Raberg hält Farny für einen außerordentlich intelligenten und politisch denkenden Menschen. Gerade deshalb nimmt er ihm die Aussage, dass 1933 noch niemand gewusst habe, welche Richtung Hitler nach der Machtübernahme einschlagen würde, nicht ab. "Die Judenhetze gab es auch 1933 schon. Jeder konnte also wissen, was sich da anbahnte." Raberg betont allerdings auch, dass man das Handeln der Menschen aus der Zeit heraus betrachten müsse: "Wir müssen uns nie fragen, wie wir damals gehandelt hätten."
Zwischen Kriegstreiber und Biedermann
Auch die Aktenlage gibt keine klare Antwort. Es existiert eine Aussage aus dem Entnazifizierungsverfahren Farnys, wonach die NSDAP etliche ehemalige Zentrumspolitiker zur "Hospitanz" bei der Reichstagsfraktion eingeladen habe, um sie ins Schaufenster stellen und sagen zu können: "Seht her, die machen auch bei uns mit." Bemerkenswert ist allerdings auch, dass die Quellen, trotz vieler Hundert Blatt in verschiedenen Archiven, sehr ausgedünnt sind, wie Raberg bemängelt. Auffindbar sind mehrere Dutzend prominente Zeugen aus Politik, Kirche und Landwirtschaft, die Farny entlasten – vielfach mit ähnlich oder gar gleich lautenden Formulierungen. Verdeckter sind andere Quellen, die seine Rolle im NS-Staat viel kritischer beurteilen, ihn einen Kriegstreiber nennen, der mit seiner Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz voll verantwortlich für die Folgen der faschistischen Regierung sei und den Biedermann nur spiele. In des Historikers Bewertung bewegt sich die politische Figur Farny zwischen den beiden Polen: Machte er aus Überzeugung mit oder tat er so, als ob er mitmachte, um tatsächlich "Schlimmeres zu verhindern"?
Leist wiederum weiß Gutes zu berichten. Farny habe ihm erzählt, dass er die Diäten, die er für etwa fünf Sitzungen des praktisch nicht mehr existierenden Reichstags zwischen 1933 und 1945 bezogen habe, als "Sündengeld" bezeichnet und seiner im Kloster lebenden Schwester gegeben habe. Den Schilderungen zufolge sollen die seltenen Fahrten der Abgeordneten nach Berlin eine politische Demonstration der eigenen Art gewesen sein: Die ehemaligen Zentrumsleute seien sich in ihren schwarzen Anzügen vorgekommen wie schwarze Raben inmitten eines großen Schwarms von Goldfasanen (diese Bezeichnung für höhere Parteifunktionäre der NSDAP hatte sich im Volksmund eingebürgert).
Leists Sichtweise ist auch biografisch geprägt. Sein Großvater war Josef Andre (1879–1950), entstammte der Katholischen Arbeiterbewegung, gehörte der Zentrumspartei und dem Reichstag von 1920 bis 1928 an – und soll der Ziehvater Farnys gewesen sein. Laut Leist habe der ihn "auf die politische Schiene gebracht". Nicht bewiesen, aber möglich ist, dass Farny im späteren Schicksal Andres für sich ein warnendes Beispiel gesehen hat. Leists Großvater wurde von den Nazis 1934 aus politischen Gründen nicht nur seines Amtes als Präsident der Landesversicherungsanstalt enthoben, sondern nach dem Attentat am 20. Juli 1944 noch im selben Monat in Schramberg verhaftet. Er kam für drei Wochen ins berüchtigte Gestapo-Gefängnis Hotel Silber in Stuttgart, danach für sieben Wochen ins Schutzhaftlager Welzheim und von dort in das Arbeitserziehungslager Oberndorf-Aistaig, wo er am 1. November 1944, gefoltert und gequält, entlassen wurde.
Die Freundschaft mit Erwin Rommel war gefährlich
Andre hatte, wie sich herausstellte, Kontakte zu Carl Friedrich Goerdeler, einem der führenden Köpfe des Widerstands gegen Hitler. Auch Farny scheint allen Grund gehabt zu haben, sich zurückzuhalten, denn auch er unterhielt Kontakte zu Goerdeler – und nicht nur das: Seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Garnison in Weingarten war Farny mit dem späteren Generalfeldmarschall Erwin Rommel eng befreundet. Als jener – wenige Tage vor seinem erzwungenen Selbstmord – bei Farny im Allgäu einflog, geriet der Freund in höchste Bedrängnis.
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Rolf Steiner
am 07.08.2015