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Krieg am Bodensee

Krieg am Bodensee
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Ein preußischer Angriffskrieg gegen die Schweiz, geführt von Baden und Württemberg aus – dazu wäre es um ein Haar vor 160 Jahren gekommen. Am 16. Juni 1857 wird der Neuenburger Konflikt beigelegt. Eine heute fast vergessene Krise, die an Skurrilitäten reich ist – und letztlich die innere Einigung der Schweiz vorantrieb.

Kriegsschiffe kreuzen auf dem Bodensee, Massenheere prallen zwischen Baden, Württemberg und der Schweiz aufeinander – klingt grotesk, aber der preußische General Karl von der Groeben hatte es so vor gut 160 Jahren in seinem Feldzugsplan entworfen: Für den Einfall in die Schweiz sollte ein Armeekorps "von Freiburg auf Basel" marschieren, ein weiteres "mit Zuhilfenahme einer kleinen Bodensee-Flottille von Ludwigshafen nach Constanz, um die beiden Flügel zu bedrohen". Die Hauptmacht der Invasionstruppen aber sollte bei Schaffhausen die Grenze überqueren, danach "vereinigter Marsch und Kampf [...] auf Bern, ja bis zum Genfer See, wenn Neuchâtel mit diesem Stoß noch nicht zu erobern war."

So weit kam es nicht. Aber der Konflikt um das in der französischsprachigen Westschweiz gelegene Neuenburg (Neuchâtel, früher Neufchâtel) beschäftigte 1856 und 1857 monatelang die europäischen Großmächte und führte zum letzten Mal dazu, dass die Schweiz und ein deutscher Staat wirklich an der Schwelle zum Krieg standen.

Neuenburg ist ein staatsrechtlicher Zwitter

Worum geht es damals? Um ein winziges Gebiet, das mit 803 Quadratkilometern gerade mal ein Drittel der Fläche des Saarlandes umfasst, und die Frage, wem es gehört. Und die ist verzwickt, denn seit dem Wiener Kongress 1815 ist Neuenburg ein staatsrechtlich zwitterhaftes Gebilde, gleichzeitig preußisches Fürstentum – dies schon seit 1707, mit kurzer Unterbrechung durch Napoleon – und nun auch ein Kanton der Schweizer Eidgenossenschaft. Explosiv wird diese skurrile Konstellation erst, als sich die Neuenburger mit einer Revolution 1848 zur demokratischen Republik erklären und das Band zum Hause Hohenzollern kappen. Die Proteste des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. bleiben ohne Wirkung.

Doch es gibt auch in Neuenburg royalistische Kräfte, die lieber den Preußenkönig als Oberhaupt wollen. In der Nacht zum 3. September 1856 wagen sie den Putsch, kurz weht der preußische Adler über dem Regierungsschloss. Dann schlagen Kantonstruppen den Aufstand nieder, acht Royalisten sterben, 667 kommen in Haft.

Friedrich Wilhelm, der in die Putschpläne eingeweiht war, verlangt vom Schweizer Bundespräsidenten Jakob Stämpfli die Freilassung der Gefangenen. Was Stämpfli nur im Falle eines Verzichts des Königs auf seine Souveränitätsrechte in Neuenburg in Aussicht stellt. Nicht akzeptabel für den Preußen, was wohl weniger mit den überschaubaren Steuereinnahmen aus dem Fürstentum zu tun hat. Eher damit, dass der mittelalterlichen Herrscherideen anhängende Friedrich Wilhelm das kleine Neuenburg, das er nie besucht hat, für ein Musterländchen voll treu ergebener Untertanen hält. Und das will er vom "Räubergesindel aus Bern" zurück.

150 000 Soldaten will Preußen für den Angriff mobilisieren 

In den Streit schalten sich bald auch die Großmächte Großbritannien und Frankreich ein, denn wenige Monate nach dem Ende des Krimkriegs (1853 bis 1856) wollen sie keinen neuen Konflikt in Europa. Frankreichs Napoleon III. macht sich dabei eher für die preußische Sache stark, die britische Regierung ist klar auf Seiten der Schweiz. Doch alle Vermittlungsversuche scheitern. Preußen bricht am 13. Dezember 1856 die diplomatischen Beziehungen zur Schweiz ab und kündigt an, zum 1. Januar 1857 150 000 Soldaten zu mobilisieren. Krieg liegt in der Luft.

Die Schweiz ist mit der Mobilisierung schneller. Sofort schickt der Bundesrat 15 000 Soldaten zur Sicherung der Grenze an den Rhein, einige Wochen später noch einmal so viele. Zum Oberkommandierenden wird der beliebte General (und spätere Mitgründer des Roten Kreuzes) Guillaume-Henri Dufour ernannt. Und wie so oft in der Geschichte sorgt auch bei den Eidgenossen ein gemeinsamer äußerer Feind dafür, dass sich im Inneren die Reihen schließen: "Eine mächtige patriotische Begeisterung brauste durch das Land, wie sie so freudig seit Jahrhunderten nicht mehr aufgewallt war", schreibt der Schweizer Historiker Edgar Bonjour, "sie durchbrach die politischen, konfessionellen, sozialen und sprachlichen Grenzen und scharte das Volk einmütig um den Bundesrat und um das Heer."

Einen Soundtrack dazu gibt es auch: Der Genfer Dichter Henri-Frédéric Amiel komponiert das militaristische Marschlied "Roulez, Tambours!" (Textzeile: "An die Ufer des Rheins, führt uns in die Schlacht!"), das später Generationen von Schweizer Schulkindern auswendig lernen müssen.

