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Nazi oder Demokrat?

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Was war er nun, der Allgäuer "Bier-, Käse- und Milchzar" Oskar Farny (1891 bis 1983) – Nazi oder Demokrat? Für den Alt-OB von Wangen, Jörg Leist, ist die Frage längst geklärt: Farny war ein Ehrenmann. Sein Kontrahent, der Historiker Frank Raberg, ist anderer Meinung.

Die Ausgangslage in der Wangener Stadtbibliothek ist klar: Raberg (51) hat sich lange mit Farny beschäftigt, ein Buchkapitel über ihn geschrieben und zuletzt einen Aufsatz in Kontext, der den Titel trug: "Oskar Farny – der Allgäuer Januskopf". Leist (80) ist seit Langem Vorsitzender der Oskar-und-Elisabeth-Farny-Stiftung, Kenner und Gesprächspartner des Wohltäters von Wangen und dessen Verteidiger. Die Debatte zwischen beiden soll Klarheit bringen.

Dem Neresheimer Historiker sind zwei Dinge aufgefallen: zum einen Farnys höchst undurchschaubare und noch heute nicht zweifelsfrei zu beurteilende Rolle als Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei, der dem Ermächtigungsgesetz Hitlers zustimmte und sich ohne eigenes Zutun als Hospitant bei der NSDAP-Reichstagsfraktion wiedergefunden haben will. Und zum anderen seine Tätigkeit als Stabschef beim Kommandeur für Kriegsgefangenenwesen im Wehrkreis V Stuttgart.

Raberg hält Farny für einen außerordentlich intelligenten und politisch denkenden Menschen. Gerade deshalb nimmt er ihm die Aussage, dass 1933 noch niemand gewusst habe, welche Richtung Hitler nach der Machtübernahme einschlagen würde, nicht ab. "Die Judenhetze gab es auch 1933 schon. Jeder konnte also wissen, was sich da anbahnte." Raberg betont allerdings auch, dass man das Handeln der Menschen aus der Zeit heraus betrachten müsse: "Wir müssen uns nie fragen, wie wir damals gehandelt hätten."

Zwischen Kriegstreiber und Biedermann

Auch die Aktenlage gibt keine klare Antwort. Es existiert eine Aussage aus dem Entnazifizierungsverfahren Farnys, wonach die NSDAP etliche ehemalige Zentrumspolitiker zur "Hospitanz" bei der Reichstagsfraktion eingeladen habe, um sie ins Schaufenster stellen und sagen zu können: "Seht her, die machen auch bei uns mit." Bemerkenswert ist allerdings auch, dass die Quellen, trotz vieler Hundert Blatt in verschiedenen Archiven, sehr ausgedünnt sind, wie Raberg bemängelt. Auffindbar sind mehrere Dutzend prominente Zeugen aus Politik, Kirche und Landwirtschaft, die Farny entlasten – vielfach mit ähnlich oder gar gleich lautenden Formulierungen. Verdeckter sind andere Quellen, die seine Rolle im NS-Staat viel kritischer beurteilen, ihn einen Kriegstreiber nennen, der mit seiner Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz voll verantwortlich für die Folgen der faschistischen Regierung sei und den Biedermann nur spiele. In des Historikers Bewertung bewegt sich die politische Figur Farny zwischen den beiden Polen: Machte er aus Überzeugung mit oder tat er so, als ob er mitmachte, um tatsächlich "Schlimmeres zu verhindern"?

Leist wiederum weiß Gutes zu berichten. Farny habe ihm erzählt, dass er die Diäten, die er für etwa fünf Sitzungen des praktisch nicht mehr existierenden Reichstags zwischen 1933 und 1945 bezogen habe, als "Sündengeld" bezeichnet und seiner im Kloster lebenden Schwester gegeben habe. Den Schilderungen zufolge sollen die seltenen Fahrten der Abgeordneten nach Berlin eine politische Demonstration der eigenen Art gewesen sein: Die ehemaligen Zentrumsleute seien sich in ihren schwarzen Anzügen vorgekommen wie schwarze Raben inmitten eines großen Schwarms von Goldfasanen (diese Bezeichnung für höhere Parteifunktionäre der NSDAP hatte sich im Volksmund eingebürgert).

Leists Sichtweise ist auch biografisch geprägt. Sein Großvater war Josef Andre (1879–1950), entstammte der Katholischen Arbeiterbewegung, gehörte der Zentrumspartei und dem Reichstag von 1920 bis 1928 an – und soll der Ziehvater Farnys gewesen sein. Laut Leist habe der ihn "auf die politische Schiene gebracht". Nicht bewiesen, aber möglich ist, dass Farny im späteren Schicksal Andres für sich ein warnendes Beispiel gesehen hat. Leists Großvater wurde von den Nazis 1934 aus politischen Gründen nicht nur seines Amtes als Präsident der Landesversicherungsanstalt enthoben, sondern nach dem Attentat am 20. Juli 1944 noch im selben Monat in Schramberg verhaftet. Er kam für drei Wochen ins berüchtigte Gestapo-Gefängnis Hotel Silber in Stuttgart, danach für sieben Wochen ins Schutzhaftlager Welzheim und von dort in das Arbeitserziehungslager Oberndorf-Aistaig, wo er am 1. November 1944, gefoltert und gequält, entlassen wurde.

