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König Wilhelms lustiges Lotterleben

König Wilhelms lustiges Lotterleben
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König Wilhelm II. galt bisher immer als Seele von einem Menschen. Gläubig, herzensgut, vielleicht ein bisschen dackelhaft. Stimmt aber nicht, beweisen neu entdeckte Briefe des Monarchen an seine Männerfreunde, die der König eigentlich nie veröffentlicht wissen wollte.

Mitten im ersten Weltkrieg hat der Sozialdemokrat Wilhelm Keil geschrieben, wenn man morgen in Württemberg die Republik einführte, hätte dieser Monarch die größte Chance, als neuer Staatspräsident gewählt zu werden. Die Rede ist von Wilhelm II. von Württemberg, dem hochverehrten, vor allem hochverklärten Monarchen. Bis heute wird von Nostalgikern aller Couleur das hohe Lied vom irgendwie unheimlich menschlichen, wahnsinnig bescheidenen, überaus klugen, stets leutseligen "Herrn Keenig" gesungen, der wie du und ich, ohne Bodyguard nur von seinen Spitzen begleitet, durch Stuttgart spazierte und warmherzig mit seinen Landsleuten in deren heimischem Idiom plauderte.

Ein treuer Gatte, ein liebevoller Vater, ein tiefgläubiger Christ. Gutmütig und bieder hat man sich fast ein Jahrhundert lang den König vorgestellt; vielen seiner Untertanen also nicht unähnlich. Nun muss dieses Bild vom letzten Schwabenkönig abgehängt werden. Zumindest in seiner populären Version war es übrigens schon immer schief.

In wenigen Tagen endet die Ausstellung "Im Lichte neuer Quellen – Wilhelm II. – der letzte König von Württemberg" im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv. Anlass für diese Schau war ein "Jahrhundertfund": insgesamt fast 600 Briefe, meist bescheiden mit Wilhelm W. (= Württemberg) unterzeichnet. Adressaten waren zwei dicke Freunde aus Göttinger Studententagen: Gottfried von Reden und vor allem Detlev von Plato. Der Historiker Dr. Albrecht Ernst, stellvertretender Leiter des Archivs, hat die Korrespondenz des Königs mit seinen Männerfreunden aufgespürt, im kommenden Jahr soll sein Buch mit den Briefen erscheinen. Eigentlich war es der dringende Wunsch des Wilhelm W., diese Briefe, wie Tausende andere, zu vernichten. Warum ein paar Hundert übriggeblieben sind, ist ungeklärt.

Des Königs Hobby war neben der Jagd auch der "Briefesport" wie man damals sagte; zwei, drei Briefe pro Tag sind keine Seltenheit. Seine Arbeitsbelastung war überschaubar, Facebook & Co. noch in undenkbarer Ferne. Also schreibt man sich Briefe; als Therapie, um etwas loszuwerden, Schmerz und Freude zu teilen, oft genug aber, um einfach nur zu lästern. Als Prinz, Kronprinz und erst recht als König lebt man in einem engen Netzwerk fester Regeln, die "Sau rauslassen" ist nicht drin. Dazu dient dann der Brief an den Busenfreund. Doch auch jenseits des neu entdeckten Briefschatzes lohnt sich ein scheuklappenfreier Blick auf den immer noch populären Monarchen.

König Karl und der amerikanische Freund

Wilhelm W. wird eigentlich schon bei der Thronbesteigung seines Onkels Karl im Jahre 1864 Kronprinz – damals gerade mal 16 Jahre alt. Denn der Onkel, verheiratet mit der Zarentochter Olga, hat in 15 Jahren Ehe keinen Nachwuchs zustande gebracht. Kein Wunder: Karl ist schwul. Er konnte natürlich damals nicht, wie weiland Wowereit, der Berliner Bürgermeister, vor seine Untertanen treten, mit dem Bekenntnis: "Ich bin schwul und das ist gut so." Bei Fragen der sexuellen Orientierung tut man sich bekanntlich hierzulande auch heute, 150 Jahre später, noch ganz schön schwer.

Karl verbringt die meiste Zeit mit seinem Freund, einem "auffallend hübschen" Amerikaner namens Woodcock, an der Riviera. Der liebestolle König macht diesen Rock Hudson der Gründerzeit zum Baron und kauft ihm ein teures Haus. Königin Olga hat einen tüchtigen Kammerherrn und verlegt sich auf Charity; davon profitieren die Stutgarter bis heute. Doch auch sie ist wahrlich keine Königin der Herzen, sondern der zarischen Autokratie verhaftet, bei der für das Volk neben der Charity vor allem die Knute vorgesehen ist.

Nachdem sich der amerikanische Freund vom Acker gemacht hat, verknallt sich König Karl in den Obermaschinisten des Hoftheaters; ein neuer Skandal erschüttert die Residenz. Der preußische Gesandte berichtet nach Berlin, die württembergische Dynastie sei "der Verwesung verfallen", der Monarch nur ein "erbärmlicher Tropf". Der Kaiser würde den durchgeknallten Schwabenkönig am liebsten absetzen lassen, wie wenige Jahre zuvor dessen ähnlich veranlagten bayerischen Kollegen, "Märchenkönig" Ludwig II. König Karl stirbt 1891, allem Anschein nach, eines natürlichen Todes. Wilhelm W. wird ein schweres Erbe antreten.

