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Zwei Schritt vor, einer zurück

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Vor über drei Jahren wurde der Abriss des Hotel Silber, der ehemaligen Stuttgarter Gestapozentrale, endgültig abgeblasen und die Einrichtung eines Lern- und Gedenkorts zur NS-Zeit beschlossen. Erreicht wurde dies vor allem durch die Arbeit einer Bürgerinitiative, die dennoch immer wieder darum kämpfen muss, bei der Konzeption und Nutzung des Ortes berücksichtigt zu werden - die Vorstellungen der verschiedenen Akteure gehen zuweilen weit auseinander.

An der großen Baustelle neben dem Stuttgarter Karlsplatz kann man momentan gut erkennen, dass gelegentlich auch in Stuttgart scheinbar unwiderruflich festgezurrte Bauprojekte durch bürgerschaftliches Engagement modifiziert werden können. Denn am Rande der planierten Fläche, auf der in den kommenden Jahren das "Quartier am Karlsplatz" entstehen soll, steht noch das so genannte Hotel Silber in der Dorotheenstraße, während der NS-Zeit die Gestapo-Zentrale für Württemberg und Hohenzollern.

Es sind jetzt fast genau sechs Jahren her, dass bekannt wurde, dass das Gebäude einem Büro-, Handels- und Hotelkomplex, damals noch "Da-Vinci-Projekt" genannt, weichen soll. Im Oktober 2008 gründete sich darauf die Initiative <link http: hotel-silber.de _blank>"Lern- und Gedenkort Hotel-Silber", die nicht nur den Abriss verhindern, sondern auch die Einrichtung eines integrierten Gedenk-, Lern-, Dokumentations- und Forschungsort anregen wollte. Sie hatte Erfolg, nicht zuletzt, weil sie beharrlich Gemeinderat und Landtag bearbeitete und dabei die jeweiligen SPD-Fraktionen auf ihre Seite ziehen konnte. Kurz nach der Landtagswahl im März 2011 erklärte SPD-Landeschef und späterer Superminister Nils Schmid die Einrichtung eines Gedenkorts zur Chefsache, schon im Juni 2011 war der Abriss endgültig abgeblasen. An den Planungen für die kommende Nutzung des Gebäudes war und ist die Initiative im Rahmen eines regelmäßig tagenden Runden Tisches, der als Steuerungsgruppe des Projekts dienen soll, gemeinsam mit Vertretern von Land und Stadt beteiligt. 2017 soll der Gedenkort geöffnet werden.

Ein Erfolg, den die Hotel-Silber-Initiative am kommenden Samstag, den 13. September, mit einem Aktionstag unter dem Motto "Demokratie braucht Erinnerung" auf dem Stauffenbergplatz feiern will. Als "eine Art Bergfest" bezeichnet es Harald Stingele, Sprecher der Initiative, "denn wir sind im Abschluss des Grobkonzepts". Über 20 Organisationen sind in der Initiative vereinigt, sie wollen am Aktionstag zeigen, so Stingele, "was sie zur Gestaltung beitragen und warum gut verankerte Bürgerbeteiligung Grundbedingung für das Gelingen des Projektes ist." Das kann auch als dezenter Hinweis darauf verstanden werden, dass es auch nach dem Abriss-Aus immer wieder ein zähes Ringen bedeutete, den bürgerschaftlichen Kräften eine Stimme bei den Planungen zu verschaffen. Und dass die Entwicklung des Projekts immer wieder nach dem Prinzip "Zwei Schritt vor, einen zurück" vonstatten zu gehen scheint.

