KONTEXT:Wochenzeitung
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Der richtige Blick

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"an.schläge" schlägt einen konsequent feministischen Ton an, und das seit 30 Jahren, Monat für Monat. Die Macherinnen des Magazins sitzen in Wien, die LeserInnen nicht nur in Österreich. Die Themenvielfalt ist riesig. Und das große Ziel ist noch lange nicht erreicht.

Es gibt AugenöffnerInnen. Versandhäuser wie "Grüne Erde" zum Beispiel, die kompromisslos ressourcenschonende, energieeffiziente und in ArbeitnehmerInnen-mitbestimmten Arbeitszeiten produzierte Ware anbieten. Da kostet der Schrank von 5000 Euro aufwärts: Unleistbar für viele und zugleich von unbestechlicher Transparenz für jedeN. Weil Preise wie dieser aufzeigen, dass sich die Gesellschaft die Billigware, die sie sich leistet, gar nicht leisten kann. Jedenfalls dann, wenn selbstbestimmte, ökologische und sozial gerechte Maßstäbe angelegt werden. Oder es gibt Agenturen wie "atmosfair": KeineR muss auf die ein Leben lang erträumte Fernreise verzichten, aber alle müss(t)en wissen, dass allein ein Langstreckenflug das Klima mit dem Zwei- oder Dreifachen der jährlichen CO2-Emission eines deutschen Mittelklassewagens belastet. Und die Augenöffnerinnen von "an.schläge"? Sie führen in eine Welt ohne Malestream, eine Welt, um die Frauen auch und gerade in hochentwickelte Gesellschaften Tag für Tag kämpfen müssen und für die sich die allermeisten Männer weiterhin nicht interessieren.

Das Team ist weiblich und damit, wie die Leitende Redakteurin Lea Susemichel weiß, "Ausdruck "der Endlosschleife". Vieles sei erreicht, aber an der grundsätzlichen Schieflage bezüglich der Positionen und der Sichtbarkeit von Frauen habe sich nichts geändert. Leserinnen und (hoffentlich!) Leser halten die Auflage des Magazins stabil bei 5000 Exemplaren. Es gibt rund 2000 AbonnentInnen. Klassische Frauenthemen treten in den Hintergrund. "Stattdessen betrachten wir unterschiedlichste gesellschaftliche, kulturelle und politische Phänomene", sagt die 39-Jährige, "das ist unser Auftrag." Von der Share Economy bis zum Trend, vegan zu leben, von falschen Schwerpunkten in der Steuerpolitik bis zu den "üblen Geschlechterklischees in der Esoterik", von TTIP ("Es geht einfach um alles") bis zu – hochaktuell und bereits im vergangenen Mai anlässlich der Europawahl breit behandelt – der Asylpolitik der EU.

Die Macherinnen verstehen ihr Produkt als Nachrichtenmagazin, "mit breitmöglichstem Spektrum". Schon der Titel eröffnete Spielraum. "an.schläge", da mögen mehr als nur manche Männer oder Frauen aus der Igitt-natürlich-bin-ich-keine-Emanze-Fraktion zuerst an Übergriffe denken, an ein Komplott oder ein Attentat. Anschlagen kann frau aber auch Plakate, Glocken, Akkorde, Strickmaschen, ein Tempo, Tasten, eine Gangart und ebenjene konsequenten Töne. Einzelne Rubriken folgen demselben Muster, an.lesen, an.künden, an.sehen, an.riss, an.spruch, an.klang. Für Geschlechterneutralität sorgt der Unterstich, in der Lingustik so treffend als Gender-Gap bezeichnet. 

Der Strich hat es im Alltag des Malestreams genauso schwer wie das Sternchen und erst recht das x, mit dem es die <link http: feministisch-sprachhandeln.org ag-feministisch-sprachhandeln _blank>"Arbeitsgruppe Feministisch Sprachhandeln" der HU Berlin im vergangenen Frühjahr bis in die Zeitung mit den ganz großen Buchstaben und ohne jede Geschlechtersensibilität geschafft hat. "Die x-Form berücksichtigt Leute", erläuterte Mitautox Lann Hornscheidt damals im taz-Interview, "die sich gar nicht zu Frausein und Mannsein verhalten möchten." Häme und Hetze folgten auf dem Fuße. "Wer denkt sich so was aus?", wollte "Bild" wissen und lieferte den "kleinen Trost" gleich mit, dass die Unileitung eine Umsetzung nicht plane. 

Da ist Österreich schon weiter. Gerade kocht eine Diskussion über die seit 2012 geltende Vorschrift hoch, nach der nur noch gegenderte Schulbücher zur Verwendung im Unterricht zugelassen werden. Wer promoviert, kann Doktor oder Doktrix werden. Vor allem aber leistete sich das Land die Aufnahme der Töchter in die Bundeshymne und eine breite Debatte, ob das Binnen-I zur – DIN vergleichbaren – ÖNORM werden soll. Auch angesichts der Tatsache, dass diese Form der geschlechtsneutralen Sprache schon offizielle Formulare oder Hinweisschilder erobert hat.

Der Plan wurde, natürlich ebenfalls unter tatkräftiger Mithilfe des Boulevards, beerdigt. Der Streit muss dennoch weitergehen. Schon allein deshalb, weil die pädagogischen Hochschulen des Landes eine generelle Pflicht zur geschlechtergerechten Formulierung in ihren Prüfungsordnung festgeschrieben haben. Dementsprechend könnte bei Verletzung der Regeln ein Punkteabzug bei Bachelor- oder Masterarbeiten drohen.

