KONTEXT:Wochenzeitung
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My working class hero

My working class hero
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Journalisten wie er werden immer seltener. Sorgfältig arbeitend, sozial engagiert, links im Herzen, aber nicht dogmatisch. Das war Stefan Geiger, ein Solitär bei der "Stuttgarter Zeitung". Unserem Autor ist es wichtig, auch noch an den Betriebsratsvorsitzenden zu erinnern, mit dem er jahrzehntelang zusammen gearbeitet hat. Ein Nachruf.

Wenn in der Zeche Ewald in Oer-Erkenschwick abends die Marken umgekehrt lagen, wusste der Kumpel das Zeichen seines Gewerkschafters klar zu deuten: "Morgen wird gestreikt". Keine Diskussion war nötig. Die Welt war schwarz-weiß. Schwarz war die Kohle und die war das Leben. Und der Lohn konnte den Kohlebaronen nur mit Solidarität und Streik abgetrotzt werden. Geschlossenheit war die Parole.

Für Stefan Geiger, ein beharrlicher Kumpel im Wortbergwerk der "Stuttgarter Zeitung", war die Welt nie schwarz-weiß. Er bestand auf den Grautönen der Welt, nur deren korrekte Beschreibung brachte ein wahrhaftes Bild von Gesellschaft und Welt. Aber auch hier musste die Veröffentlichung des wahren Wortes und der gerechte Lohn dem Verleger täglich abgetrotzt werden. Mit Solidarität und Streik und Beharrlichkeit.

Aber wie anders lief dies hier ab. Von den mehr als hundert Journalistinnen und Journalisten musste jede und jeder von diesem Kampf einzeln überzeugt werden. Und wenn nur die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen gewerkschaftlich organisiert war, so war es dennoch Stefan Geigers Wille und Demokratieverständnis: Erst wenn alle zugestimmt haben, dann streiken wir.

Der Gewerkschaftssekretär kam in die Redaktion. Besprechung im kleinen Kreis der Vertrauensleute. Stefan Geiger war viele Jahr der gewerkschaftliche Streikbeauftragte in seinem Konzern, Mitglied in der Tarifkommission des Landes. Auf ihn hörten die Kolleginnen und Kollegen. Wenn ihn die Forderungen seiner Gewerkschaft überzeugt hatten, dann begann er seine Überzeugungsarbeit.

Zuvor aber forderte er von seiner Gewerkschaft absolute Klarheit über das Ziel, die Taktik, die Strategie und Ehrlichkeit. Diese Praxis war dann auch nie eine Einbahnstraße. Viele Jahrzehnte gelang es uns, ein tiefes Vertrauensverhältnis bis zur Freundschaft zu entwickeln. Die Bereitschaft, direkte Kritik anzunehmen, war eine immer geforderte Voraussetzung.

Und wenn der Streik in vierzehn Tagen beginnen sollte, begann Stefan Geiger seine persönlichen Gespräche in der Redaktion. Alle wurden in die Diskussion gezwungen, zur Stellungnahme aufgefordert. Und der verschiedenen Meinungen und Richtungen waren in den Redaktionen viele, zumal, als es <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien oede-landschaften-3579.html _blank internal-link>noch zwei Zeitungen und unterschiedliche Kulturen im Stuttgarter Pressehaus gab.

Die Philosophen-Riege, die mitstreiken aber am Streiktag wohl lieber Schopenhauer lesen würde, war wesentlich für die Meinungsbildung in den Ressorts. Die Pauschalisten, Tagelöhner nach ihrem rechtlichen Arbeitsstatus, mussten eingebunden werden. Denn für sie gab es noch keinen Tarifvertrag. Aber sie sollten mitstreiken und auf keinen Fall Streikbrecherarbeit leisten.

Ohne Frauen wäre der Streik noch viel schwerer

Das war tägliche Kleinarbeit, über Jahre und viele Tarifrunden hinweg. Dann gab es wunderbare Querulanten, die beschwichtigt, mit Vertrauen gestärkt werden mussten. Das waren überwiegend Männer. Die Kolleginnen waren meist die vernünftigsten, konsequentesten, sofort bereit, mit zu arbeiten. Ohne Frauen wäre der Streik noch viel schwerer.

Einfach die Marke in der Waschkaue umzulegen – das ging hier nicht. Die Überzeugungsarbeit und der Kampf des Gewerkschafters Geiger war noch lange nicht zu Ende. Nun kamen die Kolleginnen und Kollegen der Konkurrenz-Zeitung "Stuttgarter Nachrichten", die sich gegenüber dem "Premium-Blatt", der "Stuttgarter Zeitung", eher als Proletarier-Abteilung behandelt sahen und (oft auch zu recht) eigene Ziele verfolgten. Aber der gemeinsame Streiktag nahte und die Geschlossenheit musste erarbeitet werden.

Hinzu kamen die Störfeuer der Geschäftsleitung, die in der Verhandlungskommission des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger saß, dort gerne den Blockierer spielte, im Unternehmen aber verbreiten ließ, der BDZV würde ein besseres Angebot vorlegen. Stefan Geiger war nicht hinters Licht zu führen. Mit Gradlinigkeit, Stoizismus und Beharrlichkeit mobilisierte er für den Streik, und am gemeinsam vereinbarten Stichtag kam seine Nachricht: 99 Prozent haben zugestimmt – "Die Stuttgarter streiken mit". Und das war wiederum eine wichtige Nachricht für die KollegInnen im Land, in Bayern, in Nordrhein-Westfalen. "Was machen die Stuttgarter?" Stefan Geiger war ihr Motor.

2015 übergab er seine Gewerkschaftsarbeit in andere Hände, die in seinem Sinne wirken. Aber statt des Ruhestands kam die Krankheit, die er ebenso beharrlich bekämpfte. In großen Abständen trafen wir uns, um uns zu freuen, zu weinen und über die Verleger zu schimpfen. Es war schön und tat gut, ihn irgendwann noch einmal im Arm gehalten zu haben, ihm stumm zu danken. Er ist 68 Jahre alt geworden. My working class hero.

Gerhard Manthey war bis 2014 Mediensekretär bei der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart. An wievielen Streiks er beteiligt war, kann er nicht beziffern.


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1 Kommentar verfügbar

  • Waldemar Grytz
    am 21.02.2019
    Antworten
    There's room at the top they are telling you still
    But first you must learn how to smile as you kill
    If you want to be like the folks on the hill.
    Er hat es begriffen. Warum sollten wir uns verbiegen, um so werden wie die asozialen Figuren in manchen Führungspositionen?
    Ohne Menschen wie Stefan,…
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