KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

IBA'27-Chef Andreas Hofer

Häuser für 200 Jahre

IBA'27-Chef Andreas Hofer: Häuser für 200 Jahre
|

Datum:

Am Freitag beginnt das IBA-Festival der Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart 2027. Angesichts der Baupreissteigerungen wächst die Sorge, wie viele Projekte überhaupt fertig werden. IBA-Intendant Andreas Hofer gibt Auskunft.

Herr Hofer, vom 23. Juni an ist einen Monat lang IBA-Festival. Ist Ihnen nach der Ankündigung der EnBW, am Stöckach zu pausieren und bis 2027 nicht einmal den ersten Bauabschnitt fertig zu haben, noch zum Feiern zumute?

Man hat lange um den Begriff gerungen: Pausieren tauchte irgendwann einmal auf. Es ist tatsächlich so, dass die Planer genau gleich weiterplanen. Keine Budgets wurden gestrichen. Die Verhandlungen mit der Stadt über die Bebauungspläne laufen weiter, es gibt einen Jour fixe alle zwei Wochen. Eigentlich hat sich nichts geändert.

Das heißt, nach derzeitigem Stand würde das Projekt realisiert werden?

Nein, weil die Rechnung betriebswirtschaftlich nicht aufgeht. Das ist bei ganz vielen Projekten so. Ein verantwortungsvoller Bauträger muss sich im Moment die Frage stellen, ob er sich seine Projekte noch leisten kann. Im Windschatten der Nullzinspolitik hat man einfach nicht gemerkt, dass die Baupreise seit 2003 um genau 101,4 Prozent gestiegen sind. Mit der jetzigen, sehr schnellen Zinssteigerung geht keine Rechnung mehr auf, sonst wäre sie unseriös gewesen.

Aber das heißt doch, dass Sie im Moment gar nicht sagen können, ob die IBA-Projekte bis 2027 alle fertig werden.

Das hätte ich Ihnen auch am ersten Tag 2018 schon gesagt. Bei einem Immobilienprojekt kannst du frühestens dann sagen, dass es stattfindet, wenn da eine tiefe Baugrube ist. Allerdings mache ich mir weniger um die IBA als um dieses Land Sorgen. Im Moment ist Wohnungsbau nicht darstellbar.

Sie haben mit der Architektenkammer einen Aufruf veröffentlicht: "Wohnungsbau jetzt – sozial und zukunftsfähig!" Was fordern Sie?

Unsere Aussage war: Ihr müsst wirklich aufpassen, dass ihr die Bauwirtschaft nicht ins Loch stoßt. Ohne Bauwirtschaft kann ich auch keine Wohnungen bauen. Im Moment braucht es sehr wahrscheinlich Überbrückungsdarlehen. Und dann muss man sich glaube ich sehr grundsätzlich überlegen, wie es mit dem Wohnungsbau weitergeht.

Wie kommt es zu dieser Situation?

Es gibt da ein Zusammentreffen von verschiedenen Faktoren, die teilweise bis 2008 zurückreichen.

Die Finanzkrise?

Die hat uns die Nullzinspolitik beschert, Milliardensummen, die irgendwie angelegt werden wollten. Wenn Zinsen sinken, kann man sich mehr Grund leisten. Das heißt, der Bodenpreis steigt. Das betrifft die Genossenschaften weniger, die auf Grundstücken bauen, die schon seit vielen Jahren in ihrem Besitz sind. Mein Hypothese ist: Eine Stadt braucht vielleicht 30 Prozent kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau, der diesen Rendite- und Spekulationszyklen entzogen ist.

Der Schweizer Architekt und Genossenschaftsgründer Andreas Hofer, hier beim Interview mit Dietrich Heißenbüttel, ist Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA'27). Die Entwicklung, die er mit dem Projekt Hardturm und der Genossenschaft Kraftwerk1 Ende der 1990er-Jahre angestoßen hat, hat in Zürich seither zum Bau von 10.000 Wohnungen geführt. Fast alle derzeit 17 IBA-Projekte sind Wohnprojekte, zumeist in gemischten, auch gewerblich genutzten Gebieten. Wie viele davon bis 2027 fertig werden, steht angesichts der derzeitigen Baupreissteigerungen in den Sternen.  (hei)

Sie sagen, Wohnungsbau lässt sich nicht mehr wirtschaftlich betreiben?

Es gibt eine relativ gute Studie des Pestel Instituts, die zeigt, dass die Baupreise bis 2020 kontinuierlich, dann aber extrem stark gestiegen sind. Dazu kommen weitere 30 Prozent Kostensteigerungen, weil wir gleichzeitig die Standards hochgeschraubt haben. Im Moment sind wir bei 4.000 Euro für die Erstellung eines Quadratmeters Wohnbaufläche. Wenn das mit fünf Prozent Bruttorendite verzinst wird, sind wir bei 200 Euro pro Jahr. Darunter darfst du nicht gehen. Das bedeutet, die Miete liegt eher bei 25 als bei 8,50 Euro pro Quadratmeter. Das hat nichts mit Spekulation oder Super-Renditen zu tun, das ist einfach die Kostenmiete.

