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1,04 Prozent und ein Fahrrad

1,04 Prozent und ein Fahrrad
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Das müsste MetallerInnen passieren: eine Lohnerhöhung von 1,04 Prozent plus ein Fahrrad. Genau das bieten die Zeitungsverleger ihren JournalistInnen an, und zeigen damit, was sie von ihrer Belegschaft halten.

Eigentlich eine gute Nachricht. Die mehr als 300 streikenden JournalistInnen von 15 Tageszeitungen Baden-Württembergs, von der "Augsburger Allgemeinen" und der "Frankfurter Neuen Presse" erzürnten sich am Nachmittag des 12. März 2018 in Stuttgart so sehr, dass sie spontan beschlossen, auch am Dienstag bis Mitternacht weiter zu machen. Der Kern der Wut: ein Dienstfahrrad, das sich die Verlegerriege ausgedacht hatte, um ihr Angebot, das keines war, aufzuhübschen. Sie hätten von ihren Belegschaften gehört, ließen sie die verblüfften Gewerkschafter in der "Alten Kanzlei" wissen, dass ein Fahrrad willkommen sei.

Viele haben das als Schlag ins Gesicht, als bewusste Provokation betrachtet. Sie wissen, dass es den Verlagen durchaus gut geht, und dass die Tarifrunde 2018 die erste Gelegenheit seit siebzehn Jahren wäre, wieder ein winziges Plus auf dem Gehaltskonto zu haben. Und all das vor dem Hintergrund, dass die schreibende Zunft beträchtlich geringere Einkommenszuwächse hat als etwa die Metallarbeiter oder die Gebäudereiniger. Das zeigt die Wertschätzung, die der Medien-Millionärs-Club seinem Fußvolk entgegenbringt.

Die sogenannten Freien stehen bei der Tafel an

Aber: Schlimmer geht's immer. Zum Beispiel den sogenannten Freien oder den Pauschalisten, die für Hungerlöhne arbeiten. Es gibt nicht wenige von ihnen, die im Alter an der örtlichen Tafel anstehen, aus dem Presseball-Fonds etwas Bargeld erhalten. Und jedes Mal ist es ein Tauziehen mit dem Sozialamt, wenn ein schreibender Kollege, der auch Hartz IV bezieht, eine kleine Barzuwendung der VG Wort für Diät-Kost erhält – und die Behörde beschließt, die 100 Euro auf die Grundsicherung anzurechnen. Von der Kostenerstattung für ein neues Gebiss ganz zu schweigen.

Oft klingelt vor der Osterwoche das Telefon und eine freischaffende Kollegin hat noch 25 Euro für vierzehn Tage für Essen, Zahnpasta … Da hilft keine Spende der örtlichen Zeitung oder der dortigen Millionen-Spendenaktion zu Weihnachten. Und wehe, sie klagen ihre Honorare, die ohnehin bescheiden sind, bei den Verlagen ein. Dann geht es ihnen wie dem freien Journalisten Martin Schreier, der gegen den Verleger des "Reutlinger Generalanzeigers", Valdo Lehari jr., angetreten ist. Er bekam zwar vor Gericht Recht und eine Nachzahlung, <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft foto-fuer-zwei-fuffzig-3667.html internal-link-new-window>aber danach keine Arbeit mehr. Lehari ist auch Präsident des Europäischen Zeitungsverlegerverbandes und lässt sich von seinen Kollegen gerne als "leidenschaftlicher Lobbyist für die Pressefreiheit" feiern.

Und weiter: Viele JournalistInnen gingen gerne in eine Teilzeitbeschäftigung, um dann irgendwann wieder Vollzeit zu arbeiten. Pustekuchen. Das kleine Glück, das einem hie und da in den Medienhäusern lachen kann, ist, dass er oder sie als Tagespauschalist beschäftigt wird. Wenn es gut geht für 100 oder 200 Euro. Vielleicht sogar zehn, fünfzehn oder zwanzig Tage im Monat. Da schleicht sich fast Dankbarkeit ein. Es soll Läden geben, die sich mit solchen Beschäftigungsverhältnissen über Jahre hinweg gesund stoßen.

Der BDZV bedauert

Verhandlungsführer Georg Wallraf erklärte in Stuttgart: "Bedauerlicherweise haben die Arbeitnehmervertreter keine Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Statt unseren Vorschlägen konstruktiv zu begegnen und für unsere Vorschläge zur Entgeltumwandlung und zur strukturellen Modernisierung der Berufsjahrsstaffeln offen zu sein, beharrten die Gewerkschaften auf ihren Forderungen. (...) Wir erwarten, dass sich die Arbeitnehmervertreter konstruktiv mit unserem Angebot auseinandersetzen, um bei der kommenden Verhandlungsrunde zielorientiert gemeinsam an einer Einigung arbeiten zu können."