65 000 Euro zu teuer: Auch die Grünen stimmen gegen das große Konzept

Denn bei aller Freude um das Erreichte, in den vergangenen drei Jahren kam es immer wieder zu Verzögerungen und Rückschlägen. Reichlich absurd muten dabei die Entwicklungen im letzten Jahr an: Basierend auf einem Eckpunktepapier der Initiative wurde in Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte erst eine Konzeption für die Nutzung des Hauses entwickelt, die die Einbeziehung von vier Etagen der linken Gebäudehälfte, vom Untergeschoss bis zum zweiten Stock vorschlug. Das Konzept wurde am 7. Mai bei einem runden Tisch auch von Vertretern von Stadt und Land einhellig begrüßt, nur um am 25. Juli wieder gekippt zu werden - da einigten sich Stadt und Land auf einen verringerten Umfang von nur drei Etagen, ohne den zweiten Stock. Für die Initiative besonders unbefriedigend, weil sich hier die Büros der Gestapo-Chefs befanden. 

Grund für den Rückzieher: die Kosten, die vor allem der Stadt zu hoch waren. Jährlich 500 000 Euro Betriebskosten und 250 000 Euro Miete sind für drei Etagen veranschlagt, Stadt und Land sollten die Kosten ursprünglich paritätisch übernehmen - jeweils 375 000 Euro also. Die zusätzliche Nutzung des zweiten Stocks hätte mit 190 000 Euro Miet- und Betriebskosten zu Buche geschlagen. Überraschend erklärte sich dann das Land Anfang Dezember, die kompletten Mietkosten von einer Viertel Million alleine zu übernehmen, was nicht nur Vertreter der Initiative als Entgegenkommen zugunsten einer größeren Lösung werteten. Die Stadt hätte so durch die frei werden 125 000 Euro nur noch 65 000 Euro für das ursprüngliche große Konzept zusätzlich berappen müssen. Allein, es half nichts. Bei der dritten Haushaltslesung am 20. Dezember 2013 sprach sich im Stuttgarter Gemeinderat eine knappe Mehrheit aus Grünen, CDU, FDP und Freien Wählern gegen die Stimmen von SPD und SÖS/Linke klar für die abgespeckte Lösung aus. 

Dass hier doch noch nicht das letzte Wort gesprochen sein könnte, nährte indes eine Aussage von Oberbürgermeister Fritz Kuhn bei besagter Haushaltslesung: das Land habe zugesichert, "nur kurzfristige Mietverträge einzugehen", weswegen man den zweiten Stock "als Option weiterbetreiben" könne. Auf Nachfrage wurde der OB noch konkreter: "Wir haben die Auskunft, die werden das für zwei Jahre vermieten. Ganz präzise und klar abgesichert." Ob abgesehen davon ein Mieter nach zwei Jahren eine Fortsetzung wünscht, wenn er wie in diesem Fall die authentische Raumstruktur nicht verändern darf, kann man natürlich auch skeptisch sehen. Denkbar also, dass die Raumfrage in zwei Jahren wieder zur Debatte steht. Was das für die Nutzung des Gebäudes bedeutet, ist eine andere Frage - denn schon im Januar hat das Haus der Geschichte ein modifiziertes Konzept für den abgespeckten Gedenkort präsentiert. Müsste dann noch einmal neu geplant werden?

Sorgen für Irritationen: Alleingänge und plötzlich auftauchende Experten

Doch nicht nur Stadt und Land sorgen für gelegentliche Irritationen, auch zwischen der Initiative und dem Haus der Geschichte (HdG), das für die Konzeption der Dauerausstellung zuständig ist, knirscht es immer wieder in der Frage der Mitwirkung. Zuletzt Ende Juli, als HdG-Leiter Thomas Schnabel auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit Innenminister Reinhold Gall eine Kooperationsvereinbarung mit der Polizei präsentierte, ohne die Initiative darüber informiert zu haben. Pikant auch, weil die Aufarbeitung von Kontinuitäten in der Geschichte der Polizei, die nicht während, sondern auch vor und nach der NS-Zeit im Hotel Silber residierte, ursprünglich eine Idee und Forderung der Initiative ist. "Das haben wir schon vor zwei Jahren gefordert", sagt Stingele, "dann hat Herr Schnabel den Ball aufgegriffen, uns aber nicht eingeladen."