Die Freundschaft mit Erwin Rommel war gefährlich

Andre hatte, wie sich herausstellte, Kontakte zu Carl Friedrich Goerdeler, einem der führenden Köpfe des Widerstands gegen Hitler. Auch Farny scheint allen Grund gehabt zu haben, sich zurückzuhalten, denn auch er unterhielt Kontakte zu Goerdeler – und nicht nur das: Seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Garnison in Weingarten war Farny mit dem späteren Generalfeldmarschall Erwin Rommel eng befreundet. Als jener – wenige Tage vor seinem erzwungenen Selbstmord – bei Farny im Allgäu einflog, geriet der Freund in höchste Bedrängnis.

Farny war, so die übereinstimmende Meinung von Raberg und Leist, ein gewiefter Taktiker, einen schlauer Unternehmer und ein Politiker, der das Gras wachsen hörte. Dass er sich freiwillig als Offizier der Wehrmacht beim Wehrkreis V verdingte und gleichzeitig Mitglied der NSDAP-Reichstagsfraktion ohne Parteizugehörigkeit war, bezeichnet Leist als "Doppeldeckung".

Das "Taktieren in den Kulissen" (Leist) war für Farny womöglich lebensrettend, seiner politischen Karriere nach dem Krieg zunächst aber eher abträglich. Der Persilschein im Entnazifizierungsverfahren nützte ihm zwar, sein Hofgut Dürren mit der Brauerei und Käserei wieder in Gang zu bringen sowie seine Mandate in landwirtschaftlichen Gremien und in einer Bank zu mehren. Im Verlaufe seines weiteren Berufslebens sollte er es auf mehr als 30 Aufsichtsrats- und sonstige Pöstchen bringen. Der Motor beim politischen Neustart stotterte aber erheblich. Wie andere ehemalige Zentrumsmitglieder strebte Farny zur neu gegründeten CDU, stieß aber nach Rabergs Recherchen auf erhebliche Widerstände lokaler CDU-Größen, die ihn durch seine NSDAP-"Hospitanz" kompromittiert sahen. So soll er sich zunächst der bayerischen CSU angeschlossen haben, wohl weil er auf bayerischer Seite ein Fischgewässer sein Eigen nennen konnte.

Farny sollte sogar Ministerpräsident werden

Selbst die Fürsprache seines Freundes, des späteren baden-württembergischen Ministerpräsidenten und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Gebhard Müller, half zunächst nicht. 1949, ohne Parteibuch, wagte Farny den Griff nach einem Bundestagsmandat in einem oberschwäbischen Wahlkreis. Die Delegiertenkonferenz lehnte ihn ab und hob statt seiner den CDU-Landesgeschäftsführer Kurt Georg Kiesinger auf den Schild. Der schaffte im Kreis Ravensburg seinen politischen Aufstieg, obwohl er als NSDAP-Parteigenosse und Abteilungsleiter in der Propagandaabteilung des Auswärtigen Amtes noch weitaus belasteter war als der "Hospitant". Erst 1953, auch da noch ohne Parteibuch, zog Farny in den Bundestag ein, um ihn aber sogleich wieder zu verlassen, weil ihn Gebhard Müller zum Minister für Bundesangelegenheiten berief. Später hätte er den Allgäuer Patriarchen gar gerne als seinen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten gehabt, doch auch in diesem Fall zog er gegen Kiesinger den Kürzeren.

Seinem Ansehen als Wohltäter hat das alles nicht geschadet. 1971 haben ihm die Fraktionen des Wangener Gemeinderats einstimmig die Ehrenbürgerwürde verliehen. Erst 2001, als ein wenig bedeutender Weg – auf Betreiben von Oberbürgermeister Leist – nach Farny benannt werden sollte, muckte der Gemeinderat auf. Die SPD-Fraktion war dagegen. Sie verhinderte die Namensgebung zwar nicht, doch von da an wurde nicht mehr vorbehaltlos gejubelt, wenn der Name Farny fiel. Unbeirrt bleibt nur der Stiftungsvorsitzende Leist: "Oskar Farny war kein Nazi."


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2 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 07.08.2015
    Antworten
    Es ist höchste Zeit, dass der CDU Baden-Württemberg ihre rückständige, Menschen verachtende Flüchtlingspolitik um die Ohren geschlagen wird. Diese widerliche Abschreckungspolitik zeigt deutlich, was für elende Geister mit Kiesinger, Filbinger und weiteren Bannerträgern dieses rechten Kreuzzugvereins…
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