Baden-Württembergs damaliger Justizminister Ulrich Goll (FDP) würdigte den scheidenden Landgerichtspräsidenten Beyerle einst als "menschlich immer geradlinigen Richter". Diesen Mann, der von Berufs wegen die Rechtschaffenheit in Person verkörperte, kaufte der Oberndorfer Waffenhersteller Heckler & Koch (HK) zum 1. Januar 2006 als Lobbyisten ein.
Als so genannter Behördenbeauftragter besprach er fortan mit dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskanzleramt und dem Bundesverteidigungsministerium die geplanten Waffenexporte von HK. Dem pensionierten Staatsdiener wurde es zur "Herzensangelegenheit, HK als seriöses Unternehmen bei den Behörden darzustellen", so Beyerle vor Gericht. Und er machte offenbar einen guten Job. Denn am 25. Juli 2007 stieg er zum Geschäftsführer und Ausfuhrverantwortlichen der Rüstungsschmiede auf.
Das seriöse Image von Beyerle wurde jedoch in Mitleidenschaft gezogen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen "Beyerle und andere". Am 21. Dezember 2010 durchsuchte das Zollkriminalamt die Firmenräume von HK. Die Ermittlungen zogen sich. Erst im Oktober 2015 wurde Anklage erhoben. Ein gutes halbes Jahr verging, ehe das Verfahren förmlich eröffnet wurde. Es vergingen weitere zwei Jahre bis zum Prozessbeginn am 15. Mai 2018.
Davon profitieren Beyerle und andere Angeklagte nun. Die Staatsanwaltschaft sagte in ihrem Plädoyer: "Die lange Verfahrensdauer und auch die lange zurückliegenden Taten, der Tatzeitraum liegt teils mehr als zehn Jahre zurück, ist strafmildernd zu berücksichtigen."
Ein Jahr und zehn Monate beantragt
Für Beyerle hat sie trotzdem noch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten gefordert, ausgesetzt zur Bewährung und verbunden mit einer Geldauflage in Höhe von 200 000 Euro. Begründung: "Dies orientiert sich an dem Jahresgehalt, das der Angeklagte bei HK als Geschäftsführer erhalten hatte, beziehungsweise steht das auch in Relation zur Abfindung, die er erhalten hat." Da seien Beträge "in Höhe von bis zu 400 000 Euro" thematisiert worden. Beyerle hatte in der Hauptverhandlung betont: "Mir ging es nicht in erster Linie ums Geldverdienen, sondern darum, noch eine halbwegs sinnvolle Tätigkeit zu machen und nicht mit dem Stöckchen auf dem Rentnerbänkchen zu sitzen." Stattdessen sitzt er jetzt auf dem Anklagebänkchen.
Die Staatsanwaltschaft wirft Beyerle vor, dass er sich eines "Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz durch ungenehmigte Ausfuhren in vier Fällen strafbar gemacht" habe. Zwei der Taten seien hinsichtlich der außenwirtschaftsrechtlichen Verstöße aber inzwischen verjährt.
Bei den Taten, welche die Staatsanwaltschaft Beyerle zur Last legt, sind Kriegswaffen im Wert von mehr als drei Millionen Euro nach Mexiko geliefert worden und dort in Bundesstaaten gelangt, die dem Auswärtigen Amt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens problematisch erschienen. Aufgrund der dortigen Menschenrechtssituation.
Das mexikanische Verteidigungsministerium hatte sich in so genannten Endverbleibserklärungen verpflichtet, nur Bundesstaaten zu beliefern, die aus Sicht des Auswärtigen Amtes unproblematisch waren. Diese Endverbleibserklärungen hat HK im Genehmigungsverfahren dem diesbezüglich federführenden Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt. Und in diesem Kontext kommt Lobbyist Beyerle ins Spiel.
Der pensionierte Beamte pflegte die Kontakte zu den Genehmigungsbeamten "nahezu ausschließlich mündlich". Teilweise sollen diese Gespräche nur eine Stunde gedauert haben. Eine Staatsanwältin fragte ihn, warum er deshalb extra nach Berlin geflogen sei und das nicht fernmündlich erledigt habe. Der Angeklagte antwortete: "Manchmal kriegt man auch einen Hinweis, den man telefonisch nicht kriegen würde."
Die Bundesregierung als Black Box
In der Folge ist es kaum nachweisbar, was besprochen wurde. Das scheint ein Handlungsprinzip der Bundesregierung zu sein, wenn es um potenziell Tod bringende Waffenexporte geht. Ein ehemals zuständiger Referatsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums sagte als Zeuge, dass es im Bundessicherheitsrat beziehungsweise in dessen vorbereitendem Ausschuss keine Wortprotokolle gebe. Diese Gremien entscheiden in besonders heiklen Fällen über die Genehmigung, wenn sich insbesondere Bundeswirtschaftsministerium und Auswärtiges Amt auf der "Arbeitsebene" nicht auf ein positives Votum verständigen können. Im Bundessicherheitsrat sitzen die Bundeskanzlerin und die zuständigen Minister – also beispielsweise der Wirtschafts-, Außen- und Verteidigungsminister.
HK-Behördenbeauftragter Beyerle hat darauf hingewirkt, dass Genehmigungsanträge erst gar nicht in diese Gremien gelangten. Denn das kostete Zeit. Und es war mit der "absoluten Ungewissheit" verbunden, ob die Genehmigung erteilt werde, wie der Angeklagte sagte. Deshalb erkundigte er sich regelmäßig nach dem Stand der Genehmigungsverfahren und nach möglichen Genehmigungshürden, um diese gegebenenfalls aus dem Weg räumen zu können.
Intransparente Prozessführung
Was der Rüstungs-Lobbyist und die Vertreter der Bundesregierung besprochen haben, ist für die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung weitgehend verborgen geblieben.
Problem Nummer 1: Dokumentiert und damit nachweisbar ist praktisch nur das, was Behördenbeauftragter Beyerle in Vermerken oder E-Mails verschriftlicht hat. Die Staatsanwaltschaft zitierte in ihrem Plädoyer aus einem von Beyerle verfassten Dokument mit dem Betreff "Exportgenehmigungsrisiko", in dem er die Genehmigungsaussichten für Waffenlieferungen nach Mexiko als positiv beurteilt habe. Wörtlich heiße es aber, dass "Lieferungen (End-Use) in die Provinzen Oaxaca, Guerrero, Chiapas und Chihuahua ausgenommen sind (Menschenrechtsverletzungen)". Auf dem Notizzettel einer ebenfalls angeklagten HK-Sachbearbeiterin hieß es: "R(ücksprache) H(err) Beyerle [...] Guerrero ... muss raus".
Problem Nummer 2: Es wurden nur einzelne Vermerke und E-Mails von Beyerle in der Hauptverhandlung verlesen oder teilweise verlesen. Stattdessen hat die Wirtschaftsstrafkammer sich für eine intransparente Prozessführung entschieden, indem sie gleich mehrere hundert Dokumente im so genannten Selbstleseverfahren eingeführt hat – so, dass die Zuschauer im Gerichtssaal nichts davon mitbekommen. Darunter waren offenbar auch die wichtigsten Beweismittel. Denn fast alle Prozessbeteiligten beriefen sich in ihren Plädoyers auf die "Selbstleseordner". So blieb unter anderem im Dunkeln, was in den vielfach erwähnten Protokollen der "Management-Meetings" von HK steht.
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