Heiner Merz, der Abgeordnete aus Heidenheim, hat einen ganz besonderen Blick auf Deutschland anno 2018. Aus der Sicht des Informatikers mit Doktortitel ist "das System linksrotgrün versifft"; der öffentlich-rechtliche "Querfunk" produziert "gefährlichen Unsinn" und will vor allem junge Menschen "indoktrinieren", und zwar "rund um eine absurde Gedankenwelt (...), um Multikulti, um Genderwahn und um Gutmenschen-tümelnde Umerziehung"; deshalb müsse endlich mal "ganz ordentlich ausgemistet werden"; sogar die Finanzierung der "deutschen Staatskirchen" ist in Frage zu stellen, weil Kardinal Marx 50 000 Euro an eine private Seenotrettungsorganisation stiftete; und, das ist der jüngste Geistesblitz dieses Volksvertreters, Quoten "nützen nur unqualifizierten, dummen, faulen, hässlichen und widerwärtigen Frauen", die "bemühten und passend qualifizierten finden ihren Weg allein". Nur das Prädikat "hässlich" nimmt Merz später zurück, den Rest ausdrücklich nicht.
Immerhin, eine gute Nachricht lässt sich leicht herauslesen: für die Arbeit bei der AfD, in Fraktionen und Vorständen, sind also nur wenige Frauen passend qualifiziert angesichts des eklatanten Männerüberhangs. Franziska Schreiber, die Aussteigerin, die es davor bis in den Bundesvorstand gebracht hatte, weiß auch warum. Für die meisten ihrer Ex-Kollegen sei eine Frau "nur eine schöne Hülle", und wenn sie aufsteigen will, gelte sie als "Karriere-Bitch". Das Innenleben der "Alternative für Deutschland" beschreibt die Dresdenerin mit Begriffen wie "Übergriffigkeiten", "Belästigungen" und "Grenzüberschreitungen".
Populistische Polemik gegen Genderforschung
Insgesamt liegt der Männeranteil unter bundesweit rund 28 000 Mitgliedern laut Statista bei 83 Prozent. In der 21-köpfigen Landtagsfraktion sitzen zwei Frauen, im Landesvorstand keine einzige. Nach dem Geschäftsverteilungsplan ist allein der Landesvorsitzende für die Programmatik verantwortlich und der, der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Marc Jongen, brandmarkt den "Fanatismus", mit dem (...) "die neomarxistisch inspirierte Gender-Ideologie exekutiert werden soll". Das sei "beängstigend und nimmt immer mehr totalitäre Züge an".
Jongen, der in seinen Kreisen oft als Vordenker, als Philosoph oder "Parteibrain" gerühmt wird – mit Migrationshintergrund übrigens, er kommt aus Südtirol –, trägt ebenfalls einen Doktortitel und hat immerhin etliche Jahre akademische Lorbeeren geerntet an der Seite des berühmt-berüchtigten Peter Sloterdijk, Professor in Karlsruhe und TV-Gastgeber im "Philosophischen Quartett" der ARD. Mit dem absichtlichen Missverstehen des Begriffs "Gender" steht Jongen dennoch oder deshalb für die Spitze eines Eisbergs der Desinformation, der tief in die gesamte Partei hineinragt. Weil die AfD in vielen Gemeinderäten sitzt, hat das konkrete Auswirkungen: Wenn etwa Kommunen über geschlechtergerechte Haushalte diskutieren oder darüber, dass politische Entscheidungen auch vor dem Spiegel ihrer Auswirkungen auf die unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft diskutiert werden müssen. In Landtagen wird regelmäßig die große populistische Windmaschine angeworfen, um gegen Genderforschung zu polemisieren, als gäbe es etwa in der Medizin keine geschlechtsspezifischen Krankheitssymptome. Ungezählte Frauen sind am Herzinfarkt gestorben, weil bei ihnen die Anzeichen ganz andere sind als bei Männern. Und internationale Abkommen sind gleich mit diskreditiert. Denn seit 1999 und dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages ist ein gesetzlich verankertes Ziel der EU, unterschiedliche Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern bei allen Entscheidungen auf allen Ebenen zu berücksichtigen.
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Rolf Steiner
am 12.12.2018