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Amica im Donbas

Frauennetzwerke fürs Überleben

Amica im Donbas: Frauennetzwerke fürs Überleben
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Seit fünf Jahren arbeitet die Freiburger Frauenrechtsorganisation Amica mit traumatisierten Frauen im Donbas. Ein Gespräch mit Britta Wasserloos, Projektleiterin Ukraine, über die schwierige Nothilfe in Kriegszeiten und das Ziel einer geschlechtergerechten und friedlichen Welt.

Frau Wasserloos, haben Sie heute schon mit den NGO-Frauen in Mariupol telefoniert?

Das wird immer schwieriger, weil sie dort kaum noch Strom haben und der Krieg immer näher rückt. Ein bis zwei Mal am Tag bekomme ich eine Nachricht von unserer NGO übers Internet, von den Frauen, mit denen wir seit 2017 zusammenarbeiten. Die letzte Nachricht war, dass die russischen Panzer jetzt Krankenhäuser, Schulen und Lebensmittelläden bombardieren.

Britta Wasserloos spürt die Angst am Telefon, in den täglichen Mails. Die Angst der Frauen, die über Jahre hinweg in der Pufferzone im Donbas gearbeitet haben, andere Frauen unterstützt und gestärkt haben. Seit Juli 2021 ist die 26-Jährige Ukrainereferentin bei Amica und im steten Kontakt mit den Partnerinnen vor Ort. Bereits im Studium in International Development and Management lag der Fokus ihres Interesses auf Geschlechterverhältnissen und Geschlechter(un)gerechtigkeit.  (sus)

In Mariupol sind bereits zwei Versuche gescheitert, humanitäre Korridore zu schaffen, die Stadt ist eingekesselt. Können Ihre Partnerinnen vor Ort überhaupt noch arbeiten oder sind sie selbst auf der Flucht?

Sie haben erfolgreich Menschen evakuiert, bevor Mariupol eingekesselt wurde. Jetzt sind sie selbst betroffen und versuchen trotzdem, weiter zu helfen. Nach unserem derzeitigen Stand arbeiten sie insofern weiter, als sie jetzt auch Menschen auf der Flucht begleiten und medizinisch und psychologisch betreuen. Und auch vor Ort bieten sie weiterhin psychologische und medizinische Unterstützung an, wo es ihnen möglich ist.

Ihre Partnerorganisation hat ihren Sitz in Mariupol, war aber auch im Donbas unterwegs mit mobilen Teams. Können die Teams dort noch in die Dörfer, um traumatisierte Frauen zu betreuen?

Die Lage ändert sich so schnell, dass ich nicht sagen kann, wo genau sie in diesem Moment noch arbeiten können. Sie waren auch nach der Eskalation des Konflikts vor zwölf Tagen noch in den Dörfern unterwegs in der Umgebung von Mariupol. Sie waren im Donbas und haben dort Menschen evakuiert, sie waren weiter mit mobilen Teams unterwegs, um die Menschen dort, wo es möglich war, in den Dörfern zu versorgen. Wir wissen, dass mehrere Dörfer, in denen sie von Gewalt betroffene Frauen betreut haben, mittlerweile zerstört sind. Von dort haben sie Menschen evakuiert, bevor die größeren Hilfsorganisationen überhaupt einen Überblick über die Situation dort hatten und daran denken konnten, aktiv zu werden. Was heute noch möglich ist, weiß ich nicht. Wir wissen, dass es noch ein Bus nach Polen geschafft hat. Und der ist dann wieder umgekehrt, um weitere Menschen aufzusammeln. Wo der Bus sich jetzt befindet, wissen wir nicht.

Wir reden heute miteinander, am 12. Tag des russischen Angriffs, morgen kann es schon ganz anders aussehen. Sie müssen Ihre Unterstützung permanent anpassen. Wie sieht derzeit die Nothilfe aus? Sicher liegt die auch in der emotionalen Unterstützung Ihrer Partnerorganisation?