Aber das kann sich dann keiner mehr leisten. Schon jetzt geben viele mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Das heißt, wenn die Politik nicht reagiert, landen die Leute auf der Straße?

Das ist meine Vermutung auch. Ich weiß nicht genau wie, aber ich gehe davon aus, dass diese Situation zum Handeln zwingt.

In Esslingen sollen laut Gemeinderatsbeschluss Wohnprojekte gefördert werden, wenn sie, bei einer Bindungsdauer von 30 Jahren, zu 50 Prozent Sozialwohnungen enthalten.

Das kannst du ganz einfach vergessen. Mir hat kürzlich einer aus der Bauwirtschaft gesagt: Beim besten Willen, ich sehe diese Luxuswohnungen nicht, mit denen ich so viel Geld verdienen kann, dass ich den Rest damit finanziere.

In Berlin hat gerade eine Ausstellung eröffnet mit der Aussage: Alle sechs Minuten verschwindet eine Sozialwohnung vom Markt.

Wir haben da die Puffer weggeräumt. Das hat 1990 begonnen mit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Dann hat man die Sozialwohnungsbestände von vier Millionen auf eine Million runtergefahren. Wir haben bis vor Kurzem ein Sozialwohnungssystem gehabt, das jetzt einfach nicht mehr funktioniert. Da kann der Gemeinderat noch lange beschließen, dass er jetzt 50 Prozent von dem will, was nicht geht.

Wie kommt man da raus?

Ich meine, es hat sich bestätigt, dass man wieder über relativ große Strukturen nachdenken sollte. Ein Stellplatz kostet mittlerweile 60.000 Euro. Die Investoren kämpfen für tiefere Stellplatzschlüssel, weil sie sehen, dass sie das nicht mehr finanzieren können. Aber bitte nicht Ökologie gegen Ökonomie ausspielen. Das deutsche Haus hat mittlerweile eine Lebensdauer von 36 Jahren. Weil so viel Technik drin ist, die relativ schnell kaputtgeht.

Thomas Auer vom Büro Transsolar sagt, dass Altbauten um 1900 oft besser waren als heutige High-Tech-Gebäude.

Das ist die Richtung, in die es gehen sollte. Zirkuläres Bauen. Gebäude zu urbanen Minen machen, also alle Materialien kennzeichnen und wiederverwenden. Wenn es uns gelingen würde, die Lebensdauer der Gebäude in Richtung 200 Jahre zu drücken und am Schluss sogar noch Werte vorhanden sind – also das Material –, dann müsste man sich ja überlegen, ob es Sinn macht, die Immobilie mit irgendeinem amerikanischen Investmentfonds auf 30 Jahre abzuschreiben und sie dann abzureißen.

Aber zunächst wird ein solches Haus nicht billiger.

Nein. Aber es kann ja auch doppelt so teuer sein, weil es länger steht.

Was bedeutet das für die Finanzierung?

Wenn die Bank auch daran glaubt, kann sie ja völlig anders rechnen.

Hat sich diese Idee schon rumgesprochen?

Auf der ökologischen Ebene wird das schon diskutiert, auf der ökonomischen weniger. Abgesehen davon, dass es schon immer so war, von den Römern bis zu den Trümmerfrauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Mörtel von den Ziegeln runtergeklopft haben. Wenn du diesen Stein da selber meißeln musst, dann überlegst du dir dreimal, ob du ihn neu bestellst.

Die IBA hat eine Laufzeit von zehn Jahren. Im Baugebiet Neckarpark ist nach zwanzig Jahren noch immer nichts fertig.

Die Zeit bis zum Einzug steigt seit Jahren kontinuierlich. Das kostet auch.

Woran liegt das?

Das liegt schon an den vielen Vorschriften. Und vielleicht auch an einer fehlenden Stadtentwicklungspolitik.

Beim IBA-Empfangsgebäude am Weißenhof hat es fünf Jahre gedauert, bis auch nur ein Ideenwettbewerb zustande kam.

Das ist auch schwierig. Wir sind im Weltkulturerbe-Kontext.

Das bedeutet, es reden viele mit bis hin zum Unesco-Gremium ICOMOS. Oder liegt es daran, dass sich Stadt und Land, denen je eine Hälfte des vorgesehenen Platzes vor der Kunstakademie gehört, einigen mussten?

Das ist das, was mich ein bisschen erschüttert. Es ist eine hochkomplexe Situation. Aber dass man dann nicht sagt: Liebe Leute, jetzt machen wir IBA und setzen uns über die üblichen Prozeduren hinweg, die uns hier nur aufhalten, das verstehe ich nicht.

Wie ist denn der Stand beim Leonhardsviertel?

