KONTEXT:Wochenzeitung
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Touri, go home!

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Kaum eine andere Stadt in Deutschland hat in den vergangenen Jahren ein ähnliches Tourismus-Wachstum erlebt wie Konstanz am Bodensee. Was Politik und Gastgewerbe jubeln lässt, trifft in der Bevölkerung auf immer mehr Skepsis. Die Geschichte einer wachsenden Entfremdung.

Wer in diesen heißen Sommertagen durch die Konstanzer Altstadtgassen läuft, sieht vor allem eines: Menschen, sehr viele Menschen. Die Cafés und Restaurants in der Altstadt: rappelvoll. Die Anlegestellen der Bodensee-Schifffahrtsbetriebe im Hafen: dicht umvölkert von Wartenden und Ankommenden in Flip-Flops und Ferienlaune. Des Konstanzers Lieblings-Strandbad, das Hörnle, an der östlichen Spitze der Stadt: ein Flickenteppich aus bunten Handtüchern, dicht an dicht. Es ist Sommer am Bodensee, und die Touristen haben die Stadt übernommen. Was von Politik und Gastgewerbe bejubelt wird, sorgt unter Einheimischen zunehmend für Stirnrunzeln und die immer drängender artikulierte Frage: Wo bleibt bei all dem Ansturm von außen noch der Platz für mich?

Ja, die Konstanzer sind ein bisschen genervt von ihren Gästen. Erkennen kann man das zum Beispiel an den gereizten Debatten, die jeden Hotel-Neubau begleiten. Experten haben für dieses Gefühl den schönen Begriff des "Overtourism" gefunden: "Aus Sicht der Einheimischen werden Touristen zu einem Störfaktor, der das tägliche Leben vor Ort zunehmend belastet", erläutert Wikipedia. Bislang kannte man dieses Phänomen hauptsächlich von globalen Touristen-Hotspots wie Venedig, Barcelona oder Berlin. Ist der Trend jetzt auch am Bodensee angekommen?

Ein Blick in die Statistik: Die Zahl der Übernachtungen in der 85 000-Einwohner-Stadt Konstanz ist allein von 2006 bis 2017 um mehr als 80 Prozent auf rund 896 000 im Jahr gestiegen. Zählt man die Übernachtungen in privaten Unterkünften – Ferienwohnungen oder Airbnb-Quartiere – hinzu, sind es sogar mehr als eine Million. Von 2005 bis 2017 ist in jedem Jahr mindestens ein neues Hotel eröffnet worden: Heute verzeichnet das Statistische Landesamt 57 Betriebe. Kein anderes Ziel am Bodensee hat vergleichbare Wachstumsraten, selbst deutschlandweit dürfte die kleine Stadt am Bodensee damit auf den vorderen Rängen liegen.

Nicht nur Touris werden mehr, auch Einwohner und Studierende

Was macht dieser Ansturm mit den Menschen, die ihn tagtäglich erleben? Tobias Bücklein, 50, ist Musiker, Kabarettist und gebürtiger Konstanzer. Einige Jahre lang versuchte er, die Innenstadt weitgehend zu meiden: "Es war mir einfach zu voll da", sagt er. Zum Gespräch bringt er ein paar Statistiken mit: Übernachtungszahlen, Anzahl der Studierenden, Einwohnerzahl. "Alles gestiegen in den vergangenen Jahren. Dass es in der Stadt voller ist als früher, ist also kein subjektives Gefühl, sondern belegbar", sagt er. In die Jubelarien über immer neue Rekordzahlen im Tourismus will er nicht einstimmen: "Warum sollte ich mich darüber freuen? Was mich eher beschäftigt, ist, was das Ziel hinter dem wachsendem Tourismus ist, und ob die Benefits für die Einheimischen die damit verbundenen Einschränkungen aufwiegen."

Mit dieser Haltung ist Bücklein noch einer der moderaten Kritiker der Entwicklung. Kern der wachsenden Entfremdung zwischen Gästen und Einheimischen sind für ihn zwei Dinge. Erstens: Niemand in der Stadt kümmere sich um Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen, also den Touristen, den Studenten, den Einheimischen. Es gebe da keinerlei Dialog. Zweitens sieht er in den Abschottungstendenzen der Konstanzer auch die aus seiner Sicht ungelöste Identitätsfrage der Stadt berührt: "Damit man andere als Gäste willkommen heißen kann, braucht man als Konstanzer erst einmal ein Selbst-Bewusstsein", so der 50-Jährige. Schon seit Jahren sucht die Stadt nach etwas Identitätsstiftendem jenseits des schönen Bodensees. Bislang hat sie aber nichts gefunden.

