Im Juli 2010 schließlich lud die Stadt zu einer öffentlichen Anhörung über "Erinnerungsorte in Stuttgart", in dem ein Großteil der geladenen Experten für einen Erhalt des Gebäudes plädierten.
Doch wer nach den Kommunalwahlen 2009 hoffte, die neue Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat, bestehend aus Grünen, SPD und SÖS/Linke, würde sich im Anschluss an die Diskussion für den kompletten Erhalt des Hotel Silber aussprechen, sah sich zunächst getäuscht. Im Oktober 2010 stimmten die Grünen im Umwelt- und Technikausschuss gemeinsam mit CDU, FDP und Freien Wählern für ein Konzept, demzufolge lediglich ein Teil der Fassade erhalten bleiben sollte – an die Außenwand des Neubaus geklebt. Stadtrat Michael Kienzle begründete die Mehrheitsmeinung seiner Fraktion (ein Viertel plädierte für einen weitergehenden Erhalt) so: Bei einer Maximalforderung bestehe das Risiko, am Ende gar nichts zu erreichen. Daraufhin rebellierte die Grünen-Basis und stimmte bei einer Mitgliederversammlung mehrheitlich gegen die Position ihrer Gemeinderatsfraktion. Vorab hatte der damalige Fraktionsvorsitzende Werner Wölfle zugesichert, sich an das Votum zu halten, auch wenn er anschließend in der "Stuttgarter Zeitung" einen "Realitätsverlust" bei den Abrissgegnern beklagte.
Landtagswahl 2011 mischt Karten neu
Die Realität nach der Landtagswahl im März 2011 war dann, dass SPD-Landeschef Nils Schmid in einer lichten Stunde den Erhalt des Gebäudes zur "Chefsache" erklärte. Bereits im Juni 2011 war der Abriss dann endgültig abgeblasen. Die Landesregierung als Eigentümer des Gebäudes einigte sich mit der Firma Breuninger, das Quartier an der Dorotheenstraße ohne Einbeziehung der Hotel-Silber-Fläche umzuplanen. Davor hatte Breuninger-Chef van Agtmael übrigens immer wieder gedroht, sich aus dem ganzen Projekt zurückzuziehen, sollte das Hotel Silber ausgeklammert werden.
Anfang 2012 initiierte das Land einen Runden Tisch, an dem alle wichtigen Akteure – Vertreter von Stadt, Land, Initiative und Gedenkstätten – versammelt sein sollten, um an der Konzeption mitzuarbeiten. Immer wieder schwierig gestaltete sich dabei das Verhältnis zwischen der Hotel-Silber-Initiative und dem Haus der Geschichte (HdG), das schon die ursprünglich die für den Neubau geplante Gedenkstätte einrichten und nun auch federführend sein sollte. HdG-Chef Thomas Schnabel habe sich wenig hineinreden lassen wollen, wie aus der Initiative heraus immer wieder beklagt wurde, und habe immer wieder eigenmächtig gehandelt (<link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft zwei-schritt-vor-einer-zurueck-2437.html external-link-new-window>Kontext berichtete). Vor dem Regierungswechsel 2011 fiel der Landesbeamte Schnabel übrigens nicht unbedingt als glühender Verfechter des Erhalts auf: Das Gebäude an sich "kann nichts" in musealer Hinsicht, sagte er bei einer Veranstaltung im Oktober 2010, weil es nur ein Verwaltungsgebäude sei.
Als noch schwieriger erwies sich die Frage der Finanzierung. Reichlich absurd: Im Mai 2013 wurde eine von HdG und Initiative gemeinsam entwickelte Konzeption für die Nutzung des Hauses vorgestellt und vom Runden Tisch zunächst einhellig begrüßt. Dann jedoch gleich wieder gekippt, aus Kostengründen. Statt 800 000 Euro Betriebskosten für vier genutzte Etagen einigten sich Stadt und Land im Juli auf 500 000 für nur drei Etagen. Gestrichen werden sollte dabei ausgerechnet der zweite Stock, in dem sich die Büros der Gestapochefs befanden, die Chefetage des Terrors (<link https: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen chefetage-des-terrors-1863.html external-link-new-window>Kontext berichtete).
CDU und FDP hätten gerne noch mehr abgespeckt. Das Land hatte sich im Dezember 2013 sogar noch bereit erklärt, der Stadt bei den Kosten entgegen zu kommen: Sie hätte für das ursprüngliche und deutlich umfangreichere Konzept nur 65 000 Euro mehr als für die abgespeckte Lösung aufbringen müssen. Gegen die Stimmen von SPD und SÖS/Linke und mit denen von CDU, FDP, Freien Wählern und Grünen sprach sich der Stuttgarter Gemeinderat aber für die schmalspurige Variante aus.
Absurd ging es weiter: Im November 2014 zeigte sich, dass der bislang mit eingeplante Keller wegen der Heizungsanlage nicht nutzbar sei. Deswegen wurde Anfang 2015 der zweite Stock wieder dazu genommen, allerdings bei einem weiterhin abgespeckten Gesamtkonzept.
Einzigartig: bürgerschaftliche Initiative als Co-Trägerin
Endgültig einigten sich Stadt und Land im Juli 2015 über die Finanzierung, <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft komplizierte-architektur-des-gedenkens-3406.html external-link-new-window>der Vertrag darüber wurde im Januar 2016 unterzeichnet. Nun konnten die Arbeiten an der Dauerausstellung beginnen. Eine ergänzende Vereinbarung zwischen dem Haus der Geschichte und der Initiative regelte deren Zusammenarbeit bei Ausgestaltung und Betrieb des Hauses, was bundesweit einzigartig ist. Der Initiative wurde nicht nur zugesichert, einen eigenen Raum im Haus zu bekommen, ohne Miete zu zahlen. Sie kann das Haus auch, womit eine lange Forderung von ihr umgesetzt wird, mit eigenen Veranstaltungen "mit bespielen".
2 Kommentare verfügbar
Michael Kuckenburg
am 29.11.2018Hier isses anders: Der berühmte lange Atem, hier hat er wirklich stattgefunden! Und er hat erreicht, wofür die Protagonist*innen sich verausgabt…