KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Raus aus der Schmuddelecke!

Raus aus der Schmuddelecke!
|

Datum:

Kaum eine Bushaltestelle, an der uns nicht Frauen von Plakaten entgegenschmollen und uns ihre Lust demonstrieren. Unsere Medien sind übersättigt mit der Darstellung weiblicher Sexualität. Doch was uns täglich auf die Netzhaut gebrannt wird, ist die männliche Fiktion weiblicher Sexualität, die weibliche Lust mit der Lust zu gefallen verwechselt. Vor allem massenhaft in Pornos.

Weibliche Lust ist scheinbar überall. Sie lacht uns mit aneinandergereihten Knackärschen von Plakaten neuer Fitnessstudios an, sie knabbert verführerisch an einem Eis, und sie versichert uns in der Werbung eines Elektrogroßhandels in Form eines blonden B-Promis des Doppel-D-Formats, dass es nirgendwo so "billig" ist wie bei ihrem Arbeitgeber.

Aber glauben Sie, dass sich die Halbfettjoghurt-Dame aus der Zott-Werbung zu Hause vor der Glotze den Löffel auch mit Schlafzimmerblick in Slow Motion zwischen die feuchten Lippen schiebt? Wer weiß. Schlafzimmerblick und feuchte Lippen sind übrigens gute Stichworte für ein Medium, an dem sich die männliche Fiktion der weiblichen Lust auch wunderbar beobachten lässt: Pornos.

Nicht die Darstellung noch so expliziter Sexszenen ist es, die den Mythos aufrechterhält, dass Frauen Pornos als überwiegend abstoßend empfinden. Vielmehr ist es die Darstellung der Frau, oder besser die Darstellung von weiblicher Sexualität, die hier eben nicht stattfindet. Laut einer Studie des kanadischen Sexualforschers Irving M. Binik sind Männer wie Frauen entgegen der Meinung, dass fast nur Männer auf Pornos abfahren, gleich erregbar, wenn ihnen pornografisches Material vorgespielt wird. Biniks Forscherteam zeichnete mit einer Wärmebildkamera die Genitalregion der ProbandInnen auf und stellte fest, dass Frauen wie Männer bereits nach einer halben Minute die ersten Anzeichen sexueller Erregung zeigten.

Es gibt sie also doch, die weibliche Lust an der inszenierten Lust, und es gibt auch weibliche Sexualität. Doch was uns in den konventionellen (Hetero-)Pornos anklafft und dümmlich in die Kamera grinst, hat nichts damit zu tun. Hier wird weibliche Sexualität und Lust mit der weiblichen Bereitschaft verwechselt, ausschließlich dem Mann Lust zu bereiten, ihm bei seinem Sprint zum Höhepunkt zur Hand, Verzeihung, zum Schwanz zu gehen.

Der klassische Hetero-Porno ist streng auf die Ejakulation des Mannes ausgerichtet, bei der die Frau ihm lediglich behilflich ist. Die Frau ist passiv. Aktiv ist sie nur als Gehilfin, wenn sie den Mann bedient. Die weibliche Lust besteht darin, es dem Mann bestmöglich zu besorgen und sich in dieser Rolle lautstark zu artikulieren. Wechselt die Perspektive dann tatsächlich einmal so, dass es den Anschein erweckt, dass nun eine Handlung vorgenommen wird, die der Frau zuträglich ist, sieht man lediglich, wie die Frau dem Mann versichert, dass sein Stakkato der Wahnsinn ist – was ihn wiederum zum Höhepunkt bringt. Selbst wenn wir annehmen, dass die Dame Lust empfindet, ist spätestens nach dem Close-up auf das männliche Endprodukt des alten Rein-raus-Spiels Schluss für sie. Vielleicht darf sie sich als Belohnung die Suppe noch auf dem Busen verreiben, dann ist aber auch gut. 

Ein weiteres Moment der männlichen Fiktion weiblicher Lust im konventionellen Porno ist die obligatorische Darstellung ausschließlich weiblicher Bisexualität. Kaum vorstellbar, dass in einem Hetero-Porno zwei Männer zu sehen sind, die sich zunächst gegenseitig verlustieren, bevor sie sich zu zweit über eine Frau hermachen. Doch zwei sich liebkosende Frauen, die sich gierig auf einen Mann stürzen, das ist Hetero-Porno-Konsens und bedarf keiner Extrakategorie.

Homo-Sex als No-go

Homosexuelle Handlungen unter Männern im Hetero-Porno sind ein absolutes No-go, weil echte Männer keine Männer lieben. Frauen hingegen verlieren kein Attribut ihrer Weiblichkeit, wenn sie es mit Frauen tun, denn diese haben eh von Natur aus schon eine unterlegene Position – die Frage nach der Dominanz stellt sich für sie nicht. Sicher kann man nun einwenden, dass die meisten Pornos von und vor allem für Männer produziert werden. Und wenn ein heterosexueller Mann sich den Kasper schnäuzen will, dann sieht er sich eben gerne nackte Frauen an – am besten zwei davon. Daran ist auch prinzipiell nichts auszusetzen.

