KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Ein alter Hut

Ein alter Hut
|

Datum:

Die "Bild"-Zeitung hat Angela Merkel kürzlich eine Pickelhaube aufs Haupt montiert. Es ist vermutlich das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass der preußische Militärdeckel von einem deutschen Medium als positiv gemeintes Symbol verwendet wird. Unsere Schaubühne über die Pickelhaube in der Karikatur.

Zurück Weiter

Wenn der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer vor Kurzem sagte: "Der herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht" (<link https: www.kontextwochenzeitung.de debatte das-leiden-wird-vergroessert-3027.html external-link-new-window>hier geht's zum entsprechenden Gastbeitrag in der letzten Ausgabe), dann könnte man hinzufügen: Eine typische Kopfbedeckung hat der herrische Deutsche schon lange, zumindest in metaphorischer Hinsicht. Nämlich die Pickelhaube, das historisch vielleicht am häufigsten verwendete Attribut für "den Deutschen" in der Karikatur.

Insofern kann man schon etwas den Kopf schütteln, wenn die "Bild"-Zeitung am 7. Juli dieses Jahres mit einer Fotomontage aufmacht, die Angela Merkel mit einer Pickelhaube zeigt, versehen mit der Mahnung, dass man jetzt, im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise, eine "eiserne Kanzlerin" brauche – eine Anspielung auf den "Eisernen Kanzler" Bismarck, der sich auch in seiner zivilen Funktion als Reichskanzler gerne öffentlich mit Pickelhaube zeigte. Dass das Kaiserreich bei Konservativen wieder chic ist und über Bismarck, verstärkt anlässlich seines diesjährigen 200. Geburtstags, historisch fragwürdige Lobesgirlanden gebreitet werden, mag kein ganz neues Phänomen sein. In ikonografischer Hinsicht handelte es sich aber um eine Art Zeitenwende: Dass die Pickelhaube in einem deutschen Medium in Karikaturen oder Fotomontagen als positives Attribut verwendet wird, dürfte neu sein. Die mit ihr verbundenen Konnotationen sprechen nicht gerade dafür, dies fortzuführen.

Karikaturisten verwenden die Pickelhaube, die schon 1916 im deutschen Heer ausgemustert und durch den Stahlhelm ersetzt wurde, bis heute gerne, wenn es um die Darstellung eines machtlüsternen Deutschlands geht. Oder, wie es im Katalog zu einer deutsch-französischen Karikaturenausstellung schön prägnant formuliert ist: "Die Pickelhaube lenkt die Aufmerksamkeit auf die 'preußischen' Anteile an einem mutmaßlichen deutschen Nationalcharakter. Die phallische Spitze ... signalisiert Autorität und Aggressivität, ja Brutalität." Sie ist sowohl ein Erkennungs- als auch ein wertendes Attribut: Beim Träger weiß man sofort, dass es sich um einen Deutschen handelt, und zusätzlich, dass es sich wohl um einen autoritären, eher unangenehmen Typ handeln muss.

Nur die deutsche Haube wird berühmt

1842 in der preußischen Armee eingeführt, taucht die Pickelhaube schon bald in Karikaturen auf; erst in deutschen, ab der Revolution 1848/49 auch allmählich in französischen und britischen Zeichnungen. Allerdings hat sie in diesen noch lange nichts Bedrohliches an sich, scheint vor allem als Kuriosum betrachtet zu werden, das sich karikaturistisch herrlich verzerren lässt. Sie ist im Übrigen keine allein deutsche Spezialität: Bei der Betrachtung von Karikaturen zum Krimkrieg (1853–56) fragt man sich vielleicht, warum entgegen der bekannten Historie viele Preußen mitmischen – dabei handelt es sich um russische Soldaten, denn eine Zeit lang trugen auch die eine relativ ähnliche Pickelhaube. Und Ende des 19. Jahrhunderts führte kurzzeitig auch das britische Militär eine Art Pickelhaube ein. Ein ikonografischer Dauerbrenner wurde aber nur die deutsche.

Erst ab dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 wird sie zunächst vor allem in französischen Karikaturen zum Symbol fürs expansionslüsterne, militaristische Preußen, ab dem Deutsch-Französischen Krieg für das neu gegründete Deutsche Kaiserreich und dessen preußischen Charakter.

Bei den Briten dauerte das etwas länger, weil der deutsch-britische Antagonismus noch ein paar Jahre braucht, bis er volle Fahrt aufnimmt. Etwa bis zur Jahrhundertwende verwenden britische Zeichner die Pickelhaube als ein Attribut unter mehreren, wenn es um die Darstellung "typischer" Deutscher oder deutscher Politiker geht. Um 1900 allerdings sorgt die extrem feindselige Haltung der deutschen Presse gegenüber Großbritannien während des Burenkrieges auf der Insel für Verbitterung, und die Briten nehmen die deutsche Flottenrüstung als Bedrohung wahr. Jetzt wird auch in britischen Karikaturen der "spiked helmet" endgültig zum negativ konnotierten Symbol eines militaristischen Deutschlands. Im Ersten Weltkrieg verbreitet sich das Bild des Pickelhaube tragenden Barbaren schnell um die ganze Welt.