Gelte das Gesetz auch für Verleger, wäre diese Art von Beschäftigung eine Teilzeitbeschäftigung nach den Regeln der Tarifwerke. Aber das wäre zu teuer. Besser ist, dem Pauschalisten jahrzehntelang ein mickriges Honorar zu bezahlen, in dem Urlaubsgeld und die gesetzlich anzuwendende zusätzliche Journalisten-Altersversorgung schon eingepreist ist. Aber wie wir wissen: Tarifverträge dürfen verletzt werden, wenn der Arbeitgeber stärker ist. Und Verleger sind stärker. Sie müssen nur öffentlich im Fernsehen äußern, dass sie große Not leiden, wenn sie den Zeitungsausträgern die volle Rentenversicherung auf den Mindestlohn zu zahlen haben. Frau Nahles (SPD) und Frau Merkel (CDU) haben entschieden, auf dem kleinen Dienstweg sozusagen, den Zeitungsfürsten zehn Prozent des Arbeitgeberanteils an der Rente ihrer märchenhaft verdienenden Zeitungsausträgern zu erlassen. (Ein Vorgang übrigens, der in ihren Blättern nur eine Randnotiz war, wenn überhaupt).

Rebmann ist eben nicht Streep

Und da kommen 300 streikende Journalistinnen und Journalisten in Stuttgart zusammen, etliche in Augsburg, Bielefeld und Rostock, und fordern 4,5 Prozent mehr Lohn und Honorar, auch für die Auszubildenden. Wie lautet die Antwort? 0,2 Prozent mehr als in der letzten Runde. Jetzt also 2,6 Prozent für die Gesamtdauer von 30 Monaten, macht 1,04 Prozent bezogen auf zwölf Monate. Und 150 Euro Vorweganhebung für Berufseinsteiger – und vielleicht noch ein Fahrrad.

Für die KollegInnen vom "Schwarzwälder Boten", die <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien streiktag-82-1567.html internal-link-new-window>wahrlich viel Erfahrung im Streiken und SWMH-Chef Richard Rebmann als Eigentümer haben, bleibt so fürs Erste nur eins: Sie gehen ins Kino, in "Die Verlegerin" mit Meryl Streep und Tom Hanks, um sich wenigstens im Film versichern zu lassen, dass es noch aufrechtes Führungspersonal gibt. Rebmann ist eben nicht Streep. Am 9. April 2018 ist wieder Realität. Dann treffen die Tarifvertragsparteien in Berlin erneut aufeinander.

Als alter Gewerkschafter hätte ich da noch einen Traum: Warum so einen Streik nicht mal am Arbeitsplatz testen? Alle bleiben in der Redaktion und diskutieren, was ihnen im Unternehmen gefällt und nicht gefällt. Themen gebe es genug. Etwa bei den StZN, wo nur noch Geschichten erscheinen sollen, die für "unsere Leser einen echten Mehrwert schaffen". Fordern die Ressortleiter und sagen nicht, was das ist. Nur so viel: Sie sollen so außergewöhnlich sein, dass sie sich hinter der Bezahlschranke gut verkaufen. Ein Schelm, der dabei an Rot- und Blaulicht denkt.

Weiter im Traum: Streikbrecher können nicht beschäftigt werden, weil die Zeitung nicht erscheint. Klar, gibt es ein Rechtsrisiko. Das Hausrecht des Verlegers zwingt mich, den Arbeitsplatz zu verlassen, wenn er will. Aber das wäre doch einmal auszuprobieren, ob die Polizei eine hundertköpfige Redaktion abführt, wenn der Verleger von exakt diesen Journalisten seit Jahrzehnten unbezahlte Mehrarbeit nicht dokumentiert und in seine Bilanz als Gewinn einfließen lässt. Und da fragt man sich, wer das Hausrecht hat, wenn dieses Gebäude quasi aus nicht bezahlter Mehrarbeit der Mitarbeiter finanziert wurde.

 

Gerhard Manthey war bis 2014 Mediensekretär bei der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart. Beim Zählen seiner Streiks muss er passen.

Presse im Umbruch

Print geht, digital kommt. Die meisten Verleger haben das zu spät bemerkt. Statt zu investieren, sparen sie den Journalismus kaputt. Aber es gibt auch positive Beispiele.

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4 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 15.03.2018
    Antworten
    Erneut Millionengeschenke an die Verleger – schämen sich SPD und Union eigentlich überhaupt nicht mehr?
    Ein Hauptgewinner der Großen Koalition steht schon fest. Still und heimlich haben sich SPD und Union darauf geeinigt, dass ausgerechnet für Zeitungsausträger der Arbeitgeberanteil an der…
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