Lustig ist des Prinzen Leben

Obwohl er seinen allerbesten Freund Detlev von Plato in seinen Briefen gelegentlich mit Geliebter anredet, ist Wilhelm W. eher nicht schwul; doch auch sein Privatleben ist ziemlich Yellow-Press-tauglich.

Die wohl glücklichste Zeit erlebt der württembergische Thronanwärter als Student in Göttingen. Da gehört er der schlagenden Verbindung Bremensia an, da findet er ziemlich beste Freunde fürs Leben. Dort verliebt er sich, unsterblich wie man so sagt, in die Professorentochter Marie Bartling.

Heutzutage, wo die Maximas und Letizias, ledige Mütter und ehemalige Hostessen Königinnen werden, wäre die Tochter des angesehenen Botanikers Bartling eine durchaus passable Wahl, doch nicht im adelsversessenen 19. Jahrhundert. "Heulend wie ein Kettenhund", bittet er seine dominante Mama, die "Bürgerliche" heiraten zu dürfen; dies wird ihm verweigert. Um Abstand zu gewinnen, spendiert Mama eine längere Italienreise; mit dabei: Freund Detlev von Plato, genannt Topf – Corpsstudenten-Humor.

In der Zwischenzeit bekommt die geliebte Marie Besuch aus Stuttgart: ein Höfling macht ihr klar, dass es nichts wird mit dem Prinzen. Der bleibt weiterhin verliebt, zeigt sich aber erotisch durchaus aufgeschlossen. Von einer Schwedenreise berichtet der blaublütige Playboy: "Die Weiber waren ganz acceptabel, weil man sich – oder wohl hauptsächlich deshalb – nur in der Sprache, die alle Welt versteht, unterhalten konnte."

Diskret wird für das eine oder andere voreheliche Kind bezahlt. Selbst von diesen Verwicklungen berichten des Prinzen Briefe: "Die (Nachricht) traf vor einigen Wochen aus Mailand ein, von wo mir eine gewisse Dame ... schreibt, sie wünsche mit mir in Correspondenz zu treten ... weil sie mir eine Mittheilung zu machen habe, die meine Person sehr nahe berühre. Natürlich habe ich nicht geantwortet, da es sich wahrscheinlich nur um eine Gelderpressung handelt, aber bei meiner Rückkehr fürchte ich neue Briefe von ihr zu finden, wenn sie nicht gar selbst eines Tages anrückt. Ich muß schwer büßen für die Jugendsünden."

Nach der "schönen leichtsinnigen Studentenzeit" in Göttingen tritt Wilhelm W. als Offizier in preußische Dienste. Affären und Amouren, Jagden und Feste sind die Highlights im arbeitsarmen Prinzenleben. Als preußischer Offizier schreibt er: "Der Dienst des Vaterlands nimmt mich jeden Tag volle 10 Minuten in Anspruch, so daß ich bei dieser Überbürdung kaum weiß, woher das nöthige Quantum Schlaf und Faulheit nehmen, den in Berlin – trotz Capitale und Intelligenz – verzweifelt langweiligen Tag todt zu schlagen."

Ab 1876 lebt er wieder in Württemberg; im Jahr darauf eine Liebesheirat. Die Auserwählte, Prinzessin Marie von Waldeck-Pyrmont, stirbt jedoch bereits fünf Jahre später bei der Totgeburt des dritten Kindes. Sohn Ulrich ist schon fünf Monate nach der Geburt gestorben. Zurück bleibt Wilhelm W. mit der fünfjährigen Tochter Pauline: Er ist am Boden zerstört. "Menschlichen Trost gibt es nicht in solchem Elend wie dem meinigen." klagt der 35-jährige Witwer seinem engsten Freund.

Bei seiner zweiten Brautschau hat er weniger Glück. Über Charlotte Prinzessin von Schaumburg-Lippe schreibt Wilhelm W. ein Jahr nach der Hochzeit: "Wäre ich ihr doch nie im Leben begegnet; sie hätte ein glückliches Leben an der Seite eines andern geführt, und ich wäre wenigstens ruhig und mit der Zeit sogar zufrieden weiter meinen Weg gewandert." Weit mehr Zuneigung zeigt er für die Frau seines besten Freundes Detlev von Plato, den er inzwischen als seinen Hofmarschall nach Stuttgart geholt hat. Über Anni von Plato, eine geschiedene Mutter von vier Kindern, wird selbst in Berlin erzählt, sie sei die Mätresse des württembergischen Thronfolgers. Die Regierung beschäftigt sich mit dieser Affäre, Spottgedichte machen die Runde.

