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Rauer Wind

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Wie sprechen über den Krieg in Gaza? Für Ali Yassine wäre es schon gut, wenn überhaupt jemand mit ihm darüber sprechen wollen würde. Noch nie habe er in Deutschland Ausgrenzung erlebt, sagt der Unternehmer, der seit 20 Jahren in Böblingen bei Stuttgart lebt. Zum ersten Mal fühle er derzeit Befremden. Yassine ist im Libanon geboren, an der Grenze zu Israel. Er macht sich für die Ukraine stark, aber der Krieg in Gaza sei ein Tabu in seinem Freundeskreis, sagt er und klagt, die Deutschen lebten in einer ganz eigenen Blase. Der Mann hat früher bei Europawahlen FDP gewählt, nun will er sich für Sahra Wagenknechts BSW entscheiden oder für MERA25 um den ehemaligen Griechischen Finanzminister Yannis Varoufakis – der kürzlich vor seiner geplanten Teilnahme am Palästina-Kongresses in Berlin mit einem Einreiseverbot belegt wurde.

Diese zwei Parteien, sagt Yassine, würden seine Meinung zum Nahostkonflikt vertreten. Mit diesen Gedanken ist er nicht allein. Unsere Autorin Silvana El Sayegh hat sich kurz vor dem Wahltag am 9. Juni in der arabischen Community in der Region umgehört. Und drei Geschichten mitgebracht von schwerer Enttäuschung, neu aufflammendem Rassismus und dem Gefühl, nicht mehr willkommen zu sein.

Und wirklich: Die Zeit, als selbst die Stuttgarter CDU der Meinung war, wer "in der Heimat etwas Schlimmes erlebt" habe, verdiene es, "hierzulande Schutz zu finden und ein menschenwürdiges Leben führen zu können", sind vorbei. Zur Kommunalwahl heißt es in deren Programm nahezu AfD-like: "Keine weitere Schaffung von Flüchtlingsunterkünften." Wie gut, dass die Mehrheit des Stuttgarter Gemeinderates noch anders denkt und im vergangenen März beschlossen hat, weiter Unterbringungsplätze für Geflüchtete zu schaffen.

Das Thema Migration hätte sicher auch die Besucherinnen und Besucher auf dem Stuttgarter Schlossplatz interessiert, die sich am vergangenen Wochenende den Auftritt von Sahra Wagenknecht und ihrer BSW-Entourage angesehen haben. War aber kein Thema. Unsere Autorin Gesa von Leesen meint dazu: "Vielleicht passt die Vorstellung des BSW – Migration begrenzen und Leistungen für Asylbewerber kürzen – nicht in eine Rede, die sich an den Regierungsparteien abarbeitet, denn die wollen das ja auch."

Wurde auch Zeit: Lindner zitiert Kontext

Positiv hervorgetan hat sich in den vergangenen Tagen dafür unverhofft ein ganz anderer: Christian Lindner. Der FDP-Finanzminister war beim Branchentreff des Verbands Deutscher Lokalzeitungen und Lokalmedien und hat dort auf eine "Studie aus Baden-Württemberg" hingewiesen, wie der "Deutschlandfunk" berichtet. "Dort wurde wissenschaftlich nachgewiesen", sagte Lindner da, "dass in den Städten und Gemeinden, in den Landkreisen, in denen es einen entwickelten Lokaljournalismus gibt, die Wahlanteile von Rechtspopulisten geringer sind."

Selbstverständlich weist er gleich noch auf die angespannte Haushaltslage hin, und dass es keine Kohle gibt, ist klar. Aber die zitierte Studie, die es da ins Finanzministerium auf den Tisch vom Chef geschafft hat, ist die Masterarbeit von Kontext-Autor Maxim Flößer, deren Ergebnisse wir im März exklusiv veröffentlicht haben. Es ist die erste, die das grundsätzlich unterschätzte Thema Lokaljournalismus derart beleuchtet hat.

"Wo die Lokalzeitung fehlt, sinkt die Wahlbeteiligung, die Korruption steigt und die Zufriedenheit sowie der gesellschaftliche Zusammenhalt gehen nach unten", sagte Flößer aktuell auch in einem Interview mit dem "Münchner Merkur". Und weiter: "Das Ergebnis ist für mich eine Bestätigung, dass ich da an etwas dran bin. Jetzt hoffe ich, dass viele Menschen an der Arbeit ansetzen und weitermachen."

Zu hoffen bleibt auch, dass Zeitungsverlage daraus lernen. Und wichtiger noch: dass die Bundesregierung ihr Versprechen aus dem Koalitionsverlag einlöst und endlich Rechtssicherheit schafft für den gemeinnützigen Journalismus. Der kostet Lindners Finanzministerium nicht mal was.

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2 Kommentare verfügbar

  • Dieter Rebstock
    am 29.05.2024
    Antworten
    Besagter Palästinakongress hatte Redner auf der Liste, die den Überafll am 07.Oktober gefeiert haben. Und noch immer beginnt die deutsche Medienvielfalt JEDEN Bericht über den Krieg mit der israelischen Antwort auf die arabisch/palästinensische Aggression. Dass vor dem fehlgeleiteten Angriff der IDF…
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