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Libanon

Überlebenskunst im gescheiterten Staat

Libanon: Überlebenskunst im gescheiterten Staat
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Erstmals seit 20 Jahren hatte die Hisbollah bei einer Regierungsbildung im Libanon nicht das letzte Wort. Zaghaft keimt Hoffnung auf, doch die Probleme bleiben trotz internationaler Unterstützung enorm. Unsere Stuttgarter Autorin besuchte dort Familie. Die Bilanz einer Reise nach zwei Jahren Krieg.

Es ist der Ostersonntag im Libanon. Dieses Jahr feiern die mehr als zehn christlichen Konfessionen im Land zusammen. In den Restaurants meiner Heimatregion im Süden sitzen zur Mittagszeit christliche Familien und muslimische Gäste beisammen. Die Stimmung ist festlich – obwohl die Zerstörung des Krieges nur wenige Kilometer entfernt liegt. Plötzlich hallen Explosionsgeräusche aus der Ferne. Die Musik wird lauter gestellt, um die Gäste abzulenken. Für sie ist das Alltag.

Krisen im Libanon

  • 1943: Unabhängigkeit vom französischen Mandat, Libanon wird souveräner Staat mit konfessioneller Machtverteilung.
  • 1948: Erste Destabilisierung durch palästinensische Geflüchtete. Nach Gründung Israels fliehen Zehntausende Palästinenser in den Libanon.
  • 1969 bis 1971: "Cairo Agreement": Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) erhält das Recht, von libanesischem Boden gegen Israel zu operieren.
  • 1975: Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen christlichen Milizen und muslimischen Linken (unterstützt von der PLO).
  • 1982: Israelische Invasion, Besetzung des Südlibanons. PLO wird vertrieben.
  • 1989/90: Ende des Bürgerkriegs. Friedensvertrag bringt Syrien faktisch die Kontrolle über das Land. Die Christen verlieren an Macht.
  • 2000: Israelischer Rückzug aus dem Südlibanon nach 18 Jahren Besatzung. Hisbollah erklärt den "Widerstandssieg".
  • 2005: Mord an Premierminister Rafik Hariri, Proteste gegen Syrien (Zedernrevolution), Abzug der syrischen Truppen.
  • 2006: 33-tägiger Krieg zwischen Hisbollah und Israel. Hisbollah ist wieder Sieger und bleibt im Süden. UN-Friedenskräfte UNIFIL verstärkt.
  • 2011: Syrienkrieg und massive Flüchtlingswelle. Über 1,5 Millionen syrische Geflüchtete belasten Libanons fragile Lage.
  • 2019: Finanzkollaps und landesweite Proteste. Banken frieren Guthaben ein, die Bevölkerung demonstriert gegen Korruption, ohne Erfolg.
  • 2020: Explosion im Hafen von Beirut. 218 Tote, Tausende Verletzte, massive Verwüstung in der Hauptstadt.
  • 2021 bis heute: Sozialer Zerfall und Hyperinflation, Grundversorgung bricht zusammen. NGOs übernehmen viele Aufgaben des Staates.
  • 2023: Wiederholte Gefechte im Süden Eskalationen zwischen Hisbollah und israelischer Armee.
  • 2024: Israelische Bombardierungen von Hisbollah-Zielen. Angriffe betreffen nicht nur den Süden, sondern auch Vororte von Beirut. Zivile Infrastruktur wird stark beschädigt. Hisbollah-Spitze ist eliminiert.

Seit dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, sorgt eine neue Eskalation an der südlichen Grenze zu Israel für Besorgnis im krisengeplagten Libanon – einem Land, das sich seit 2019 in einer tiefen Wirtschaftskrise befindet. Nach einem Jahr latenter Gefechte und zwei Monaten intensiver israelischer Luftangriffe auf Hisbollah-Stellungen wurde unter amerikanischer Vermittlung im vergangenen November offiziell ein Waffenstillstand vereinbart. Die Vereinbarung sieht vor, dass sich die Hisbollah hinter den Litani-Fluss (etwa 40 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt) zurückzieht und die libanesische Armee die Kontrolle im Süden übernimmt. Doch die isrealische Armee ist bisher nicht vollständig abgezogen und hat vier mal Ziele nördlich von Litani bombardiert. 

