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Symbol des Nazi-Terrors zerbröselt

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Um die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau vor dem Verfall zu bewahren, beteiligt sich Deutschland an einer Stiftung, die keine Zinsen abwirft. So wird man seiner Verantwortung nicht gerecht, meinen die AnStifter und lancieren einen Appell.

Auf Unglauben und Skepsis stößt Peter Grohmann, wenn er vom Auschwitz-Appell erzählt: ein Appell der AnStifter "an die Bundesrepublik Deutschland, an die deutsche Öffentlichkeit, in Anerkennung der historischen Schuld diese Erbschaft anzunehmen und alles zu tun, um dieses Mahnmal auf Dauer als Erbe der Menschheit zu erhalten."

Versteht sich das denn nicht von selbst?

Seit 2007 gehört das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zum Unesco-Weltkulturerbe, wobei es in diesem Fall eher Unkulturerbe heißen müsste.

Hat nicht Angela Merkel erst im Dezember 60 Millionen seitens der Bundesrepublik zugesagt?

Ja, das hat sie. Und es spielt dabei auch keine größere Rolle, dass sie eigentlich nur die Hälfte des Betrags zusagen könnte, da die Summe nach dem Königsteiner Schlüssel auf Bund und Länder verteilt werden soll. Dass das wichtigste aller Holocaust-Mahnmale, Unesco-Welterbe obendrein, erhalten bleiben soll: dem werden sich die Länder wohl nicht widersetzen. Nur reicht diese Einmalzahlung von 60 Millionen – nicht mehr als 75 Cent pro Kopf der Bevölkerung, wie die AnStifter vorrechnen – bei Weitem nicht aus. Dies liegt zum einen an der schieren Größe des Vernichtungslagers und seinem prekären Zustand. Zum anderen am Finanzierungsmodell, für das diese Zahlung gedacht ist.

Die Rechnung geht nicht auf

Die Bundesrepublik will nämlich nicht etwa die Instandhaltung des Mahnmals finanzieren. Sondern, so war die Äußerung der Bundeskanzlerin bei ihrem ersten Auschwitz-Besuch gedacht, einen weiteren Beitrag in eine Stiftung einzahlen, die 2009 von dem Auschwitz-Überlebenden und früheren polnischen Außenminister Władysław Bartoszewski ins Leben gerufen wurde. Die Idee war damals, von den Regierungen Deutschlands und anderer Länder insgesamt 120 Millionen Euro einzuwerben, sodass aus den Zinsen – vier bis fünf Millionen pro Jahr – der Erhalt finanziert werden könnte.

Diese Rechnung geht aber nicht auf. Nicht weil der Betrag von 120 Millionen immer noch nicht ganz erreicht ist, die Bundesrepublik hat bereits einmal 60 Millionen gestiftet, sodass mit dem nun von Merkel angekündigten Betrag insgesamt fast 180 Millionen zusammenkämen. Doch aufgrund der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank wirft das Kapital fast keine Zinsen ab. Derweil verfallen die Baracken, in denen unter grauenhaftesten Bedingungen unzählige Menschen zusammengepfercht wurden, um, solange sie bei minimaler Ernährung noch konnten, härteste Arbeit zu verrichten und danach einem sicheren Tod entgegenzusehen.

155 Gebäude und 300 Ruinen stehen auf dem 161 Hektar großen Gelände: kein Vogelschiss, wie der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland meinte. Und sie wurden nicht für die Ewigkeit gebaut. 350.000 Euro kann der Erhalt einer einzigen Baracke kosten, insgesamt wären das Kosten bis zu 15 Millionen, rechnet die Initiative vor. Dazu kommen die Überreste der von den Nazis ganz zum Schluss noch gesprengten Gaskammern; Wege, Straßen, Bahngleise, Stacheldrahtzäune; aber auch die letzte Habe der Gefangenen, mehr als 3.800 Koffer sind erhalten, mitsamt Habseligkeiten.