In solche Auseinandersetzungen will sich "an.schläge" gerade nicht hineinziehen lassen. "Wir sehen uns auf der Metaebene und fragen, warum taucht so was wann auf?", erläutert Susemichel, die als die wichtigsten feministischen Debatte im abgelaufenen Jahr Themen nennt, die weder auf Österreich noch auf den deutschsprachen Raum begrenzt sind: "Migration und Flucht samt ihren frauenspezifischen Konsequenzen, LGBTI-Rechte und Conchita Wurst."

Dass die Sprachdebatte, als eine der Spitzen des großen Eisbergs Geschlechtergerechtigkeit, ebenfalls in einer Endlosschleife steckt, zeigt den immer weiter währenden Nachholbedarf. Vor fast 20 Jahren hat sich die EU dem Gender-Mainstreaming als Methode zur Gleichstellung der Geschlechter verschrieben. Der Begriff ist noch immer Schenkelklopfer, nicht nur zur Fasnet. 2009 legte Brüssel noch einmal nach mit konkreten Hinweisen zur geschlechterneutralen Ausdrucksweise, Studierende statt Studenten oder Umschreibung wie – siehe oben – "in der Lingustik" statt "von Linguisten" nach.

Selbst das Argument, zu lesende Texte mit Maskulin und Feminin oder Binnen-I seien schlechter verständlich, ist längst widerlegt. "Entgegen der Kritik an den potenziellen Konsequenzen sprachlicher Gleichbehandlung verläuft die kognitive Verarbeitung von geschlechtergerechten Texten ähnlich erfolgreich wie die Verarbeitung von generisch maskulinen Texten", heißt es in einer 2007 in Göttingen veröffentlichten Untersuchung. Nach den vorliegenden Befunden "scheint es also nicht erforderlich zu sein, aus Gründen der Verständlichkeit Texte im generischen Maskulinum zu formulieren". Zudem bietet dieses bekanntlich auch jede Menge Anlässe zu Missverständnissen. Bestes Beispiel ist die Schweiz, in der bis 1971 nur Schweizer wählen durften. Und in dieser Formulierung stecken die -innen tatsächlich nicht drinnen.

Susemichel, die in Wien Philosophie und Gender Studies studiert hat, ist pragmatisch und unermüdlich zugleich – erst recht beim Blick zurück auf die vergangenen 30 Jahre. "Da bleibt uns in der Redaktion die Luft weg", erzählt sie, "wie Forderungen und Formulierungen praktisch identisch geblieben sind." Etwa die nach gleicher Bezahlung. Zugleich "wäre es sträflich, Erfolge kleinzureden". Denn damit machten sich gerade die engagierten Frauen selbst klein, "und das tun ohnehin schon andere".

Die Ausgabe im September 2014 befasst sich unter anderem damit, wie der Mangel an Geschlechtergerechtigkeit immer weiter vererbt wird. Brigitte Theißl, ihres Zeichens Magistra und Medienforscherin, stellt Wikipedia ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: "Der weltweit größten Online-Enzyklopädie fehlt neben den neuen Autor_innen vor allem eines: feministisches Wissen." 2010 habe eine von der Wikimedia-Stiftung (die gemeinnützige Organisation, die Wikipedia betreibt) in Auftrag gegebene Studie "ernüchternde Ergebnisse in Hinblick auf das Geschlechterverhältnis bei Wikipedia erbracht". Denn: Nur 13 Prozent Frauen beteiligten sich aktiv an der Online-Enzyklopädie; der durchschnittliche Wikipedia-Autor ist männlich, Mitte zwanzig und gut ausgebildet – jener Typus, der in netzaffinen Kreisen stets den Ton angibt; in der deutschsprachigen Wikipedia finden sich aktuell gerade einmal neun Prozent Frauen unter den AutorInnen.

"Regelrechte Editier-Kriege in der deutschsprachigen Wikipedia sind ausführlich dokumentiert", schreibt Theißl weiter, "Maskulinisten, die grundsätzlich im Internet sehr aktiv sind, verstehen sich als Wächter über (anti-)feministische Themen, was immer wieder in regelrechten Hetzkampagnen mündet." Wikipedia-Autorin Fiona Baine sei 2012 ins Visier von Männerrechtsgruppen geraten "und war monatelang sexistischen Attacken ausgesetzt – bis sie schließlich das Handtuch warf". Dazu komme ein historisch gewachsenes Problem, das sich beim Schreiben feministischer Einträge stelle: Sekundärquellen fehlten vielfach, die Geschichte von Frauenbewegungen und (queer-)feministischen Kämpfen sei lückenhaft dokumentiert.

"an.schläge" ist breit im Netz verfügbar, ganze Jahrgänge kann frau nachlesen. Frei Haus kommt Feminismus per Abo. Eine Befragung rund ums Jubiläum erbrachte Überraschendes: Das Durchschnittalter der AbonnentInnen liegt bei 30 Jahren. Das freut die Augenöffnerinnen. "Junge Frauen, die sich für Feminismus begeistern, wachsen nach", sagt Susemichel, die zugleich aber auf Leser setzen (muss). Denn: "Die Macht ist noch immer männlich."


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 13 Stunden
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