Da die Lage derzeit so volatil ist, brauchen sie vor allem Geldspenden, um schnell reagieren zu können. Und Sie haben Recht, auch die emotionale Komponente ist sehr wichtig. Immer wieder melden unsere Partnerinnen uns zurück, dass es für sie, aber auch für die von Gewalt betroffenen Frauen, die sie betreuen, wichtig ist, zu wissen, dass es Menschen gibt in Deutschland, denen ihre Situation nicht gleichgültig ist.

Nun ist die Nothilfe das eine. Aber Amica arbeitet schon seit fünf Jahren mit traumatisierten Frauen im Donbas, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind im Krieg von 2014. Wie sah Ihre Hilfe vor dem russischen Angriff aus?

Wir haben den Kontakt zu unserer Partnerorganisation 2017 aufgebaut, deren Namen ich hier nicht nennen will, weil die MitarbeiterInnen Repressionen fürchten. Seit 2018 haben wir dort im Donbas gemeinsame Projekte. Die Arbeit sieht so aus, dass nicht wir von Amica Personal dorthin senden. Sondern dass wir unsere Partnerorganisation unterstützen, die von Gewalt betroffene Frauen in diesem Konfliktgebiet stärkt, und zwar ganzheitlich.

Was heißt für Sie ganzheitlich?

Amica hat einen dreigleisigen Ansatz. Das heißt, dass wir einerseits individuell Frauen unterstützen, dass wir die Zivilgesellschaft stärken und dass wir daran arbeiten, die Politik und die Gesellschaft zu verändern. Wir arbeiten mit Frauen, die Gewalt erfahren haben – das kann Kriegsgewalt sein, von bewaffneten Gruppen etwa, Vergewaltigung. Aber eben auch häusliche Gewalt, die in Konfliktsituationen ansteigt.

Amica ist eine Frauenrechtsorganisation mit Sitz in Freiburg, die Frauen in Kriegs- und Krisenregionen unterstützt. Gegründet wurde die NGO während des Bosnienkrieges als Reaktion auf sexualisierte Kriegsgewalt. Heute ist Amica international tätig, im Libanon, in Syrien, der Ukraine. Amica hat auch Workshops für die in Baden-Württemberg aufgenommenen Jesidinnen organisiert, die dem Genozid im Nordirak entkommen waren (Kontext berichtete).  (sus)

Die Internationale Frauenliga für Krieg und Frieden berichtet von einem Anstieg häuslicher Gewalt, von Menschenhandel und vom Anstieg von HIV in den Regionen Donezk und Luhansk.

Vor allem die häusliche Gewalt ist angestiegen. Diese Frauen stärkt unsere Partnerorganisation mit medizinischer Hilfe und rechtlicher Beratung. Im Donbas auch mit mobilen Teams, die in die Orte gefahren sind, in denen es sonst keine Hilfsangebote gab, weil sie in der sogenannten Pufferzone lagen, die auch nach 2014 weiterhin Kriegsgebiet war. Das Ziel ist einerseits, das Wohlbefinden der Frauen zu stärken, aber auch dafür zu sorgen, dass sie Vertrauen in sich selbst und in ihr Umfeld zurückgewinnen. Dazu gehört auch ökonomisches Empowerment. Wir haben Weiterbildungskurse organisiert, damit sie sich wirtschaftlich eine Existenz aufbauen können.

Inwieweit haben Sie und Ihre PartnerInnen in die Zivilgesellschaft hineingewirkt?

Es haben sich Selbsthilfegruppen für die Vertriebenen im Donbas gegründet. In verschiedenen Orten in der Pufferzone wurden Anlaufstellen für Frauen aufgebaut. In der jetzigen Situation, der Konfliktsituation, merken wir, wie wichtig es ist, dass es diese Strukturen, diese Netzwerke gibt. Dass es Menschen gibt, die wissen, wo und welche Hilfe gebraucht wird. Und auf gesellschaftlicher und politischer Ebene hat die Partnerorganisation aufgeklärt über Frauenrechte allgemein, über Gewalt gegen Frauen, und hat politische Lobbyarbeit gemacht. So haben sie in einer Koalition mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Petition gestartet, damit die Ukraine endlich die Istanbulkonvention umsetzt und damit gegen häusliche, gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgeht. Im Februar sollte darüber beraten werden, kurz vor Eskalation des Konfliktes.