Es ist also eine gewisse Eile geboten, und die 180 Millionen werden wieder nicht reichen, da fast keine Zinserträge vorhanden sind. Der Vorgang offenbart darüber hinaus auch eine Unwürdigkeit im Umgang mit dem Gedenken, und zwar auf deutscher Seite. Polen hat das Lager gleich 1947 zum Museum erklärt. Und Polen finanziert bis heute die Stellen der 200 Mitarbeiter, die in diesem Museum tätig sind. Mehr als zwei Millionen Besucher kommen mittlerweile jährlich zu der Gedenkstätte, fast die Hälfte davon aus Polen, dann aus Großbritannien, den USA, Italien und Spanien, aber nur 85.000 aus Deutschland. Und wenn Schüler aus Baden-Württemberg eine Klassenfahrt nach Auschwitz machen, müssen ihre Familien, auch wenn sie wenig verdienen und die Eltern aus anderen Ländern stammen, für die Kosten selbst aufkommen: das Land gewährt keinen Zuschuss.

Wohl ist zu begrüßen, wenn nun Sadiq Kahn, der muslimische Bürgermeister von London, wie die "Jüdische Stimme" lobend hervorhebt, seitens seiner Stadt eine Spende von 300.000 Pfund ankündigt (ungefähr 340.000 Euro). Aber ist die Finanzierung des Mahnmals wirklich Sache der Nachbarländer? "Unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht. Ihr wollen wir gerecht werden", hat Bundespräsident Walter Steinmeier vor wenigen Tagen an der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem gesagt. Sollte nicht Deutschland, das Land, das die historische Schuld auf sich geladen hat, selbst Sorge tragen, dass die Gedenkstätte erhalten bleibt, zur ständigen Erinnerung, dass so etwas nie wieder vorkommen darf?

100.000 Unterzeichner, oder eine Million

Genau dies fordern die AnStifter, nachdem sie sich im vergangenen Oktober auf einer Reise nach Auschwitz ein Bild vom schlechten Zustand der Gedenkstätte gemacht haben. Dabei geht es ihnen keinesfalls nur darum, die Regierenden an ihre Verantwortung zu erinnern, wie Grohmann, Monika Kneer und Klaus Kunkel auf der Landespressekonferenz am 75. Jahrestag der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee ausführen. Sie wollen die Zivilgesellschaft erreichen. Auch wenn sich unter den Erstunterzeichnern viele Politiker befinden – Landtagspräsidentin Muhterem Aras zum Beispiel, Leni Breymaier, Bernd Riexinger oder Stadträte der Linken in Stuttgart: Auch die Gedenkstätten im Land sind allesamt nur aufgrund zivilgesellschaftlicher Initiativen zustande gekommen.

Wolfgang Niedecken, Gerhard Richter, Udo Lindenberg, Iris Berben, Volker Lösch: Viele der mehr als 1.000 Erstunterzeichner kommen aus dem Kulturbereich, und keineswegs nur aus Stuttgart oder dem näheren Umfeld der AnStifter. Die Liste ist viel zu lang, um hier mehr als ein paar herausgepickte Namen anzuführen. Bis zum nächsten Jahrestag der Befreiung am 27. Januar 2021 sollen es 100.000 Unterzeichner werden, sagt Grohmann. Oder eine Million.

Wenn er auf unwürdiges Verhalten von Jugendlichen in der Gedenkstätte angesprochen wird, wird Grohmann nachdenklich. Man solle solche Meldungen nicht überbewerten, meint er, sondern vielmehr den jungen Leuten zuhören. "Die ganzen Jahre über haben wir gepredigt", so Grohmann: offenbar nicht der geeignete Weg, um Menschen zu erreichen. Es führe nicht weiter, immer wieder die historische Schuld der Deutschen zu betonen, man müsse beim Heute anfangen: beim wachsenden Zulauf der Rechten in vielen Ländern, bei den Situationen von Krieg und Verfolgung, wie sie manche Schüler vielleicht selber erlebt haben. Und: "Es kommt darauf an zu streiten."


Zum Auschwitz-Appell der AnStifter geht's hier.


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