Zu den bisweilen zäh um Positionen ringenden Akteuren von Stadt und Land gesellt sich mittlerweile ein weiterer, dessen unvermitteltes Auftauchen etwas an einen deus ex machina erinnert: Drei bundesweit renommierte Akademiker, die Professoren Micha Brumlik, Hans Ulrich Gumbrecht und Ernst Ulrich von Weizsäcker schickten Mitte Juni den Mitgliedern des Landtages und des Gemeinderats ein Schreiben im Namen eines 170-köpfigen "Expertenclusters", das internationale Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen umfasst. Reichlich namhafte Koryphäen sind darunter, etwa die Holocaust-Experten Christopher Browning und Peter Longerich, die Sozialhistorikerin Ute Frevert und die Literatur- und Kulturwissenschaftler Aleida Assmann. In dem Schreiben bekundeten Brumlik und seine Kollegen die Bereitschaft des Expertenclusters, die Entwicklung und Gestaltung eines Erinnerungs- und Bildungsortes "mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung zu unterstützen", und forderten die beiden Parlamente auf, diese Bereitschaft anzunehmen.

Der Kern der beteiligten Wissenschaftler war bereits im Sommer 2010 bei einem von der Stadt organisierten Expertenhearing zum Hotel Silber zusammengetroffen. Erstmals in Erscheinung trat das Expertencluster im Sommer 2012 mit einem ähnlichen Schreiben wie dem jetzigen, damals wie jetzt war die Resonanz eher verhalten. Lediglich die nicht mehr dem neuen Gemeinderat angehörende Linken-Stadträtin Ulrike Küster und eine parlamentarische Beraterin der Grünen-Landtagsfraktion antworteten auf das Schreiben. Brumlik findet die spärlichen Reaktionen "beschämend für eine Landeshauptstadt", auf Kontext-Nachfrage bei den Fraktionen indes wurde deutlich, dass sich viele schlicht nicht für zuständig halten - was nicht ganz falsch ist, denn mit dem Runden Tisch gibt es bereits ein Gremium, in dem auch Vertreter von Stadt und Land bei der Entwicklung des Gedenkortes mitwirken. 

Auch Stingele findet es etwas kritisch, "dass das Expertencluster die Realitäten des Projekts ignoriert, dass es zudem die Initiative völlig ignoriert und nur Land und Stadt anspricht." Immerhin gebe es bereits viele lokale Expertisen und ein Autorenteam aus dem Umfeld der Initiative, das die Geschichte der Gestapo im Land erforscht habe. Unklar sei in dem Schreiben des Clusters überdies, was der konkrete Beitrag der Wissenschaftler und wo die Andockstelle an das Projekt sein könne.

Trotzdem kann Stingele der Experteninitiative auch viel Positives abgewinnen: "Ich glaube, dass es dem Projekt gut täte, wenn ein paar Leute beteiligt wären die einen Namen, ein wissenschaftliches Standing haben." Wenn schon das Angebot da sei, könnte man den angebotenen Sachverstand doch nutzen - etwa in einem wissenschaftlichen Beirat des Gedenkorts. Auch dies allerdings ein strittiger Punkt: Die Initiative wolle den Beirat, das Haus der Geschichte und das Wissenschaftsministerium dagegen nicht. Immerhin, ob und wie das Expertencluster einbezogen werden könnte, soll beim nächsten Runden Tisch besprochen werden - Termin noch unklar. 

Aktionstag "Demokratie braucht Erinnerung", Samstag, 13.9., 15 -18 Uhr, Stauffenbergplatz, Stuttgart-Mitte.
Mehr dazu <link http: hotel-silber.de _blank>finden Sie hier.  


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2 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 12.09.2014
    Antworten
    @Otto:
    ja würde mich auch interessieren wer an wen und warum GEld zahlt!!
    "Ab 2008 war das vom Land Baden-Württemberg als Eigentümer genutzte Gebäude vom Abriss bedroht, weil das gesamte Areal umgestaltet werden sollte"

    Leider ist dieser Stil typisch für den Graben Volk/Bürger und…
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