Nach UN-Angaben sind jedoch seit dem Inkrafttreten 71 Zivilisten von israelischen Streitkräften im Libanon getötet worden. Laut der israelische Armee wurden in diesem Zeitraum mindestens fünf Raketen, zwei Mörser und eine Drohne aus dem Libanon auf Israel abgefeuert – die Hisbollah dementiert, dafür verantwortlich zu sein, der libanesische Geheimdienst vermutet die Hamas hinter den Angriffen. Mehr als 92.000 Menschen im Libanon sind zu Binnenflüchtlingen geworden und meiden den Süden. Zugleich haben in Israel Zehntausende den Norden des Landes verlassen.

Eigentlich sollte seit Jahresbeginn wieder mehr Ruhe im Libanon einkehren: Nach über zwei Jahren politischem Vakuum wurde Anfang Januar ein neuer Präsident gewählt: Joseph Aoun, der bis dahin Oberbefehlshaber der libanesischen Armee war. Die Wahl erfolgte auch auf Druck der USA: Die Biden-Regierung wollte das politische Chaos, das Donald Trumps Amtsantritt mitbringen könnte, vermeiden. Aoun wurde schließlich am 9. Januar 2025, nur wenige Tage vor Trumps Vereidigung, gewählt.

In seiner Antrittsrede betonte der neue Präsident das Recht des Staates auf das Gewaltmonopol – ein direkter Wink in Richtung Hisbollah, deren Entwaffnung er anstrebt. Die neue Regierung, halb aus Politikern, halb aus Technokraten bestehend, steht vor gewaltigen Herausforderungen: Korruption bekämpfen, die Wirtschaft stabilisieren und die staatliche Kontrolle über alle Regionen zurückgewinnen.

Als Ministerpräsident wurde der Jurist, UN-Diplomat und Präsident des Internationalen Gerichtshof Nawaf Salam berufen. Seine Nominierung sorgte bei der israelischen Regierung nicht für Begeisterung. Unter Salams Mandat entschied der Internationale Gerichtshof im vergangenen Jahr im Verfahren Südafrikas gegen Israel, dass die Handlungen Israels im Gazastreifen möglicherweise den Tatbestand des Völkermords erfüllen könnten. Die Hisbollah ist ebenfalls unzufrieden und hätte lieber den vorherigen Premierminister, den Millionär Nadschib Mikati, behalten, gegen den zahlreiche Korruptionsvorwürfe im Raum stehen. Die zügige Regierungsbildung, bei der die Hisbollah lediglich zwei Ministerien erhalten hat, weckt neue Hoffnung bei den Reformkräften im Land. Erstmals seit 20 Jahren haben die Hisbollah und ihre politischen Partner nicht mehr das letzte Wort bei der Regierungsbildung.

Der Weg in die Staatlichkeit

In den Straßen von Dahiyeh, der Hochburg der Hisbollah im Süden Beiruts, hängen wie gewohnt großformatige Bilder von "Märtyrern" – allen voran vom langjährigen Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, der Ende September bei einem Luftangriff Israels getötet wurde. Doch entlang der Hauptstraße, die Beirut mit dem Süden verbindet, zeigt sich ein ungewohntes Bild: Erstmals hängen dort Werbeplakate für den neuen Präsidenten – ein symbolischer Versuch des Staates, in einer Region Präsenz zu zeigen, die lange von der Hisbollah dominiert wurde. Dass einige dieser Plakate bereits am Tag nach ihrer Anbringung beschädigt wurden, überrascht kaum. In dieser Gegend fühlen sich viele Menschen vom libanesischen Staat seit Jahrzehnten im Stich gelassen.

Seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990 hat die Hisbollah in überwiegend schiitisch-muslimischen Regionen schrittweise staatliche Aufgaben übernommen. Sie betreibt Schulen, errichtet Wohngebäude, unterhält Jugendorganisationen, finanziert Krankenhäuser und schafft Arbeitsplätze. Darüber hinaus verfügt sie über eine eigene "gemeinnützige" Finanzinstitution nach islamischem Recht, die – im Gegensatz zum restlichen Bankensektor – auch während der anhaltenden Liquiditätskrise seit 2019 weiterhin Investitionen ermöglicht. Familien gefallener Hisbollah-Kämpfer erhalten lebenslange Entschädigungen.