Von der Identitätsfrage ist man schnell bei anderen großen Fragen: Wem gehört die Stadt? Wer kann sie sich noch leisten? Und: Verkauft die Stadt ihre Seele, wenn sie sich zu sehr nach außen vermarktet? Die Antworten darauf fallen unterschiedlich aus. Je nachdem, mit wem man spricht.

Vera Hemm zum Beispiel findet, dass es mit Hotels jetzt mal genug sein müsste in Konstanz. "Da ist eine Grenze erreicht" sagt die 82-Jährige. Zehn Jahre saß sie für die Linke Liste im Konstanzer Gemeinderat, sie hat mitbekommen, wie sich die Stadt durch die wachsenden Besuchermassen verändert hat. Hemm befürchtet, dass der Tourismus die letzten verbliebenen Ecken und Kanten der Stadt schleift. Weil alles schön sein muss für die Gäste. Sie nennt ein Beispiel aus der Gastronomie: "Wenn neue Restaurants entstehen, dann meist mit einer Küche, die Sie überall bekommen können. Aber Restaurants mit badischer Küche gibt es kaum noch. Ich habe das Gefühl, dass das Unverwechselbare der Stadt allmählich schwindet", sagt Hemm.

Dieter Wäschle muss man mit derlei Gefühlen nicht kommen. Um es kurz zu machen – er hält sie für Luxusprobleme. Wäschle ist Hotelier und stellvertretender Vorsitzender des örtlichen Hotel- und Gaststättenverbands. "Mehr als ein Drittel der Konstanzer Bewohner lebt vom Tourismus in der Stadt, auch der Einzelhandel profitiert massiv. Ohne Tourismus wäre Konstanz nicht existenzfähig", sagt Wäschle. Ein einfaches Experiment könnte das beweisen: "Wenn alle tourismusnahen Betriebe mal für einen Tag dicht machten, dann würde man sehen, wie öde die Stadt ohne den Tourismus wäre", findet Wäschle. Ganz falsch ist das vermutlich nicht. Was den umtriebigen Hotelier ohnehin mehr bedrückt als der Unmut vieler Einheimischer, sind die realen Zahlen des Fachkräftemangels. "Das Gastgewerbe sucht händeringend nach qualifiziertem Personal, damit wir unseren Job weiterhin so gut machen können. Das wird immer schwieriger."

Der aktuelle Erfolg könnte den zukünftigen bremsen

Und das ist in Konstanz dann der Punkt, an dem sich der Hund in den Schwanz beißt. Die Stadt ist, auch durch den Tourismus, so attraktiv und beliebt geworden, dass die Mieten derart steigen, dass die in Tourismusbetrieben so dringend benötigten Fachkräfte sie nicht mehr bezahlen können. So wird ein Szenario immer denkbarer, nachdem der aktuelle Erfolg einen zukünftigen Erfolg bremsen könnte.

Die Stadt selbst versucht seit Jahren, dem Herr zu werden. Unter Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) wurde unter anderem die Schlagzahl beim Wohnungsbau deutlich erhöht. 2015 hat die SPD-Fraktion im Rat ein Zweckentfremdungsverbot durchgesetzt, das die Umwidmung von Wohnraum in Ferienwohnungen erschweren soll. Nach Zahlen des Mieterbundes kamen so 63 Wohnungen wieder auf den Markt. Im Juli dieses Jahres hat der Gemeinderat zudem ein Tourismuskonzept verabschiedet, das die weitere Entwicklung in dem Bereich gezielter steuern soll. Es lässt, wenn man es freundlich formulieren möchte, der Stadt viel Gestaltungsspielraum. Ein Ziel darin lautet, den Tourismus qualitativ weiter auszubauen und insbesondere die Nebensaison zu stärken. "Kultur- und naturinteressierte zahlungskräftige Zielgruppen" sollen angesprochen werden, heißt es weiter. Und: Konstanz soll zum "führenden Städte- und Kongressreiseziel im Bodensee- und Alpengebiet" werden.