Derart weit verbreitet und verstanden, bleibt der alte Preußenhelm nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Arsenal der Karikaturisten. Nationale Stereotype ändern sich nur sehr langsam, ebenso die für sie stehenden Attribute, und so wird die Pickelhaube nach 1945 vor allem von französischen und britischen Zeichnern liebevoll weiter gepflegt. Nun aber weniger als Sinnbild für kriegerisches Expansionsstreben, sondern eher um die deutsche wirtschaftliche Macht zu symbolisieren. So verbildlicht etwa der Zeichner Leffel im Juli 1970 in seiner Karikatur "Der Stachel" ein Zitat des französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou: "Die Stärke der deutschen Wirtschaft soll uns anstacheln, nicht aber in Schrecken versetzen." In der Zeichnung nun wird Pompidou von einer behelmten D-Mark-Münze verfolgt. Der Hintergrund: Das Abwertungstempo des Francs gegenüber der Mark verzehnfachte sich nach dem Amtsantritt Pompidous. Der neue Präsident setzte die Abwertung als wirtschaftspolitisches Instrument ein, um Frankreichs Wirtschaft Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Die Domina mit Pickelhaube

Um Wechselkurse geht es auch der Karikatur "Arrogant" von Moisan aus dem Jahr 1983, in welcher der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mit Pickelhaube und Soldatenmantel versehen wird. Durch die Unterzeile "Kohl oder die Aufwertung der Bis-Mark" wird das deutsche Verhalten im Währungskonflikt vom Frühjahr 1983 quasi mit Bismarck'scher Machtpolitik verglichen. Im Titel wird eine Äußerung des französischen Wirtschaftsministers Jacques Delors aufgegriffen, der Deutschland wegen seines Mangels an Solidarität als arrogant bezeichnete.

Wieder ein Währungskonflikt ist es, den der britische Karikaturist Steve Bell 1992 für den "Guardian" kommentiert: Helmut Kohl, als behelmte Domina dargestellt, hat die anderen europäischen Staatschefs auf Streckbänke geschnallt. Kohls oder Deutschlands Folter besteht darin, dass vom Wert der D-Mark im Wesentlichen der Rahmen abhängt, innerhalb dessen sich die europäischen Hauptwährungen bewegen müssen, um im Europäischen Währungssystem (EWS) zu bleiben. Italiens Vertreter wurde bei Bell schon durch die Wand geschleudert, da die italienische Lira durch Spekulantendruck abgewertet wurde.

"Guardian"-Karikaturist Bell verwendet das Domina-mit-Pickelhaube-Motiv auch gleich mehrfach, um speziell das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich in der Regierungszeit Angela Merkels zu kommentieren – etwa in einer Karikatur vom Mai 2012 zum bevorstehenden Antrittsbesuch des frisch gewählten Staatspräsidenten Hollande bei der Bundeskanzlerin.

Bisweilen treibt die karikaturistische Verwendung des Preußenhelms aber noch kuriosere Blüten: So versieht der französische Zeichner Tim 1983 in einer Karikatur für das französische Nachrichtenmagazin "L'Express" einen feisten Kaiserreichsoffizier mit einem Monokel in Form des Friedensbewegungssymbols. Der Zeichner selbst dazu: "Ein gewisser deutscher Nationalismus hat paradoxerweise in den 'pazifistischen' Demonstrationen seinen Ausdruck gefunden. Im Glauben, so die UdSSR günstig zu stimmen, erhoffen sich viele davon eine Beschleunigung der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands."

Das muss man nicht schlüssig finden, um das Pickelhauben-Revival der "Bild"-Zeitung nicht nur für groben Unfug, sondern auch für den Ausdruck eines ziemlich dumpfen Neonationalismus zu halten, wie es der Blogger Sascha Lobo bereits bezeichnete. Der Dichter Heinrich Heine übrigens spottete schon kurz nach seiner Einführung über den "Helm mit der Spitze": "Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt / Vom allerhöchsten Witze! / Ein königlicher Einfall war's! / Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze! / Nur fürcht ich, wenn ein Gewitter entsteht, / Zieht leicht so eine Spitze / Herauf auf euer romantisches Haupt / Des Himmels modernste Blitze!"

Es steht indes zu befürchten, dass in "Bild"-Chef Kai Diekmann kein einzelner Blitz gefahren ist, sondern es sich eher um die Entladung eines Dauergrollens handelte.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Peter Boettel
    am 29.07.2015
    Antworten
    Im Rahmen der Erpressung gegenüber Griechenland schrieb der britische Telegraph, dass auch Großbritannien in zwei Weltkriegen gegen Deutschland gekämpft habe, um eine Dominanz Deutschlands über Europa zu verhindern, und stellt fest: Jetzt hat Deutschland dies ohne einen Schuss erreicht.

    In einem…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!