Politik der verbrannten Erde

Genau wie der neue Präsident, ein maronitischer Christ, stammen viele schiitische Muslime ursprünglich aus dem Süden des Landes. Manche zogen auf der Suche nach Arbeit Richtung Beirut, andere flohen vor der israelischen Besatzung, die von 1982 bis 2000 andauerte. Unter dem Schutz der Hisbollah war vieles möglich – auch illegale Geschäfte mit geschmuggelten Produkten, die ohne Zollgebühren importiert wurden.

Im Süden des Libanon, an der Grenze zu Israel, ist kaum noch etwas erhalten geblieben: Häuser, Olivenhaine, Straßen sowie die Wasser- und Stromversorgung wurden weitgehend zerstört. Viele Menschen in der Region leben traditionell von der Landwirtschaft. Doch auch seit dem Waffenstillstand wagen sich viele Bauern nicht mehr zurück – zu groß ist die Angst, da israelische Drohnen jede Bewegung überwachen. Zahlreiche jahrhundertealte Olivenbäume wurden durch Bombardierungen zerstört, manche Felder sind aufgrund der Kontamination mit Weißphosphor nicht mehr nutzbar. Die französischsprachige Zeitung "L'Orient – Le Jour", die der Hisbollah kritisch gegenübersteht, spricht von einer "Politik der verbrannten Erde" seitens Israel.

Betroffen vom Krieg sind längst nicht nur Anhänger der Hisbollah. "Das Haus meiner Eltern steht noch, ist aber sehr beschädigt", berichtet eine frühere Anwohnerin. Darin habe sie Müll mit arabischen und hebräischen Schriftzeichen gefunden, offenbar waren hier erst Hisbollah-Kämpfer und später israelische Soldaten stationiert. "Alle mehrstöckigen Häuser im Dorf sind zerstört", berichtet die Frau weiter: "Kein Baum steht mehr. Sogar die jungen Pinien am Rand der Straße sind gefällt. Es bricht mit das Herz, dort hinzufahren."

Armee ohne Munition

Seit der Wirtschaftskrise 2019 sind die libanesischen Sicherheitskräfte schwer getroffen. Rangniedrigeren Soldaten wurde inoffiziell gestattet, Nebenjobs anzunehmen, um über die Runden zu kommen. Ihr Gehalt ist in der Krise von umgerechnet 2.000 Euro auf zwischenzeitlich nur noch 20 Euro abgestürzt. Mittlerweile hat der Staat Hilfe von Katar und den USA erhalten, um die Löhne leicht anzuheben – auf etwa 250 US-Dollar (250 Millionen Lira). Die Gehaltszahlungen wurden auf US-Dollar umgestellt, um die Auszahlung von Millionenbeträgen in entwerteten Lira-Banknoten zu umgehen. Ein positiver Nebeneffekt der Krise: Die Libanesen sind, geschult durch Währungen und Wechselkurse, inzwischen wahre Meister im Kopfrechnen.

Deutschland liefert nicht nur ein Drittel der israelischen Waffenimporte, sondern beteiligt sich an der Verstärkung der libanesischen Armee. Im März hatte Noch-Außenministerin Anna-Lena Baerbock (Grüne) bei ihrem Besuch im Libanon 15 Millionen Euro versprochen. Seit 2006 engagiert sich zudem die deutsche Marine im Rahmen der UN-Friedensmission UNIFIL, an der sich 10.000 Blauhelme aus 48 Ländern beteiligen. Seit 2021 übernimmt Deutschland die Führung der maritimen Komponente der Mission. Bis vor Kurzem patrouillierte die Fregatte "Baden-Württemberg" vor der libanesischen Küste, um Waffenschmuggel zu unterbinden – das klappte mäßig gut, denn offensichtlich schaffte es die Hisbollah trotzdem, Waffen zu schmuggeln. Trotz der Überwachung ist es zudem der israelischen Armee im November 2024 gelungen, einen libanesischen Marinepiloten im Norden zu entführen.

Das Hafenviertel, inzwischen wiederbelebt.