Auf Basis dieses Konzeptes hat sich die Politik für weiteres Wachstum entschieden: Bis 2026 sollen nun bis zu vier weitere Hotels entstehen mit insgesamt rund 900 Betten. Dieses Votum für einen eher moderaten weiteren Ausbau hat wohl auch mit dem neuen Tourismus-Konzept zu tun. Die Autoren hatten darin explizit eine "rückläufige Akzeptanz des Tourismus bei der Bevölkerung" und eine "starke Belastung der innenstädtischen Infrastruktur im Sommer" konstatiert. Sie mahnten an, dass es für die künftige Entwicklung wichtig sei, "Bewohner, Wirtschaftsunternehmen und Gäste als Mitgestalter" ins Boot zu holen. Es solle eine "dauerhafte Beteiligungs- und Mitwirkungskultur" eingeführt werden.

Die Bürger sollen in Tourismus-Fragen beteiligt werden – wie, ist unklar

Das Problem ist erkannt, aber wie das alles jetzt umsetzen? Das würde man gerne mit Eric Thiel, Chef der städtischen Marketing und Tourismus GmbH (MTK), besprechen. Das ist aber nicht so einfach. Ein persönliches Gespräch lehnt er aus Termingründen ab. Aber er könne schriftlich auf eingereichte Fragen antworten, schreibt er. Diese Antworten bleiben am Ende vage. Wie sollen die Bürger eingebunden werden? Wie soll das Tourismus-Bild in der Bevölkerung verbessert werden? Wann wird der Prozess beginnen? Konkrete Ideen dazu gibt es bislang offenbar noch nicht. Nur so viel: "Wir möchten ein gutes Miteinander von Gästen und Bürgern dauerhaft fördern." Ansonsten lautet die meist gegebene Antwort: "Das wird nun mit dem Marketingbeirat besprochen." Thiel verweist aber noch auf die Bedeutung des Tourismus für Konstanz: Demnach stammten 30 Prozent der Gewerbesteuer-Einnahmen der Stadt aus tourismusnahen Bereichen, so der Stadtmarketing-Chef.

Was bleibt also am Ende zwischen Bürgern, die erschöpft sind vom touristischen Dauerbesuch, und einer Stadt, die wirtschaftlich auf eben jenen Tourismus angewiesen ist? Roland Scherer, Regionalwissenschaftler an der Universität St. Gallen in der benachbarten Schweiz, beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Bodenseetourismus. Er sieht die Gefahr, dass die Akzeptanz des Tourismus in der Bevölkerung bröckelt: "Ein Beispiel: Zunehmend sind auch in der Bodenseeregion Hotels – vor allem aufgrund des Fachkräftemangels – gezwungen, ihre Restaurants nur noch für ihre Hotelgäste zu öffnen und nicht mehr für die Allgemeinheit. Wenn es sich dann auch noch um ein traditionelles Restaurant im Ort handelt, ist dies sicherlich nicht förderlich für die Akzeptanz der Einheimischen gegenüber dem Tourismus" stellt der Forscher fest.

Für übertrieben hält Scherer aber, bei Konstanz die Diagnose "Overtourism" zu stellen: "So dramatisch ist es nicht. Nur an Spitzentagen wird es an manchen Orten der Stadt eng, aber insgesamt hat Konstanz kein Massentourismus-Problem."

Scherer plädiert stattdessen für ein anderes Verständnis von Tourismus. Nicht nur auf möglichst hohe Wachstumszahlen bei den Übernachtungen sollte man schielen, sondern vielmehr die Zufriedenheit von Übernachtungstouristen, Tagestouristen und Einheimischen gleichermaßen als Erfolgskriterium betrachten. Dass das Thema drängt, belegt die Gründung eines neuen Think Tank namens "Denkraum". Auch hier will man sich mit dem Tourismus beschäftigen. Hochschulen rund um den Bodensee – von St. Gallen bis Konstanz – haben sich dafür zusammengeschlossen. Sie wollen herausfinden, ob der Tourismus in der Vierländerregion seine Grenzen erreicht hat, und ob womöglich der aktuelle Erfolg bereits die Basis der eigenen Zukunft gefährdet. Ergebnisse dazu soll es in den kommenden Jahren geben. Die Konstanzer werden dann sehr genau zuhören.


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6 Kommentare verfügbar

  • Andrea K.
    am 19.08.2018
    Antworten
    Auch hier der berühmte Fachkräftemangel also. Aber kein Wort davon,dass man bereit wäre , ausgebildetes Fachpersonal zu einem Gehalt einzustellen, von dem eine Wohnung in Konstanz finanziert werden kann. Man wird doch heute überall von Studierenden bedient - vielleicht müsste man die Uni vergrößern…
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