Geschlechterstereotypen sind soziale Konstruktionen, und die finden sich auch in der Pornografie. Der Einwand, dass Pornos ja nur Fiktion wären und nichts mit echter Sexualität zu tun hätten, fällt extrem schwer, wenn man sich scheinbar echten Sex in den Amateursparten anschaut. Gelangweilte Porno-KonsumentInnen, die das klassische Porno-Gerammel satt haben, bekommen hier nur zu sehen, wie sich die Stereotypen des Kommerz-Pornos in der Inszenierung von Amateuren reproduzieren. Statt Doppel-D-Dolly und Powerload-Legende Peter North gibt es zwar vielleicht das Mädchen von nebenan und ihren Freund zu sehen, doch die Posen sind dieselben, wie auch die Darstellung der weiblichen Sexualität.

Gegen die bloße Abspritz-Assistenz

Aber es gibt sie tatsächlich – die weibliche Lust –, und zwar nicht bloß in Form einer Abspritz-Assistenz. Das beweisen die Pornoproduzentin Petra Joy und die Verlegerin und Publizistin Claudia Gehrke. Neben Annie Sprinkle, Candida Royalle und Maria Beatty zählt die preisgekrönte deutsche Filmemacherin Petra Joy zu den Porno-Pionierinnen der sexpositiven Frauenbewegung. In ihrem Zentrum steht die Auffassung, dass sexuelle Freiheit ein grundlegender Bestandteil aller weiblichen Bestrebungen nach Freiheit und Gleichberechtigung ist. Pornos werden daher nicht prinzipiell abgelehnt – wie etwa bei antipornografischen Feministinnen wie Alice Schwarzer (PorNO!) –, sondern mit dem Anspruch einer positiven Darstellung von Sexualität gefeiert – PorYES! "Das Vorurteil, dass Frauen nicht visuell sind, stimmt nicht. Frauen gucken gerne Pornos, wenn diese Filme weibliche Fantasien zeigen, natürliche Frauen und variationsreichen Sex zeigen. Dabei geht es nicht einmal darum, dass Frauen einen 08/15-Muskelhengst sehen wollen, sondern darum, dass er was von Oralsex versteht und Lust daran hat, ihr Lust zu bereiten, und nicht nur dasteht und 'Blas mir ma einen' stöhnt", so Petra Joy.

Ein wichtiger Bestandteil feministischer Pornografie ist dabei die Darstellung der Vielfalt an Körpern, Kulturen und Lust, und das gilt nicht nur für die Darstellung von Frauen. Auch Männer sollen in ihrer Vielfalt gezeigt werden, denn in den konventionellen Pornos werden Männer auch zu stumpfen Fickmaschinen reduziert. 

Petra Joy formuliert es so: "Die Welt des Pornos ist extrem konservativ. Die erlaubt nicht alle Farben des Regenbogens. Und weil die meisten Pornos von Hetero-Männern gemacht werden, gibt es nur zwei Arten von Männern: den "echten" Mann und den schwulen Mann. Ich zeige deshalb auch Bi-Männer, weil man das nie sieht. Damit werden aber auch männliche Fantasien beschnitten. Da werden Männer auch nur auf ihre Schwanzlänge reduziert und darauf, dass sie auf Kommando abspritzen können. Ich zeige sehr gerne, wie'n Penis schlaff ist und dann hart wird. Ich finde das sehr sexy."

Feministischer Porno ist humanistischer Porno, indem er Sexismus und Rassismus ablehnt und Menschen bei der schönsten Nebensache der Welt zeigt. Dass feministischer Porno dabei nicht gleich weich gezeichneter Blümchensex mit Heiraten ist, wird in Petra Joys Filmen schnell klar. Hier geht es richtig zur Sache, mit dem Unterschied, dass die DarstellerInnen Respekt voreinander haben und hier Frauenfantasien verfilmt werden.

Porno als subversives Mittel

Bei PorYES geht es darum, Geschlechterstereotypen und sexuellen Essentialismus aufzusprengen – Porno als subversives Mittel gegen Geschlechterstereotypen. Denn Sexualität (männliche wie weibliche) ist keine Naturkonstante, sondern gesellschaftlich vermittelt. Die Auffassung von der "aggressiven", "dominanten" "männlichen" Sexualität ist dabei genauso ein Produkt gesellschaftlicher Konstruktionsarbeit wie die Vorstellung der Frau als eher "passive", "willige" Liebesdienerin. Petra Joy schafft mit ihren Filmen eine alternative Sicht auf die männlich geprägte konventionelle Darstellung von Sexualität.