2020: Explosion im Hafen von Beirut

Am 4. August 2020 erschütterte eine massive Explosion den Hafen von Beirut und richtete verheerende Schäden in der Stadt an. Die Detonation forderte über 220 Todesopfer, tausende Verletzte und machte Hunderttausende obdachlos. Angebliche Ursache war die Lagerung von rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat. Das wird nicht nur in der Agrarwirtschaft benutzt, sondern auch für Sprengsätze der Hisbollah.  (ses)

Verheilte Wunden

Trotz Traumata durch den Krieg herrscht in manchen Teilen Beiruts noch eine andere Realität. Im Hafenviertel, das vor fünf Jahren durch eine massive Explosion vollständig zerstört wurde, sind kaum noch Spuren der Katastrophe sichtbar. Nur vereinzelt erinnern Gedenktafeln an die Opfer – oder danken der US-Entwicklungshilfe USAID für die Wiederaufbauprojekte. Vieles wurde neu errichtet: Restaurants, Läden mit traditionellen Produkten und farbenfroh sanierte Altbauten.

"Schau mal, hier eröffnet eine neue internationale Restaurantkette – und in dem Laden dort kostet eine Yogahose über 150 US-Dollar. Die Schlange davor reichte gestern bis ins Parkhaus", erzählt eine Rechtsanwältin, die bei einer Bankzentrale im schicken Stadtzentrum von Beirut arbeitet. Sie verdient nur noch 60 Prozent ihres ursprünglichen Gehalts aus der Vorkrisenzeit, ihre Ersparnisse auf der Bank sind seit sechs Jahren eingefroren. Selbst die Parkgebühren im Zentrum kann sie sich kaum noch leisten. Die Menschen, die sich solchen Luxus weiterhin finanzieren können, gehören nicht zur klassischen Elite – es sind jene, die von der Krise und Schwarzmarktgeschäften profitiert haben, vermutet sie. Kaum jemand spart noch im Libanon – niemand vertraut dem Bankensystem. Was reinkommt, wird sofort ausgegeben.

In diesem Viertel – wie überall im Land – kommt es fast täglich zu Stromausfällen, der durch private Generatoren aufgefangen wird. Das Wasser wird im Sommer durch den Klimawandel knapp – in einem Land, das als der Wasserspeicher des Nahen Ostens galt. Die Luft ist durch die vielen Autos extrem verschmutzt, öffentliche Transportmittel gibt es kaum. Private Initiativen versuchen Mülltrenung zu organisieren, NGOs übernehmen die Aufgaben der Sozialversicherung. Für Proteste haben die Menschen hier keine Energie mehr, auch weil die von 2019 zu nichts geführt haben. Pro-Hisbollah-Banden hatten damals die Protestierenden eingeschüchtert und angegriffen. Zudem behaupteten sie, die Demonstrierenden seien Agenten des Westens und für die wirtschaftliche Krise der Banken verantwortlich.

Ende der Straflosigkeit

Die Libanesen haben in den vergangenen 20 Jahren eine bemerkenswerte Überlebenskraft bewiesen. Was sie nun von der neuen Regierung erwarten, ist vor allem Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Nach dem Bürgerkrieg (1975 bis 1990) wurden die Verbrechen jener Zeit nie aufgearbeitet. Die ehemaligen Kriegsherren blieben an der Macht. Täter fanden Schutz bei einflussreichen Politikern oder unter dem syrischen Regime.

Erst vor ein paar Tagen hat ein Ermittlungsrichter die Ermittlungen im Fall der Hafenexplosion wieder aufgenommen. Mit der neuen Regierung hoffen die Opfer und Betroffenen auf eine Bestrafung der Verantwortlichen – wie auch bei vielen anderen politisch motivierten Attentaten, wie das auf den Verleger Lokman Slim, der als Kritiker der Hisbollah im Februar 2021 entführt und erschossen in seinem Auto aufgefunden wurde. Seine deutsche Frau, die Regisseurin Monika Borgmann, machte die Hisbollah für seine Tötung verantwortlich. Auch hier wurden Ermittlungen vor Kurzem wieder aufgenommen.