Ich weiß es nicht. Fürchterlich. Du diskutierst etwas, relativ sachlich. Dann verschwindet das, niemand hört mehr was in den nächsten drei bis sechs Monaten, und dann taucht es plötzlich als Gemeinderatsvorlage wieder auf, bei der du dir überlegst: Soll ich diese Kröte jetzt schlucken? Und wenn ich sie nicht schlucke, dann machen wir die gleiche Runde nochmal. Das verstehen ja auch die Leute nicht, die in der Leonhardsvorstadt vor drei Jahren mit viel Engagement Ideen entwickelt haben. Das verschwindet in diesem Amts-Schwarzen-Loch. Ich verstehe alles: parlamentarisch und prozesshaft, aber das darf nicht so lange dauern.

Kennen Sie Kommunen, wo das besser läuft?

Ich darf jetzt nicht unfair sein: Die Stadt muss ja mit uns. Die anderen Kommunen, außerhalb von Stuttgart, das sind die, die wollen.

Handelt es sich da vorwiegend um kommunale Projekte?

In Backnang sind es drei, vier große, private Grundeigentümer. Aber durch die IBA haben wir die an einen Tisch gekriegt. In Winnenden sind es 40 Grundeigentümer. Da hat die Stadt gesagt, wir entwickeln jetzt dieses Gebiet. Auch in Fellbach sind es alles Privateigentümer.

Wie ist es in Nürtingen? Oder in Salach?

In Nürtingen hat die Stadt die Grundstücke gekauft. Die Bahnstadt Ost auf der Westseite des Bahnhofs hat sie nicht geschafft. Salach hat ein Grundstück gekauft, aber drei Viertel der Fläche sind private Investoren. Das läuft immer über die Schaffung von Baurecht: Wenn der Gemeinderat nicht mitmacht, können die Privateigentümer nicht bauen. Was wir jetzt überall haben, ist so ziemlich die komplexeste Konstellation, die man sich vorstellen kann: Mehrere Grundeigentümer, häufig schon zwanzig Jahre im Streit, machen ein riesiges Projekt für die jeweilige Kommune. In Salach gibt es so etwas einmal in fünfhundert Jahren. Die Ämter sind dafür nicht ausgestattet. Ich glaube, deshalb kommen die auch zur IBA, denn sie haben gesehen: Vielleicht bringt dieses Instrument einen Schwung, unterstützt uns.

In all diesen Gebieten gibt es eine Mischung von Wohnen und Arbeiten. Dafür gibt es erst seit Kurzem einen neuen Typus von Baugebiet?

Das urbane Gebiet. Das kommt aus einer zwanzigjährigen Diskussion über die europäische Stadt, die Leipzig Charta. Das ist ziemlich radikal.

Inwiefern?

Die Ausnutzung des Grundstücks hat sich fast verdoppelt, die Abstände zwischen den Gebäuden dürfen viel kleiner sein. Es gibt einen Zwang zur Nutzungsmischung mit einem Anteil von 20 oder 30 Prozent Nicht-Wohnen.

Und da fallen fast alle IBA-Projekte darunter?

Fast alle, ja. Aber: Bis jetzt hat das noch niemand gebaut in Deutschland. Alle haben panische Angst, dass Klagen kommen, etwa wegen Lärm. Und da muss ich dann auch sagen, wenn es uns jetzt gelingt, das in die Welt zu bringen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle etwas scheitert, ist auch etwas erreicht.

Am Inneren Nordbahnhof dauert es auch länger. Dass da auch noch die Opern-Interimsspielstätte hin soll, macht es doch auch nicht gerade einfacher, oder?

Das Opern-Interim? Das finde ich super! Da gibt es endlich mal einen, der weiß, was er braucht und was er will. Das ist ja auch Kreativindustrie. Wenn die Kreativindustrie gesagt hätte, wir brauchen jetzt 20.000 Quadratmeter Werkstätten, wäre das schwieriger gewesen.

Das Interim wird aber auch nicht 2027 fertig sein?

Die rechnen im Moment leider mit 2028.


Das erste IBA-Festival beginnt am 23. Juni und läuft einen Monat. Hauptveranstaltungsort ist die Festivalzentrale in der Königstraße 1c in Stuttgart-Mitte. An drei Projektbühnen in Backnang, Fellbach und Stuttgart-Rot sowie an zahlreichen weiteren Standorten gibt es insgesamt 15 Ausstellungen und eine Fülle von Veranstaltungen zu Themen rund um die Bauausstellung. Programm hier.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 22.06.2023
    Antworten
    „Kennen Sie Kommunen, wo das besser läuft?
    Ich darf jetzt nicht unfair sein: Die Stadt muss ja mit uns. Die anderen Kommunen, außerhalb von Stuttgart, das sind die, die wollen.“
    Oha, wo ist Ihr Mumm geblieben [1] – es muss ja nicht gleich der „Doppel-Wumms“ sein, es genügt …
    IHR PROFIL:
    Sie…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!