"Porno ist politisch, weil das Private politisch ist. Und das, was im Schlafzimmer passiert, reflektiert existierende Geschlechterverhältnisse. In meinem Film 'XXX-Men' sitzen vier Frauen in einer Jury, und die Männer müssen in einer Talentrunde zum Beispiel für sie tanzen oder masturbieren – alles natürlich mit einem riesigen Augenzwinkern. Doch hier wird klar, dass es sonst immer Männer sind, die Frauen beurteilen, deshalb findet man das zunächst irgendwie komisch", sagt Petra Joy, "wenn wir die bestehenden Rollenklisches auf den Kopf stellen, gewinnen alle daran. Wir können alle viel besseren Sex haben, wenn wir mehr Facetten unserer Sexualität ausleben können, ohne an Klischees gebunden sein zu müssen." 

Dass PorYES und somit die "Einmischung" von Frauen ins Porno-Business positive Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft hat, ist offensichtlich. Frauen nehmen ihre Lust selbst in die Hand und lassen sie nicht länger von Männern definieren.

Petra Joy: "Was wir in Pornos sehen, hat Modellfunktion, genauso wie in Filmen oder in den Nachrichten. Ich bin Historikerin und habe meine Magisterarbeit über die weibliche Sexualität im Nazi-Propagandafilm geschrieben und meine These war, dass Unterhaltung politisch ist und wichtig für die Definition von Geschlechterverhältnissen. Ob das jetzt Spielfilme sind, die wir sehen, oder Dokus oder Pornos, das menschliche Gehirn unterscheidet nicht, was es gerade sieht. Deshalb wirkt Propaganda ja auch. Der Effekt beim Sehen ist derselbe. Deshalb ist es ja so wichtig, Gegenkonzepte zu entwerfen und visuell zu zeigen, um Veränderungen in der Wahrnehmungen von Sexualität zu bewirken."

So sieht das auch Claudia Gehrke, deren Tübinger Konkursbuch-Verlag den Schwerpunkt auf erotische Literatur, Queer-Kultur und Fotografie setzt. Regelmäßig bringt Gehrke das erotische Jahrbuch "Mein heimliches Auge" heraus, das weibliche Lust in zahlreichen Essays, Fotografien, Kunst und Lyrik zeigt. Hier wird schnell klar, dass Sexualität in den unterschiedlichsten Zusammenhängen betrachtet werden kann – und muss. 

"Oft wird gesagt, dass unsere Gesellschaft doch völlig übersexualisiert wäre, aber wenn man dann genauer schaut, ist es immer noch so, dass Sexualität und Kultur getrennt betrachtet werden", sagt Claudia Gehrke. "Ich finde Sexualität ist aber schon ein wichtiges Element, das in kultureller Darstellung vorkommen kann. Ich werde oft mit meinem 'Sexverlag' festgelegt auf meine Veröffentlichungen, die mit Sex zu tun haben, dabei haben wir im Verlag auch Bücher zu den Kanarischen Inseln."

Gegen das "Emma"-Pornoverbot

In der aktuellen Ausgabe von "Mein heimliches Auge" werden Themen wie Polyamorie, SM und Sex & Politik auf unterschiedliche künstlerische Weise behandelt, und sie zeigt, dass Sexualität mehr ist als phallozentrische Machtdemonstration.

Claudia Gehrke: "Bei meinen erotischen Büchern möchte ich vor allem zeigen, dass Sexualität nicht völlig losgelöst betrachtet werden kann. Ich möchte die Ambivalenzen des Alltags mit einfügen. Ich möchte Pornos, die primär darauf ausgelegt sind, sexuell zu erregen, nicht schlechtreden, aber mein Ansatz ist, Sexualität mit in kulturelle Ausdrucksformen mit einzubeziehen. Pornografie ist ein kulturelles Produkt und bietet Chancen für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen. Ein Porno-Verbot, wie es Alice Schwarzer mit der "Emma"-Kampagne 1987 angestrebt hatte, spricht Frauen die Schaulust ab und zensiert ein potenziell subversives Medium, das zur Verbesserung der Geschlechterverhältnisse beiträgt."

Mit etwas Glück sehen wir demnächst dann vielleicht auch einmal einen Mann in der Werbung, der sich in lasziver Pose ein Schokoeis in den Mund schiebt – nicht im Sinne eines umgedrehten Sexismus, sondern in dem Bewusstsein, dass zwischen Frauen, Süßigkeiten und sexy Posen kein geschlechtsspezifischer Kausalzusammenhang herrscht. PorYES!


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Elena Wolf
    am 15.05.2013
    Antworten
    @Mike: Da gebe ich Dir völlig recht, "Shades of Grey" sind Shades of Schrott. Das Üble ist ja, dass der Roman vorgibt, eine emanzipierte weibliche Sexualität zu beschreiben, da hier eine Frau auf SM abfährt...uhhh.
    Das Problem ist aber, dass es dabei nicht um eine sexuell erfahrene Frau geht, die…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!