Der reife König

Mit der Thronbesteigung 1891 endet das royale Lotterleben. Aus den drei Jahrzehnten danach stammen die meisten Legenden um den populären Monarchen.

Zu den hartnäckigsten Klischees gehört, dass der König Schwäbisch gesprochen hat. Das war aber nicht der Fall. Eine "hohe preußische Kommandostimme" bescheinigt ihm der Landeshistoriker Otto Borst. "Hochdeutsch" habe der König gesprochen, erinnert sich der Journalist Karl Ebert (Jahrgang 1906), der Wilhelm W. bei einem Schulbesuch erlebt hat. In seinen Briefen verwendet er Sonnabend und nicht Samstag, wie in Süddeutschland üblich. Das von vielen Hiesigen heißgeliebte Schwäbisch gilt außerhalb der Schwabenwelt meist als wortgewordener Scherzartikel; kaum anzunehmen, dass seine norddeutschen Busenfreunde ein schwäbelndes Majeschtätle ernst genommen hätten. Und solche "besten Freunde" hat er hierzulande nicht gehabt.

Ähnlich unausrottbar hält sich die Legende vom leutseligen Herrn Keenig, der unablässig Bonbons an Kinder verteilt, wenn er mit seinen Spitzen durch Stuttgart wandelt. Zeitzeugen, wie etwa der bereits erwähnte Karl Ebert, schildern ihn eher als "vornehm distanziert". Natürlich wurde auch die Mär verbreitet, daß es bei Königs zu Hause ganz bescheiden zugeht. Davon kann nicht die Rede sein, Austern und Trüffel statt schwäbischer Vesper; Reisen nach Biarritz und Norderney. Wilhelm W. war kein Verschwender, aber ein Lebemann.

Und geliebt hat er sein Volk auch nicht gerade. Sein nüchternes Urteil in einem Brief an Detlev von Plato: "Du weisst hinlänglich, dass ich nicht blind für meine Landsleute bin und sie Dir schon oft genug im Voraus recht schwarz geschildert habe, aber die Menschen sind hier nicht schlechter, wenn auch nicht besser, als überall sonst." Groß in die Politik eingemischt hat er sich eigentlich auch nicht. Vieles erledigen die angesehenen württembergischen Regierungschefs, mehr als einmal beugt er sich selbst abseitigen Wünschen seines "kaiserlichen Herrn", der als "Deutscher Kaiser" ja eigentlich nur der erste unter den Bundesfürsten sein soll.

Der König weint

Wie wenig die Bundesfürsten zu sagen haben, zeigt sich besonders im Weltkrieg. Deutschland wird praktisch zur Militärdiktatur. Wilhelm W. und seine Kollegen sind auf die bloße Repräsentation beschränkt.

Bei der Verabschiedung gleich mehrerer Regimenter hat der König – Augenzeugen nach – geweint. Ob aus Sorge um seine "lieben Buben" oder – wie der Historiker Albrecht Ernst meint – überwältigt von der welthistorischen Schicksalsstunde, wird nie mehr zu ergründen sein. Bei Truppenbesuchen spendet er Freibier, verteilt Orden, redet vom sicheren Sieg. Zu den Scharfmachern gehört er aber sicher nicht.

Statt des Sieges steht am Ende die Revolution. Im November 1918 weht die rote Fahne vom Dach seines Hauses, dem Wilhelmpalais. Weit und breit sind keine Königstreuen mehr zu sehen. Wilhelm W. ist auf die Gnade der sozialdemokratisch geführten Volksregierung angewiesen. Die zeigt sich großzügig, ja geradezu nobel. Er behält sein Vermögen, bekommt 200 000 Mark im Jahr; damals eine beachtliche Summe. Aus dem König wird der Herzog, aus der " Majestät" die "Königliche Hoheit".

Der neue alte König

Das neue Bild vom alten König wird nicht allen gefallen, manche werden allerdings den vornehmem, weltoffenen Genussmenschen dem biederen, leicht vertrottelten Provinzler vorziehen. Immerhin hat er, trotz aller Schicksalsschläge, sein Amt mit Würde und Augenmaß versehen, am überlebten monarchischen "System" freilich nichts ändern können und wohl auch nicht wollen.

Am 2. Oktober 1921 stirbt Wilhelm W. in Bebenhausen bei Tübingen. Seinem Wunsch gemäß wird der Leichenzug an Stuttgart vorbei nach Ludwigsburg geleitet. Abordnungen des Adels, der Geistlichkeit und Offiziere begleiten den Sarg – also alle, die ihn im November 1918 feige im Stich gelassen haben.


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4 Kommentare verfügbar

  • Zaininger
    am 29.04.2015
    Antworten
    Da gäbe es noch etwas nachzutragen:
    In Wilhelm Ws Amtszeit fallen die Enteignungen auf der Alb bei Münsingen, der Ausbau des Truppenübungsplatzes und die unter seiner Regie durchgeführte Zuarbeit zum Aufstieg des preussischen Militarismus. Zehntausende wurden dort ausgebildet, um dann später auf…
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