Seit 2010 befasst sich die deutsche Justiz mit illegalen Rüstungsexporten des Oberndorfer Waffenherstellers Heckler & Koch (HK). Das Unternehmen hatte in den Nuller-Jahren G36-Gewehre und anderes Material in vier mexikanische Unruheprovinzen geliefert, obwohl es dafür Exportverbote gab. Der Rüstungskritiker Jürgen Grässlin und der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer hatten jahrelang ermittelt und Druck gemacht. Nach immer wieder hinausgezögerten Ermittlungen kam es tatsächlich zu einem langen Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht, der im Februar 2019 mit einem Urteil endete. Zwei subalterne HK-Beschäftigte bekamen Haftstrafen auf Bewährung, die Führungskräfte wurden freigesprochen. Zudem ordnete das Gericht an, dass die gesamten Verkaufserlöse, die HK mit den Waffenexporten gemacht hatte, vom Staat eingezogen werden. Schließlich stamme die Summe von etwa 3,7 Millionen Euro aus illegalen Geschäften, wie die Stuttgarter Richter feststellten.
Die Freisprüche für die ehemaligen Führungskräfte stießen damals bei vielen Beobachtern auf Unverständnis. Unter den Angeklagten war auch ein ehemaliger Rottweiler Landgerichtspräsident, für den die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung gefordert hatte, verbunden mit einer Geldzahlung von 200.000 Euro. Zur Empörung vieler Beobachter verzichtete die Staatsanwaltschaft überraschend auf Revision, obwohl sie nach der Urteilsverkündung das Gegenteil angekündigt hatte (Kontext berichtete hier und hier).
Verfahren noch nicht vollständig abgeschlossen
HK fand sich allerdings ungerecht behandelt und bezeichnete das Urteil in puncto Einziehung der Verkaufserlöse als "nicht nachvollziehbar", ging selbst in Revision, um die 3,7 Millionen Euro nicht herausrücken zu müssen. Daraufhin hat der Bundesgerichtshof (BGH) zwei Mal in der Sache verhandelt: Zunächst ging es um über 3,1 Millionen, dann um etwa 690.000 Euro. Die kleinere Summe stammte aus Verkäufen, bei denen die zugrunde liegenden Taten im juristischen Sinne bereits verjährt waren. Beide Male gab es eine Klatsche für den Rüstungsproduzenten. In zwei Urteilen von 2021 und 2024 entschied der BGH, dass die gesamte Summe der Staatskasse zufließen muss.
Also eigentlich ein klarer Fall: zwei rechtskräftige Urteile, jeder Normalsterbliche würde jetzt den Geldbeutel zücken und zahlen. Nicht so die Oberndorfer Waffenschmiede: "Zahlungen wurden bislang nicht geleistet, weil zumindest bis zum Ausgang des Verfahrens keine Verpflichtung hierzu besteht", teilt der Pressesprecher von HK, Alexander Schuster, gegenüber Kontext mit. "Das Verfahren ist noch nicht vollständig abgeschlossen und befindet sich derzeit in einem weiteren, gesetzlich vorgesehenen Verfahrensabschnitt vor dem LG Stuttgart." Dessen Entscheidung stehe noch aus, schreibt Schuster.
Wie bitte – das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen? Eine Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart bringt ein wenig Klarheit in die Geschichte: Die Pressesprecherin bestätigt, dass bisher noch keine Zahlung erfolgt sei, weil die "Einzugsbeteiligte", sprich Heckler & Koch, "im Juli 2024 den Antrag gestellt hat, von der Vollstreckung abzusehen (§ 459g Abs. 5 S. 1 StPO)".
Dieser Paragraf besagt, dass eine Vollstreckung auf Anordnung des Gerichts unterbleiben kann, wenn sie "unverhältnismäßig" wäre. Weil HK also diesen Antrag gestellt habe, habe die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Akte im September 2024 dem Landgericht Stuttgart als "Gericht des ersten Rechtszugs zur Entscheidung" vorgelegt, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Kontext erläutert. "Nach hiesigem Kenntnisstand hat das Gericht bislang nicht über den Antrag entschieden."
Zeithorizont bleibt unklar
Eine Anfrage an das Landgericht Stuttgart beantwortet der Mediensprecher in Strafsachen, Richter Daniel Huss. Er bestätigt, dass "gegen die nach vollständiger Rechtskraft der Entscheidung eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft im Juli 2024 ein Antrag nach Paragraf 459g Abs. 5 Satz1 StPO beim Landgericht Stuttgart eingegangen ist und hier geprüft wird". Dieser Antrag beziehe sich auf die Gesamtsumme. Also 3,7 Millionen Euro. Wann das Gericht über den Antrag entscheide, darüber kann Huss "keine Auskunft" geben.
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