Badens Großherzog schielt auf Schaffhausen

Preußen hat erst einmal mit dem Gegenteil zu kämpfen. Als Mitglied des Deutschen Bundes ohne eigene Grenze zur Schweiz braucht es Durchmarschrechte von anderen deutschen Staaten und muss dabei größte Vorsicht walten lassen, nicht sofort wieder revolutionäre, antipreußische Stimmungen zu wecken. Hessen und Bayern genehmigen den Durchmarsch problemlos. Doch der Südwesten ziert sich.

In Baden liebäugelt Großherzog Friedrich zwar mit einer Teilnahme am Krieg, unter anderem, weil er sich gerne den Kanton Schaffhausen einverleiben würde. Doch vor seiner Bevölkerung, in der die liberal verfasste Schweiz große Sympathie genießt, hat er Bammel, weswegen er gegenüber Berlin Hinhaltepolitik betreibt.

In Württemberg plädieren sogar zehn Mitglieder der Abgeordnetenkammer offen gegen eine Durchmarschgenehmigung: "Ein Akt der Feindseligkeit würde das Volk in den Nachbarstaaten der Schweiz umso schmerzlicher berühren", so die renitenten Abgeordneten, "als die Schweiz zu allen Zeiten der friedlichste, inoffensivste und beste Nachbar Deutschlands war." Was auch bei der Regierung in Stuttgart die Furcht vor einer Revolution nährt und sie reserviert gegenüber Preußen agieren lässt.

Württembergische Rüstung für die Schweiz

Teile der Bevölkerung zeigen ihre Sympathien deutlich: Der Stadtrat von Leutkirch beschließt, der Schweiz den Kauf aller von der Gemeinde aufbewahrten Waffen anzubieten. Und der Historiker Bonjour erzählt von einer Waffenfabrik in Württemberg, möglicherweise Mauser, die "Tag und Nacht auf Bestellung für die Schweiz gearbeitet haben soll".

Und Preußen plagen noch andere Sorgen. Die Mobilmachung wird um zwei Wochen verschoben. Oberbefehlshaber General Karl von der Groeben hat Schwierigkeiten, überhaupt eine geeignete Landkarte der Schweiz zu finden, obwohl preußische Agenten eifrig durch das Grenzland auf beiden Seiten schleichen, um, so der General, "das für unsere Operationen nothwendige Terrain" zu erkunden. Und dann das Wetter! "Begann die Mobilmachung im Januar, so trafen die Truppen erst im März oder wohl noch später in der übelsten Jahreszeit ein. Grundlose Wege mit Schneefall wechselnd, reißende Bäche oft zu Strömen geworden, die Berge kaum zu erklimmen usw.", klagt von der Groeben Jahre später in einem Schreiben, das eher moderate Kenntnisse der sanft hügeligen Schweizer Topografie zwischen Hochrhein und Bern enthüllt.

Die britische Presse schießt gegen den Preußenkönig

So schnell schießen die Preußen vorerst nicht, dafür geraten sie selbst unter publizistisches Feuer – die Krise ist auch ein internationales Medienereignis. Vor allem die britische Presse schießt dabei scharf gegen Friedrich Wilhelm. Den Tenor bringt eine Karikatur der populären Londoner Satirezeitschrift "Punch" auf den Punkt, sie zeigt den König als "Prussian Disturber of the Peace", als preußischen Friedensstörer: Was eine bemerkenswerte Wandlung ist, denn wenige Jahre zuvor wurde der preußische König von der britischen Presse noch als Kriegszauderer wegen seiner Weigerung attackiert, in den Krimkrieg gegen Russland einzutreten. Seinen aus dieser Zeit stammenden Spottnamen hat er indes behalten: Seit Mitte 1854 wird Friedrich Wilhelm wegen ihm unterstellter Trunksucht sowie Vorliebe für Champagner der Marke "Veuve Clicquot" im "Punch" nur noch "King Clicquot" genannt, in Karikaturen wird die Champagnerflasche zu seinem bevorzugten Attribut. Selbst unter hohen britischen Diplomaten wird "King Clicquot" schnell zur üblichen Bezeichnung für den preußischen König.

Dass "King Clicquot" gegenüber der Schweiz der Kriegstreiber ist, sieht nicht nur die britische Presse so, sondern auch die britische Regierung, weswegen sie Berlin ab Mitte Januar 1857 unter massiven diplomatischen Druck setzt. Schließlich findet ab März in Paris eine Konferenz der europäischen Großmächte zur Klärung der Frage statt. Knapp drei Monate wird verhandelt.

Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Paris am 26. Mai 1857 und dessen Ratifizierung am 16. Juni ist der Konflikt endgültig beigelegt. Für eine Generalamnestie der Gefangenen verzichtet der preußische König auf sein dynastisches Recht auf Neuenburg. Als gewisse Entschädigung darf er sich weiterhin "Fürst von Neuenburg" nennen, womit jedoch keinerlei Rechtsanspruch verbunden ist. Ein wertloser Titel, was eine Karikatur im "Punch" hämisch kommentiert.

Vier Wochen später erleidet Friedrich Wilhelm den ersten von mehreren Schlaganfällen, bis zu seinem Tod 1861 führt sein Bruder Wilhelm die Regentschaft. Für General von der Groeben war die Neuenburger Krise schuld: "Eine Perle aus seiner Krone verloren zu haben, hat ihn getötet."

Die Schweiz indes müsste im Grunde dem Preußenkönig dankbar sein, trieb sein unglückliches Agieren doch die innere Einigung des noch vom Sonderbundkrieg 1847 zerrütteten Landes voran, so der Historiker Bonjour: "Kein anderes Ereignis trug so viel bei, den liberalen Bundesstaat in den Gefühlen des Gesamtvolkes zu verankern." 


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