Da zeigt sich doch mal der Unterschied in der Herangehensweise: Während Jens Spahn, Unionsfraktionschef im Bundestag, in der ziemlich turbulenten Debatte um Aufenthaltsqualität, Angstgefühle und Abschiebungen einen "linken Empörungszirkus" erkennt, machen zehn SPD-Bundestagsabgeordnete Nägel mit Köpfen. Sie verlangen einen "Stadt der Zukunft"-Gipfel im Kanzleramt, "präzise Analyse statt Ressentiments", und sie haben einen Acht-Punkte-Plan vorgelegt. Der sieht unter anderem zusätzliche Drogenkonsumräume vor, mobile Gesundheitsdienste, intensive Sozialarbeit, mehr Grünflächen, Wasserstellen, Sitzgelegenheiten, Märkte, Kultur- und Sportangebote im öffentlichen Raum, klare Regeln gegen Vermüllung, Pfandsysteme in der Außengastronomie. Und natürlich mehr Geld, weil die Kommunen für ihre Projekte eine gesicherte Finanzierung brauchen.
Baden-Württembergs CDU-Ministerinnen Nicole Hoffmeister-Kraut (Wirtschaft) und Nicole Razavi (Wohnen) könnten solche Ideen eigentlich sogleich offensiv verknüpfen mit den eigenen. Vor einem Jahr haben sie untersuchen lassen, was wichtig ist für die Attraktivität von multifunktionalen Innenstädten, welchen Einfluss Müll und Beleuchtung oder die "gezielte Bespielung" von Aufenthaltsräumen auf die Atmosphäre haben, und wie sogenannte Angsträume abgebaut werden können. "Die Innenstadt ist ein Gemeinschaftsprojekt und ein Raum für alle, in welchem dem Faktor Mensch eine entscheidende Rolle zukommt", schreibt das Autor:innenteam, dem Kommunalfachleute und Stadtplaner:innen angehören. Um soziale Vielfalt herbeizuführen, müsse ein verträgliches Neben- und Miteinander unterschiedlicher Ethnien, Kulturen und Einkommensschichten sichergestellt werden – und die Schaffung von Sicherheit für alle.
Wer in exklusiven City-Arealen Störgefühle entwickelt, weil sich andere oder neue gesellschaftliche Gruppen ihrer bemächtigen, ist ohnehin auf dem falschen Dampfer. Denn: "Migration wird auch als Erfolgsfaktor gewertet, da in Teilen nur durch neue Bevölkerungsgruppen das 'Leben' in Innenstädten aufrechterhalten werden kann, ohne diese wäre ein umfassender Nutzungsmix nicht mehr vorzuhalten", heißt es in dem Gutachten weiter. Die Schnittmengen zu dem von der Mannheimer Bundestagsabgeordneten Isabel Cademartori mitverfassten SPD-Papier sind unübersehbar – etwa wenn "vielfältige Nutzungen" den Vorrang gegenüber "eintönigen 'Konsummeilen'" gegeben wird. Kommunen sollten Leerstände leichter nutzen dürfen und Gebäude für soziale, kulturelle oder sportliche Zwecke öffnen können. Hoffmeister-Kraut will die unbestritten vorhandene Brücke jedoch nicht nutzen, um gemeinsam vorzugehen. "Das Wirtschaftsministerium kommentiert keine parteipolitischen Initiativen", sagt eine Sprecherin auf Anfrage.
Viele Kommunen sind knapp bei Kasse
Viele Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg arbeiten ohnehin bereits eng mit Polizei, Sicherheitsdiensten und Geschäftsinhaber:innen vor Ort zusammen. Allerdings ist oft das Geld knapp. Obwohl das Land finanziell noch immer vergleichsweise gut dasteht, sind zwischen Main und Bodensee nurmehr 97 der 1.101 Kommunen schuldenfrei. Die wesentlichen Gründe sind altbekannt: "Die Kommunen tragen ein großes Spektrum sozialer Aufgaben, die überwiegend bundesgesetzlich geregelt, aber oft nicht ausreichend vom Bund gegenfinanziert sind", analysiert die Bertelsmann-Stiftung. Es brauche für Baden-Württemberg eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes, weil die Sozialausgaben binnen vier Jahren um 40 Prozent auf fast zehn Milliarden Euro anwuchsen.




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