Und damit ist das Thema weit nach hinten gerückt. Die Feministin und Aktivistin Kristina Lunz sagt: "Wer es ernst meint mit Frieden und Sicherheit, muss die weltweite Ungleichheit bekämpfen, und dazu gehört auch die Geschlechterungleichheit." Bestimmt diese Aussage auch die Arbeit von Amica?

Dass für Frieden und Sicherheit Geschlechtergerechtigkeit wichtig ist, merken wir in unserer Arbeit immer wieder. Für uns ist zentral: Wenn politische Entscheidungen gefällt werden, müssen die Perspektiven von Frauen miteinbezogen werden. Außenpolitik muss gewaltfrei sein, Menschenrechte einbeziehen und die Perspektive von Frauen und marginalisierten Menschen. Diese Menschen einzubeziehen in Entscheidungsfindungen, ist ein wichtiges Ziel unserer Arbeit.

Was geht Ihnen dann durch den Kopf, wenn Sie die Bilder sehen von ukrainischen und russischen Männern, die sich an der belarussischen Grenze treffen, um einen Weg aus dem Konflikt zu finden?

Nicht nur in Konfliktsituationen, auch in Friedensprozessen sind Frauen bei wichtigen Entscheidungsprozessen unterrepräsentiert. Das muss sich ändern. Frauen machen andere Erfahrungen, sie machen vermehrt Care-Arbeit, nicht, weil sie friedlicher sind, sondern weil ihnen das als Rolle zugeschrieben wird. Sie haben ein deutlich höheres Risiko, in Konflikten sexualisierte Gewalt zu erleben. Wenn Frauen ihre Themen nicht einbringen können, dann ist das ein Problem. Dann sind viele Perspektiven, die es in der Gesellschaft gibt, nicht berücksichtigt. Dadurch werden Strukturen der Ungleichheit auch in den Postkonfliktgesellschaften verankert. Und damit auch ein Gewaltpotenzial.

Dieses Jahr wurde am 8. März der 111. Frauentag gefeiert. Ist das für Sie, für Amica, für Ihre Partner-NGO ein besonderer Tag?

Wir haben gemerkt, dass es mehr Interesse an unseren Themen gibt, wenn der 8. März vor der Tür steht. Das ist traurig, denn diese Themen sind nicht nur an einem Tag wichtig, und sie sind keine Randthemen, die nur Frauen betreffen. Aber wenn es einen Tag gibt, um diese Themen stärker zu platzieren, dann nutzen wir das natürlich.

Sie haben einen Spendenaufruf für Ihre Arbeit in der Ukraine gestartet. Wie war die Resonanz?

Wir haben sehr viel Solidarität erfahren, gerade seit der Eskalation des Konflikts. Das finden wir super, dass wir das in der deutschen Gesellschaft spüren. Aber natürlich ist es auch wichtig, dass die Unterstützung nicht abreißt, sobald sich der Konflikt etwas beruhigt. Wer langfristig für eine friedliche Welt, eine Welt der Gleichheit und der Geschlechtergerechtigkeit kämpft, braucht einen langen Atem und langfristige Unterstützung.

Der 8. März ist kein Wunschkonzert, eher ein Kampftag. Dennoch: Was würden Sie sich wünschen zum Frauentag?

Ganz groß gedacht, eine gewaltfreie, geschlechtergerechte und damit auch eine friedliche Welt. Und dass die Erfolge, die Frauen wie unsere Partnerinnen in der Ukraine erkämpft haben, nicht durch den Krieg zerstört werden.


Beim Amica-Frauenprojekt in der Ukraine werden vor allem Generatoren gebraucht, Notfallmedikamente und Sprit, um die Menschen in Sicherheit zu bringen. Wer die Arbeit unterstützen will, kann hier spenden:

Amica – Spenden für Ukraine
Volksbank Freiburg
IBAN DE15 6809 0000 0002 1001 00
BIC GENODE61FR1


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