeit in Stuttgart. "Denn sie wissen nicht was wir tun" hieß das Stück und verband Konzerte von Stuttgarter Bands mit Fluxus, einer Dada-inspirierten Kunstrichtung. Die Sammlung Sohm in der Stuttgarter Staatsgalerie bildete für Kamerun den Ausgangspunkt seiner Inszenierung. Auch hier reichten sich Subversion und die Abonnement-Kultur die Hände. Trafen Trash-KünstlerInnen auf gestandene Theaterfans.

Spätestens als Kamerun Ende Oktober dieses Jahres mit Ministerpräisdent Winfried Kretschmann im "SZ-Magazin" diskutierte, war zu spüren, dass die Landeshauptstadt es dem Anarcho-Künstler angetan hat. Der Sänger der Hamburger Avantgard-Punk-Band "Die goldenen Zitronen" quatschte mit dem grünen Ministerpräsidenten in der Villa Reitzenstein über Windräder, Kapitalismus, die S21-Baustelle und den Mangel an gesellschaftlichen Identifikationsangeboten. Mal waren der Ex-Kommunist und der Punksänger- und Regisseur einer Meinung. Mal hielt Kamerun dem Landeschef vor, dass er immer nur "diplomatisch formulieren" würde, obwohl härteste Kritik, am Kapitalismus etwa, durchaus angebracht wäre. Oder am Stadt-Trauma Stuttgart 21.

"Voll normal" sei er gewesen, der Kretschmann, erzählt Kamerun Kontext gegenüber. Zumindest so normal wie man als katholischer Ministerpräsident mit kommunistischer Vergangenheit eben sein könne. "Da läuft er dann halt in seinen Gesundheitsschuhen durch sein Schlösschen, vorbei an der Galerie mit den ganzen Mappus-Heinis" (Anm. d. Redaktion: den ehemaligen Ministerpräsidenten). "Das finde ich einfach total widersprüchlich alles". Doch genau das inspiriert Kamerun: der fast schon "zeitgenössische Widerspruch" zwischen aufgeschlossenem Kunst- und Kulturreichtum und dem unerschütterlichen Glauben an Wachstum. "Diesen komischen Glauben ans Material und so Großquatsch wie S21". Vielleicht sei es die Sozialisation "im Ländle", dass man sich einfach nicht vorstellen könne, "dass der Motor nicht mehr brummt", stellt der Hamburger belustigt fest. 

Im neuen Jahr will er wieder mit einem Theaterstück herkommen, "vielleicht mit was Klassischem", verrät er. Dann natürlich voll durch den LSD-Wolf gedreht, denn "die Schauspieler müssen immer was davon haben, nicht einfach nur auswendig was vortragen." 



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