Das Staatsversagen im Libanon liegt nicht nur an der Hisbollah. Auch auf der christlichen Seite gewinnen rechtsextreme Gruppen zunehmend an Einfluss. Seit etwa fünf Jahren rückt die bewaffnete Gruppierung Jnoud el-Rab ("Die Soldaten des Herrn") verstärkt ins öffentliche Licht. Ursprünglich als Sicherheitsdienst eines einflussreichen Bankiers, dehnt sie ihren Einflussbereich seit sechs Jahren kontinuierlich im christlich geprägten Beiruter Stadtteil Achrafieh aus. Es handelt sich um tätowierte, muskulöse Männer in schwarzer Kleidung. In Straßenaktionen attackieren sie LGBTQ-Symbole und Bars mit Dragshows. Vor einem Jahr gerieten Mitglieder der Gruppe in einen Streit mit einer anderen, in dessen Folge wurde ein Lokalpolitiker getötet. Trotz Haftbefehl befindet sich der mutmaßliche Täter weiterhin auf freiem Fuß.

Oligarchie gegen NGOs

Das weiterhin bestehende Bündnis von Bankiers, Politik und Medien ist eine große Hürde für die neue Regierung. Die libanesischen Bankeigentümer sind fast alle mit politischen Parteien verbunden, die von der Wirtschaftskrise durch illegale Geldgeschäfte profitiert haben. Sie formieren sich derzeit zu einer einflussreichen Lobby gegen die sogenannten Reformkräfte und NGOs im Land. Ihre wichtigsten Werkzeuge sind die etablierten privaten Medienhäuser – diese überleben vor allem durch parteipolitisch motivierte Finanzierung.

Die neuesten Feinde der Mächtigen heißen Megaphone, Daraj Media und Legal Agenda – unabhängige, gemeinnützige Plattformen, die durch Spenden von Journalisten aus allen Konfessionen ins Leben gerufen wurden. Sie spielten während der Proteste gegen Korruption im Oktober 2019 eine zentrale Rolle beim Aufdecken von Verflechtungen zwischen Politik und Finanzeliten. Sie berichten kontinuierlich über die Ermittlungen gegen den ehemaligen Zentralbankgouverneur, der in mehreren europäischen Ländern wegen Korruptionsvorwürfen zur Fahndung ausgeschrieben ist.

Gegen diese drei Medien und gegen unabhängige Parlamentarier läuft derzeit eine gezielte Delegitimierungskampagne: Sie werden von Hisbollah-nahen Medien als "pro-amerikanische, neoliberale Verräter" bezeichnet, während konservative Kräfte vor "gefährlichen Linken" warnen. Der "Beweis": Sie bekommen Fördermittel von der Open Society Foundation des US-Milliardärs George Soros. Dabei greifen die Oligarchen im Libanon auf Narrative zurück, die aus der russischen Desinformationsstrategie stammen und (den Juden) Soros als Strippenzieher hinter Umstürzen und Protesten darstellen. In dieser Rhetorik vereinen sich libanesische Eliten mit rechtspopulistischen Figuren wie Donald Trump, Viktor Orbán oder Recep Tayyip Erdoğan.

Erste Erfolge

Was unabhängige Medien und reformorientierte, parteilose Abgeordnete erreicht haben, ist ein bedeutender Fortschritt: In Kürze soll ein neues Gesetz zur Abschaffung des Bankgeheimnisses verabschiedet werden – ein erster Schritt hin zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht. Darauf soll eine umfassende Reform des Bankensystems folgen, mit dem Ziel, den geschädigten Anlegern Zugang zu ihren Ersparnissen zu ermöglichen. Viele Libanesen hoffen, endlich herauszufinden, wer ihre Gelder ins Ausland transferiert hat und Bankkonten mit wertlosen Zahlenreihen zurückließ.

Europäische Staaten könnten hier eine konstruktive Rolle spielen, indem sie korrupte libanesische Akteure strafrechtlich verfolgen. Noch wichtiger aber bleibt, dass eine mögliche Entmilitarisierung der Hisbollah von einem politischen Plan begleitet wird, der Radikalisierung vorbeugt – im Libanon selbst, aber auch in der Diaspora, etwa in Deutschland, wo viele Libanesen aus dem Süden leben. Dass der Einfluss der Hisbollah bis nach Europa reicht, zeigt ein Fall aus Neukölln: Dort wurde Mitte April ein mutmaßlicher Anhänger im Alter von 29 Jahren festgenommen, der im Verdacht steht, staatsgefährdende Straftaten vorbereitet zu haben.

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