Eigentlich hat Ali Y., 50 Jahre alt, sich immer für Politik interessiert, wählen zu gehen war für ihn selbstverständlich. Doch mittlerweile will er nichts mehr wissen über die parteipolitischen Debatten im Land. Der Wirtschaftsinformatiker ist frustriert und verletzt. Der Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilist:innen am 7. Oktober und der darauffolgende Krieg in Gaza haben sein Leben verändert. Er trauert um die Tausenden von Toten. Aber: "Ich habe das Problem, dass in meiner Umgebung großes Desinteresse für meine Situation herrscht." In seinem deutschen Freundeskreis ist das Thema Nahostkonflikt geradezu tabu.
Ali war elf Jahre alt, als seine Familie 1985 während des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland geflüchtet ist. Sein Geburtsort im Libanon liegt genau an der Grenze zu Israel und stand von 1982 bis zum Jahr 2000 unter israelischer Besatzung. Seit Oktober 2023 kommt es dort entlang der israelisch-libanesischen Grenze täglich zu Gefechten. Die Hisbollah hatte Nordisrael in Solidarität mit den Palästinensern für die israelische Bombardierung Gazas mit Raketen angegriffen, Israel bombardierte zurück. Mittlerweile haben Tausende im Südlibanon und Nordisrael ihre Häuser verlassen. Außerdem kamen dabei Dutzende libanesische Zivilisten sowie drei Journalisten um. Ali Y. hat noch Familienangehörige in der Region, ist regelmäßig dort und hält engen Kontakt.
Im Ruhrgebiet aufgewachsen, lebt er seit 20 Jahren mit seiner Familie in Baden-Württemberg. Total liberal in seinem Lebensstil wird er kaum als Muslim wahrgenommen. "Ich bin ein schlechter Muslim", sagt er sarkastisch in Bezug auf seine eher agnostischen Ansichten. Der selbstständige Unternehmer im Bereich Softwareentwicklung habe bisher in seinem Leben in Deutschland nie Ausgrenzung erfahren, sagt er. Nun fühlt er zum ersten Mal ein gewisses Befremden.
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Waldemr Grytz
am 02.06.2024