So offensiv das Kriegerdenkmal auf dem Cannstatter Friedhof wirkt, so unscheinbar, beiläufig und versteckt wirkt eine Tafel, die an die über 200 armenischen Zwangsarbeiter erinnert, die 1944 und 1945 auf dem Gelände des Großmarkts in Stuttgart-Wangen untergebracht waren: Sie ist unter einem Viadukt angebracht, das über die Langwiesenstraße führt – kein Ort zum Flanieren oder Verweilen. Angebracht wurde es 1999 aus Anlass des 28. Evangelischen Kirchentags in Stuttgart, die meisten Erinnerungsorte für Zwangsarbeiter entstanden erst ab der Jahrtausendwende.
Vermutlich neueren Datums – das genaue blieb bislang unermittelt – ist auch der wahrscheinlich umfassendste und inklusivste Gedenkort: Auf dem Zuffenhausener Friedhof stehen acht Quader aus Metall, an deren Seiten Inschriften an verschiedene Gruppen getöteter Menschen erinnert: Ein Quader ist "den umgekommenen Widerstandskämpfer gegen Faschismus und Krieg 1933 – 1945" gewidmet, ein anderer "den Opfern von Verfolgung und Euthanasie". Auf weiteren wird der Gefallenen, Vermissten, Flüchtlingen und Vertriebenen gedacht. Mit der Auflistung so unterschiedlicher Gedenkarten dokumentiert die Seite auch, wie sich die Erinnerungskultur im Laufe der Zeit gewandelt hat.
Dokumentation hilft gegen Ignoranz
"Wir wollen mit unserem Projekt auch in einen Dialog mit den Menschen aus den Stadtteilen steigen", sagt Wilma Heuken. Um die Einträge zu ergänzen, und um sie als Ausgangspunkt für Diskussionen zu nutzen: "Wie sinnvoll sind solche Orte? Und sind sie überhaupt noch verständlich?" Müsste etwa mehr getan werden, um den Kontext zu verdeutlichen, der sich bei vielen nur dürftig beschrifteten Orten ohne Hintergrundwissen nicht einfach erschließt?
Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen und Recherchen bietet die Website auf jeden Fall reichlich. Heuken findet die vielen zusammengetragenen Orte so wichtig und interessant, weil die lebenden Zeitzeugen mittlerweile so gut wie verschwunden sind: "Diese Orte sind jetzt unsere Zeitzeugen". Die Auflistung zeige, "dass es etwas gegeben hat in Stuttgart", dass die Verbrechen der Nazis auch hier stattgefunden haben – und es immer wieder Menschen gegeben hat, die sich darum kümmerten, sie nicht zu vergessen.
"Deswegen sind diese Erinnerungsorte für mich auch ein Stück weit Verteidigung der Demokratie", sagt Heuken, ein Mittel gegen die zunehmende Ignoranz gegenüber NS-Verbrechen: "Denen, die das anzweifeln, kann man zeigen: Hier ist es dokumentiert, das gab es auch hier, das hat auch die Menschen betroffen, die unmittelbar in der Nachbarschaft lebten."
Wie Erinnerungsorte belebt werden können, was für eine Bedeutung sie für die Gegenwart haben können, zeigt auch die Veranstaltung vor dem Mahnmal für die Daimler-Zwangsarbeiter. In seiner Rede beschreibt Betriebsrat Sven Schmiech, dass der Kampf gegen Faschismus, den die IG-Metall-Satzung fordere, eine aktuelle Aufgabe sei: "Ihr kriegt alle mit, was in Deutschland und in der Welt passiert", sagt er. Gerade jetzt sei es wichtig, in Diskussionen mit Kolleg:innen gehen. Und auch wenn es Schmiech nicht explizit erwähnt, liegt die Vermutung nahe, dass er sich hier auch auf die rechte Pseudo-Gewerkschaft Zentrum Automobil (ZA) bezieht, die in der Firma sehr aktiv ist (Kontext berichtete). "Diese Diskussionen sind manchmal schwierig, aber sie sind wichtig, damit wir weiter in einer Demokratie leben".
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